Ihren Urlaub hatten sie sich sicher anders vorgestellt: Nach der Pleite des britischen Reiseveranstalters Thomas Cook musste auch die deutsche Tochtergesellschaft Insolvenz anmelden, rund 140.000 deutsche Kunden des Reiseriesen strandeten im Urlaub. Mittlerweile wurden die meisten Urlauber immerhin zurückgeholt. Viele andere Deutsche, die über Thomas Cook ihren Urlaub für die nahe Zukunft gebucht haben, bangen aber nun um bereits geleistete Anzahlungen.
Dabei haftet eigentlich die Schweizer Finanzdienstleistungsgesellschaft Zurich Insurance Group für die durch die Insolvenz des Reiseveranstalters entstandenen Schäden bei den Verbrauchern. Doch ein genauer Blick offenbart mindestens drei große Probleme.
1. Die Mittel, die für die Versicherung bereitgestellt werden, sind begrenzt: Nach deutschem Recht dürfen sie den Betrag von 110 Millionen Euro pro Geschäftsjahr nicht übersteigen. Diese Regelung wird von Experten schon lange kritisiert und stand auch im Bundestag vergangene Woche zur Debatte. Die Fraktion Die Grünen forderte eine Erhöhung des Insolvenzschutzes für Pauschalreisende auf 300 Millionen Euro – der Antrag wurde abgelehnt. Dabei wäre eine Anpassung der Regelung dringend notwendig.
2. Der Maximalbetrag von 110 Millionen Euro ist nicht pro Unternehmen vorgesehen, sondern gilt für alle von einem Versicherer übernommenen Insolvenzen innerhalb eines Geschäftsjahres. Sollten also mehrere Reiseunternehmen pleitegehen und die verfügbare Summe nicht ausreichen, so würden die 110 Millionen für die Kundengeldabsicherung prozentual unter ihnen aufgeteilt. Genau das passiert bei Thomas Cooks Kundengeldabsicherer Zurich Insurance. In diesem Geschäftsjahr muss die Finanzdienstleistungsgesellschaft bereits die Insolvenz des kleineren Reiseveranstalters Troll Tours absichern. Somit wird der Topf für Veranstalterinsolvenzen nicht nur Kunden von Thomas Cook zugutekommen.
3. Abgesehen davon könnte die Rückführung der gestrandeten Urlauber schon einen Großteil des verfügbaren Geldes gekostet haben. Ob die Kosten für die Rückführung dabei bereits im Urlaub befindlicher Kunden auch von den 110 Millionen abgehen, ist derzeit offen. Während das Bundesjustizministerium der Ansicht ist, der Topf für die Kundengeldabsicherung sei lediglich Urlaubern vorbehalten, die noch nicht abgereist sind, ist für Zurich Insurance klar, dass „die 110 Millionen ein Deckel für alle Zahlungen“ seien, so ein Sprecher der Finanzdienstleistergesellschaft. Ein Sprecher des Bundesjustizministerium sagte, die Hausleitung sei im Gespräch mit der Versicherungsgesellschaft, um Klarheit zu schaffen.
Thomas-Cook-Kunden haben in jedem Fall keine guten Aussichten, das Geld in vollem Umfang zurückzuerhalten. Laut Schätzungen des Verbands unabhängiger selbständiger Reisebüros wären rund 300 bis 400 Millionen Euro nötig, um alle Kunden des Reiseanbieters zu entschädigen. Auch der Sprecher der Zurich Insurance sagt, man gehe davon aus, dass „die Ansprüche von Thomas Cook Deutschland Kunden die Grenze von 110 Millionen Euro bei weitem übersteigen“.
Deutsches Pauschalreisegesetz ist eine „Schönwetterregelung“
„Ob Kunden der deutschen Thomas Cook ihr Geld trotz Reisesicherungsschein nicht zurückbekommen, kann man aktuell nicht sagen“, sagt Reiserechtsexperte Ernst Führich, ehemaliger Professor der Rechtswissenschaften unter anderem für Reiserecht an der Hochschule Kempten. Im Gesetz stehe in Bezug auf mögliche Zahlungen zwar „unverzüglich“, das bedeute allerdings nicht, dass diese sofort geleistet werden müssten, sondern lediglich ohne schuldhaftes Zögern. „Damit haben Versicherer nach dem neuen Pauschalreisegesetz bis zum Ende des Geschäftsjahres Zeit, um zu sehen, wie viele Forderungen gestellt werden“, erklärt Führich.
Laut dem Reiserechtsexperten ist eine Erhöhung der Absicherung bei den jeweiligen Kundengeldabsicherern dringend notwendig, die Deckelung auf 110 Millionen sei „fast heute schon ein Fantasiebetrag“. Allerdings sei auch eine Deckelung auf 300 Millionen, wie von den Grünen vorgeschlagen, nicht ausreichend. „Man müsste die Regelung am Umsatz des Veranstalters ausrichten, denn ein pauschaler Höchstbetrag kann keine vollständige Absicherung bei einem Großveranstalter gewährleisten“, sagt Führich.
Die eigentliche Regelung in Deutschland stammt noch aus den 90er-Jahren, damals war die Reisebranche noch anders aufgestellt. Im Rahmen einer neuen EU-Richtlinie wurde sie im Jahr 2018 geringfügig angepasst. Laut Führich sei in der neuen EU-Pauschalreiserichtlinie vorgeschrieben, dass die Absicherung wirksam sein müsse, was eine Höchstlinie nicht ausschließe. Von einem pauschalen Höchstbetrag sei jedoch weder in den Gesetzesmaterialien noch in der Pauschalreiserichtlinie die Rede, bemängelt der Reiserechtsexperte. Für die Absicherung eines ganzen Tourismus-Konzerns sei diese Konstruktion „schlicht ungeeignet“.
Das liegt auch an der Marktsituation: „Wir haben in Deutschland nur eine Handvoll Kundengeldabsicherer, die die gesamte Branche absichern sollen. Das liegt daran, dass es einfach kein lukratives Geschäft ist“, so Führich. Dadurch, dass laut dem Reiseverband Deutschland (DRV) die größten sechs Reiseveranstalter zusammen mehr als 50 Prozent Marktanteil haben, verschärft sich das Problem. „In der Reisebranche hat eine Insolvenz meist weitere Pleiten zur Folge. Wir hatten seit dem Inkrafttreten dieser Schönwetterregelung keine große Veranstalterinsolvenz. Jetzt sieht man, dass sie nichts taugt“, erklärt der Experte.
Modell in den Niederlanden sorgt für Kundenabsicherung
In den Niederlanden hingegen scheint es für Kunden zumindest keine finanziellen Probleme mit der Insolvenz der holländischen Tochtergesellschaft zu geben. „Wir garantieren den Kunden, dass der volle Reisepreis, der an Thomas Cook gezahlt wurde, zurückerstattet wird“, sagt ein Sprecher des niederländischen Reisegarantiefonds Stichting Garantiefonds Reisegelden (SGR), der für die Kundenabsicherung bei insolventen Reiseveranstaltern zuständig ist.
Jeder niederländische Reiseveranstalter ist gesetzlich verpflichtet, dem Kunden eine Garantie für seine Pauschalreise zu geben. Dazu zahlen die Veranstalter je nach Größe eine jährliche Gebühr zwischen 1000 und 5000 Euro an den SGR. Darüber hinaus müssen die Reiseunternehmen dem Fonds eine Bankgarantie oder eine Versicherungsanleihe geben, die das tatsächliche Risiko abdeckt. Die Bandbreite dieser Zahlungen liegt zwischen 1,5 und zehn Prozent des Jahresumsatzes. Dank dieser Absicherung werde es laut dem SGR-Sprecher für die Kunden keine Probleme mit der Insolvenz geben: „Wir verfügen über ausreichend Bank- und Versicherungsgarantien von Thomas Cook, die unseren Schaden decken“.
Für mögliche Überschussrisiken verfüge der SGR zudem über Rückversicherungen und Eigenmittel in Höhe von 90 Millionen Euro. Es sei aber nicht zu erwarten, dass der Garantiefonds auf eine Rückversicherung oder Eigenmittel zurückgreifen müsse.