Insolvenz der MV Werften „Der Kreuzfahrtboom wird sich fortsetzen“

Aus der Traum: Das im Bau befindliche Kreuzfahrtschiff Global Dream der MV Werften. Quelle: dpa

Die MV Werften bauen Kreuzfahrtschiffe – doch die Branche muss mit der Coronapandemie die schwerste Krise ihrer Geschichte durchstehen. Tourismusprofessor Alexis Papathanassis glaubt trotzdem an die Rückkehr des Booms.

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Alexis Papathanassis ist Vorsitzender der Cruise Research Society. Der Professor für Tourismusmanagement lehrt an der Hochschule in Bremerhaven an der Nordsee, aufgewachsen aber ist er auf der griechischen Insel Rhodos. An beiden Orten konnte er erleben, wie die Coronapandemie den Tourismus verändert. 2020 habe er zum ersten Mal in 46 Jahren auf Rhodos einen Sommer ohne Touristen erlebt, „das ist total crazy“. Allein am Strand zu sein sei toll, aber nicht für die Menschen, die ihr Geld in den Restaurants und in den Hotels verdienen wollen. Nun erreicht die Tourismuskrise auch Bremerhaven: Dort steht der Kreuzfahrtschiffsbauer Lloyd-Werft vor der Pleite.

WirtschaftsWoche: Professor Papathanassis, wann waren Sie das letzte Mal auf Kreuzfahrt?
Alexis Papathanassis: Das ist lange her… vor Corona. Ich bin eigentlich gerne auf Kreuzfahrten, ich finde das sehr spannend. Aber ich bin nicht der Typ, der ausschließlich Kreuzfahrten macht, ich genieße Tourismus in allen Facetten. Seit Corona da ist, bin ich kaum gereist, weil ich aufgrund meiner beruflichen Verpflichtungen das Risiko krank zu werden oder in Quarantäne zu müssen minimieren möchte. Aber um das klarzustellen, meine Entscheidung ist nicht speziell auf Kreuzfahrten bezogen, sondern auf Urlaubsreisen im weiteren Sinne.

Seit zwei Jahren werden immer wieder Kreuzfahrten abgesagt. Und wenn sie doch stattfanden, gab es häufig Ausbrüche an Bord. Wie stark leidet die Branche nach zwei Jahren Pandemie?
So eine Krise wie die Pandemie gab es sicherlich noch nie. 2020 wurde die gesamte Flotte von heute auf morgen stillgelegt. Die Reedereien mussten extrem hohe Kosten tragen, um die Schiffe in Stand zu halten und zu betreiben und hatten gleichzeitig keinen Umsatz. Und dann noch die anderen Fragen: Wo soll man die Schiffe anlegen? Wie kommen Passagiere und Crew nach Hause? Das war eine sehr lange Durstphase. Die Branche hat sich viel Mühe gegeben, ihre operativen Kosten zu minimieren und hat genug Kapital gesichert, um das durchzustehen.

Kreuzfahrtexperte Alexis Papathanassis. Quelle: Privat

Nicht allen ist das gelungen. Gerade haben die Lloyd-Werft und die MV Werften Insolvenz angemeldet, weil der Kreuzfahrtkonzern Genting als Eigentümer und Auftraggeber nicht zahlen konnte. Haben Sie trotzdem noch Hoffnung?
Als Bremerhavener, der hier arbeitet und lebt, hoffe ich natürlich auf das Beste. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

Die MV Werften bauen am weltgrößten Kreuzfahrtschiff „Global Dream“ für 9500 Passagiere. Jetzt ist unklar, ob das Schiff fertig gestellt werden kann. Haben solche Riesenschiffe eine Zukunft?
Die Schiffe werden immer größer, sie werden auch zu einer immer größeren Attraktion, das ist ein Trend. Große Schiffe rechnen sich einfach mehr, weil man Kosten auf mehr Passagiere verteilen kann. Und man kann mehr Möglichkeiten schaffen, mit den Passagieren an Bord Geld zu verdienen. Für die Europäischen Gäste ist das vielleicht nicht so attraktiv, für die kommt es vielleicht noch mehr auf die Routen an. Aber der asiatische Markt und der amerikanische Markt ist sich da sehr ähnlich, da geht es auch viel um die Erlebnisse an Bord; insbesondere um Glücksspiel und Shopping.



Aber so ein Schiff muss man auch voll bekommen. 2019 hatte die Branche noch knapp 30 Millionen Passagiere, das Jahr danach waren es nur noch sechs Millionen. Wann wird die Branche wieder wachsen?
Bereits im vergangenen Jahr haben ja viele Reisen wieder stattgefunden, etwa die Hälfte der Kreuzfahrt-Flottenkapazität war ausgelastet. Wenn es um Wachstum geht, dann müssen wir auch über Kapazitäten sprechen. Es muss genügend Schiffskapazitäten vorhanden sein, um die Passagiere zu befördern. Wenn theoretisch 40 Millionen Menschen eine Kreuzfahrt machen wollen, was wäre dann, wenn die weltweite Kreuzfahrtflotte nur 30 Millionen Gäste bedienen kann? Das ist ein Thema. Aber ich gehe davon aus, dass wir ab 2023 dem Niveau vor der Pandemie wieder sehr nah kommen. Der Kreuzfahrtboom wird sich fortsetzen.

Hat die Coronapandemie nichts an dem Wunsch nach einer Kreuzfahrt geändert?
Ich glaube das die Nachfrage, also der Wunsch nach einem Urlaub, nicht gesunken ist. Eher im Gegenteil: Es gibt den Trend zu ‚Revenge Travel‘. Die Menschen wollen sich so zu sagen an der Pandemie rächen, ihr Leben wieder voll genießen und sich auch richtig schöne Reisen gönnen.

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In den vergangenen Jahren hat die Branche auch viele Schiffe verschrottet. Rächt sich das vielleicht später, wenn die Nachfrage wieder anzieht?
Das waren vor allem ältere Schiffe. Vor der Pandemie hatte die weltweite Flotte ein Durchschnittsalter von 31 Jahren, jetzt liegt das Durchschnittsalter bei 24 Jahren. Das heißt, die Flotte ist heute moderner, sicherer, auch energieeffizenter und damit umweltfreundlicher. Natürlich gibt es erst mal weniger verfügbare Kapazität. Aber wenn man auf die Schiffsbestellungen betrachtet, dann kommen auch wieder einige nach. Und diese neuen Schiffe sind größer, also können sie mehr Passagiere aufnehmen.

Mehr zum Thema: Die Pleite der MV Werften ist eine Herausforderung, denn die Zeit ist extrem knapp: Bis Anfang März muss der vorläufige Insolvenzverwalter Geld auftreiben, um das weltgrößte Kreuzfahrtschiff fertig zu stellen.

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