Die Air-Berlin-Tochter Niki kämpft trotz des schwelenden Streits über ihr Insolvenzverfahren um eine neue Heimat beim Luftfahrtkonzern IAG. Der Ferienflieger will den schon ausgehandelten Kaufvertrag über zwei parallele Insolvenzverfahren in Berlin und Wien absichern, wie der vorläufige Insolvenzverwalter Lucas Flöther erklärte. Dazu legte Niki Rechtsbeschwerde am Bundesgerichtshof gegen den überraschenden Beschluss des Landgerichts Berlin für Österreich statt Deutschland als Insolvenzort ein. Bis Ende der Woche werde zudem ein "Sekundär-Insolvenzverfahren" in Österreich beantragt, um den Vertrag mit der spanischen IAG-Billigtochter Vueling abzusichern.
Flöther zufolge herrscht Zeitdruck, da Vueling bereits zum Weiterbetrieb von Niki 16,5 Millionen Euro bereitgestellt hat. "Diese Finanzierung reicht nur für wenige Wochen." Er hatte in einem Notverkauf den Vertrag mit IAG/Vueling Ende Dezember ausgehandelt, nachdem der ursprüngliche Kauf von Niki durch die Lufthansa an Bedenken der EU-Wettbewerbshüter gescheitert war. Die British-Airways-Mutter IAG will wie geplant den Kauf bis Ende Februar für 36,5 Millionen Euro vollziehen.
Die Chronik von Air Berlin
Vor 38 Jahren hob der erste Air-Berlin-Flieger ab. Alles begann mit alliierten Sonderrechten zur Landung im geteilten Berlin. Nach der Wende wuchs Air Berlin zur Nummer Zwei am Himmel über Deutschland heran, doch dann folgte eine jahrelange Krise.
1978: Gründung als Chartergesellschaft durch den Ex-Pan-Am-Pilot Kim Lundgren. Erstflug am 28. April 1979 von Berlin-Tegel nach Mallorca. Die Flotte umfasst zwei Maschinen.
1991: Im April kauft der LTU-Manager Joachim Hunold die Mehrheit der Anteile. Es gibt kurz darauf 15 Flüge pro Tag. Air Berlin expandiert und stationiert zunehmend auch Flugzeuge auf Regionalflughäfen.
1998: Mit dem Mallorca Shuttle Einstieg ins Linienfluggeschäft.
Einstieg zu 25 Prozent bei der österreichischen Fluggesellschaft Niki des früheren Rennfahrers Niki Lauda.
Börsengang und Kauf der Fluggesellschaft dba.
Kauf des Ferienfliegers LTU, damit auch Interkontinentalflüge.
Air Berlin rutscht in die roten Zahlen, legt das erste Sparprogramm auf: Strecken fallen weg, Flugzeuge werden ausgemustert. Die Übernahme des Ferienfliegers Condor scheitert.
Air Berlin kündigt für 2012 den Eintritt in das Luftfahrtbündnis Oneworld an.
Hunold wirft das Handtuch, Hartmut Mehdorn übernimmt. Ein weiteres Sparprogramm soll das operative Ergebnis um 200 Millionen Euro verbessern. 18 der 170 Maschinen werden verkauft.
Die arabische Staatsairline Etihad erhöht ihren Anteil von knapp 3 auf 29,2 Prozent und stützt die Airline mit einem 255-Millionen-Dollar-Kredit. Ein neues Sparprogramm beginnt. Der Verkauf des Vielfliegerprogramms an Großaktionär Etihad bringt nur vorübergehend wieder schwarze Zahlen.
Wolfgang Prock-Schauer wird Vorstandschef und verschärft das von Mehdorn im Vorjahr aufgelegte neue Sparprogramm. Jeder zehnte Arbeitsplatz fällt weg, die Flotte schrumpft auf 142 Maschinen.
Im Februar löst Stefan Pichler den glücklosen Prock-Schauer ab. Air Berlin macht 447 Millionen Euro Verlust - so viel wie nie.
Nach einem juristischen Tauziehen kann Air Berlin den größten Teil der wichtigen Gemeinschaftsflüge mit Etihad weiter anbieten. Die Zahlen bessern sich nicht. Gespräche mit Lufthansa über einen Verkauf von Geschäftsteilen beginnen. Mit einem tiefgreifenden Umbau und der Streichung von bis zu 1200 Arbeitsplätzen will Air Berlin seine Krise überwinden.
Air Berlin bekommt einen neuen Chef. Der Lufthansa-Manager und früheren Germanwings-Chef Thomas Winkelmann wird Vorstandschef. Air Berlin führt ihren Flugbetrieb in zwei getrennten Geschäftsfeldern weiter: Langstreckenflüge und Städteverbindungen in Europa werden zusammengefasst, Urlaubsflüge unter der Marke Niki geführt. Lufthansa erklärt sich bereit, Air Berlin zu übernehmen, wenn der Großaktionär Etihad zuvor die Schulden übernähme.
Air Berlin meldet Insolvenz an. Zuvor hatte Etihad seine finanzielle Unterstützung eingestellt. Ein 150-Millionen-Euro-Kredit des Bundes soll den Flugbetrieb zunächst sichern.
Fast 40 Jahre nach dem Start der ersten Air-Berlin-Maschine in Berlin-Tegel landet am 27. Oktober 2017 um 23.45 Uhr der letzte Air-Berlin-Flieger dort. Die Zukunft der Angestellten und vieler Unternehmensteile ist zu diesem Zeitpunkt noch ungewiss.
Eine BGH-Sprecherin des BGH sagte, der für Insolvenzrecht zuständige 9. Zivilsenat werde das Verfahren zügig bearbeiten. Angestoßen hatte es der österreichische Fluggast-Dienstleister Fairplane. Er treibt gegen Erfolgsbeteiligung Forderungen von Passagieren an Fluggesellschaften ein und verspricht sich dafür von einem Konkursverfahren in Österreich bessere Chancen. Rund 3000 Kunden aus ganz Europa fordern zusammen mehr als 1,2 Millionen Euro Entschädigung für Flugverspätungen von Niki. Fairplane stellte bereits einen Konkursantrag in Österreich, über den das Bezirksgericht Korneuburg frühestens am Freitag entscheiden will.
Über Berlin oder Wien zum Ziel
Die Gerichte müssen entscheiden, welche Faktoren für den rechtlichen "Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen" schwerer wiegen: Das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg sah diesen am Sitz der Niki-Mutter in Berlin, weil der Ferienflieger von dort geführt und ein Großteil des Geschäfts in Deutschland abgewickelt wird. Das dann angerufene Landgericht hält Wien für den richtigen Ort, weil Niki dort gesellschaftsrechtlich seinen Sitz hat, nach Betriebserlaubnis und unter Aufsicht österreichischer Behörden flog und 80 Prozent der Arbeitsverträge nach österreichischem Recht geschlossen sind.
Nach Ansicht von Fairplane müsste der Vertrag mit IAG nicht an einem neuen Konkursverfahren in Österreich scheitern. Der Betriebsrat von Niki hofft, dass sich die Firma unter das Dach der IAG-Tochter Vueling retten kann. "Wir bauen darauf, dass die Beteiligten an dem Deal festhalten", erklärte Betriebsratschef Stefan Tankovits. Man sei optimistisch, dass IAG an Bord bleibe. Der Konzern hatte in Aussicht gestellt, 740 der insgesamt etwa 1000 Arbeitsplätze erhalten zu wollen.
Der Niki-Gründer und frühere Formel-1-Weltmeister Niki Lauda sagte in einem Interview von Oe24 TV, er sei bereit, zusammen mit dem Reisekonzern Thomas Cook und dessen Tochter Condor eine neue Offerte abzugeben, sollte sich die Chance ergeben. "Mich interessiert es nach wie vor. Aber im Moment stellt sich die Frage nicht."