
Wird das neue Insolvenzrecht missbraucht, um gezielt Gläubiger auszubooten? Zum Auftakt der Jahrestagung des Verbands der Insolvenzverwalter Deutschlands (VID) fällt das Urteil eindeutig aus: ja. Bei so genannten Schutzschirm- und Eigenverwaltungsverfahren, bei denen das Management eines havarierten Unternehmens an Bord bleibt, werde "meist nur eine finanzwirtschaftliche Restrukturierung verfolgt, etwa um Anleihegläubiger loszuwerden", heißt in einer VID-Mitteilung.
Die WirtschaftsWoche hat bereits mehrfach auf das Grundproblem der im März 2012 inkraft getretenen Insolvenzrechtsreform (ESUG) hingewiesen und und schilderte bereits im März "Wie Anleger in die Insolvenzfalle tappen". Denn einerseits eröffnen sich für einige Unternehmen zwar gute Sanierungschancen. Anderseits ist die Missbrauchsgefahr extrem hoch.





Darauf weist auch VID-Vorsitzender Christoph Niering hin: "Wir wissen von einer ganzen Reihe auch prominenter Schutzschirmverfahren, wo die Eigenverwaltung im Interesse der beteiligten Gläubiger niemals hätte bewilligt werden dürfen." Bei zahlreichen Fällen würden die Gläubigerinteressen systematisch ignoriert.
Klar ist, mit seiner ESUG-Schelte zielt der VID nicht nur auf den Schutz der Gläubiger. Der VID versucht - wie jeder Verband - die Interessen seiner Mitglieder zu wahren. So sind in dem Verband zahlreiche Verwalter auch kleinerer Insolvenzkanzleien organisiert, die angesichts des Anstiegs der ESUG-Verfahren um ihr Geschäft fürchten. Vielfach drängen externe Berater in die Verfahren, die Vergütung ist zudem deutlich niedriger als bei Regelinsolvenzen.
An der Relevanz der Kritik ändert das indes nichts. Denn das Grunddilemma ist klar: Um die Chefs maroder Firmen dazu zu bringen, sich möglichst früh Hilfe zu holen, kommt ihnen der Gesetzgeber mit den ESUG-Möglichkeiten entgegen. Die Chefs dürfen ihre Posten behalten und sollen die Sanierung in Eigenregie steuern. Dabei werden sie von einem Sachwalter überwacht, den sie de facto aber selbst bestimmen dürfen.
Doch Zweifel bleiben, dass ausgerechnet diejenigen, die den Laden gegen die Wand gefahren haben, auch die besten Manager für den Turnaround sind. "Rund 75 Prozent aller Insolvenzen" seien auf Managementfehler zurückzuführen, so Niering. "Da ist die Frage schon berechtigt, ob mit der freizügig gewährten Eigenverwaltung nicht der 'Bock zum Gärtner' gemacht wird."
Der VID fordert deshalb die Politik auf, den Zugang zur Eigenverwaltung zu beschränken. „Die Eigenverwaltung darf nur solchen Unternehmern offenstehen, die wie ein ‚ordentlicher Kaufmann‘ ihre Verpflichtungen erfüllen“, sagte Niering „Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Entschuldung bei Verbrauchern nur dem redlichen Schuldner zugestanden wird, die Eigenverwaltung und damit die Entschuldung des Unternehmens über eine Insolvenz jedoch auch dem unredlichen Unternehmer möglich sein soll.“
Die Eigenverwaltung dürfe deshalb nur noch solchen Unternehmen zugänglich gemacht werden, die über eine aktuelle und nachvollziehbare Buchführung und fristgerecht aufgestellte und testierte Jahresabschlüsse verfügen. Zweitens müssten diese Unternehmen ihren steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Verpflichtungen nachgekommen sein. Und drittens dürfe gegen Unternehmensführung und beherrschende Gesellschafter nicht strafrechtlich ermittelt werden.
Ein bewährter Ansatz





Ob sich der VID mit den Vorschlägen zur Reform der Reform durchsetzt, ist fraglich. Das Problem: Inwieweit eine Geschäftsführung redlich oder unredlich arbeitet, zeigt sich meist erst im Laufe des Verfahrens. Dann ist die vom Unternehmer initiierte Eigenverwaltung längst im Gang. Nur, wer soll dann eigentlich noch auf die früheren Missstände hinweisen?
Als noch diffiziler dürfte sich das Kriterium strafrechtlicher Ermittlungen erweisen. Ermittlungen werden schon bei einem Anfangsverdacht eingeleitet. Je nach Verfahrensstadium wissen oft nicht einmal die Betroffenen davon - wie sollen es die Richter erfahren? Zudem basieren Ermittlungen auf Anzeigen, die jedermann begründet oder nicht, anonym oder namentlich einreichen kann. Ob ein Verfahren später eingestellt wird, oder Anklage erhoben wird und diese Anklage letztlich tatsächlich zu einem Urteil führt, ist offen. Doch einen wirtschaftlichen Vorteil quasi prophylaktisch zu verwehren, ist heikel und könnte empfindliche Schadenersatzklagen von Betroffenen nach sich ziehen.
Denn dass die neuen Sanierungsinstrumente in einigen Fällen durchaus positive Wirkung entfalten, betont auch der VID: Die Eigenverwaltung, sei an sich eine gute Idee, nur sei das Verfahren eben nicht für alle Unternehmen geeignet.
Unter Insolvenzverwaltern wird derweil auch über die Rolle des Sachwalters diskutiert. Bisher soll der als eine Art Ein-Mann-Aufsichtsrat, das Treiben der Geschäftsführung überwachen und dafür sorgen, dass bei den Rettungsbemühungen kein Geld verplempert wird, oder Gläubiger über den Tisch gezogen werden. Das Problem: Wie unabhängig kann ein Sachwalter eigentlich sein, der de facto von demjenigen bestimmt wird, den er kontrollieren soll?
Wichtiger noch: In der Praxis erfolgt die Auswahl des Sachwalters meist über spezialisierte Berater, die als Sanierungsvorstände in Krisenunternehmen einziehen und im Fall der Fälle auch einen Kandidaten für den Sachwalter-Job parat haben.
So darf sich ein Sachwalter im Zweifel dann selbst befragen, wie wichtig ihm die eigene Unabhängigkeit ist: Fährt er dem Restrukturierungsvorstand, der ihn geholt hat bei Konflikten wirklich hart in die Parade und riskiert Folgemandate?
Jenseits solcher Gewissensfragen sind die Eingriffsmöglichkeiten des vorläufigen Sachwalters ohnehin recht überschaubar – und das Tempo ist enorm hoch. Bei Regelinsolvenzen, die sich oft über Jahre erstrecken und bei denen der Verwalter nach den ersten ad-hoc-Maßnahmen in Ruhe überprüft, ob im Vorfeld der Pleite vom Inhaber Geld beiseite geschafft wurde, oder sich einzelne Gläubiger allzu großzügig aus der Unternehmenskasse bedienten, fehlt bei ESUG-Verfahren dafür schlicht die Zeit. Sie werden oft innerhalb weniger Monate durchgepeitscht. Das ist für die Sanierung der betroffenen Unternehmen ein entscheidender Vorteil, etwa um Kunden und Lieferanten zu halten. Doch die Gefahr ist groß, dass Vermögensverschiebungen so unentdeckt bleiben und möglichen Anfechtungsansprüchen nicht nachgegangen wird.
Dienstleister
Doch gibt es überhaupt einen Weg, um sowohl Gläubigerinteressen zu sichern, als auch die Attraktivität der ESUG-Instrumente beizubehalten?
Vielleicht hilft ein Ansatz, der sich bei so grundsätzlichen Dingen wie der Kontrolle von Macht stets bewährt hat: Transparenz. Warum wird die Einleitung eines Schutzschirmverfahrens nicht zwingend veröffentlicht - die Stakeholder erfahren es ohnehin? Warum weigern sich die Beteiligten all zu oft, auch nur die Mitglieder von Gläubigerausschüssen zu benennen oder gar deren Auswahl zu erörtern? Warum haben Gläubigerversammlungen oft den Charakter von Privattreffen? Und warum tun sich selbst namhafte Verwalterkanzleien in Sachen Kommunikation mit Medien und Öffentlichkeit oft noch schwer?
Klar, die Standardantwort liegt auf der Hand: Egal ob ESUG- oder Regelinsolvenz - die Verfahren sind "nicht öffentlich". Nur: Warum eigentlich?