Interview mit BBDO-Chef Frank Lotze "Ohne Ideen sind Daten nutzlos"

Seite 3/3

Die Rolle des Fernsehens

Wie RTL und Sat.1 das Fernsehen veränderten
1. Januar 1984Die Ära des Privatfernsehens in Deutschland begann am 1. Januar 1984 um 9.58 Uhr. Die Programmgesellschaft für Kabel- und Satellitenrundfunk (PKS) ging um diese Zeit mit Sat1 auf Sendung, RTL plus folgte einen Tag später. Der damalige Geschäftsführer, Jürgen Doetz, begrüßte das Publikum gemeinsam mit Moderatorin Irene Joest vor den Fernsehern mit den Worten: „Meine sehr verehrten Damen und Herren, in diesem Moment sind Sie Zeuge des Starts des ersten privaten Fernsehveranstalters in der Bundesrepublik Deutschland.“ Quelle: dpa
2. Januar 1984Am 2. Januar 1984 sah das Publikum dann Helmut Thoma, damals Direktor der deutschen Programme, auf der Mattscheibe. Er begrüßte die Fernsehzuschauer zum Senderstart der ersten RTLplus-Sendung. RTLplus sendete damals aus Luxemburg sein deutschsprachiges Programm. 1988 zog der Privatsender nach Köln. Für Köln sprach, dass bereits wegen des WDR Übertragungsleitungen vorhanden waren. Quelle: dpa
8. April 1988Der junge Sender musste um das Publikum kämpfen. Erfolge verzeichnet RTL dabei unter anderem mit seiner Comedy-Spielshow „Alles Nichts Oder?!“ mit Hella von Sinnen und Hugo Egon Balder (hier im Jahr 2008). Trotz kleinem Budget und minimaler Ausstattung war das Moderatorenduo sehr gewinnbringend für den Sender. Die Grundidee war ein Kindergeburtstag für Erwachsene. Ein prominenter Gast musste an albernen Spielen teilnehmen und sich gegen die Moderatoren behaupten. Der Gewinn war eine Torte. Derjenige, der das Spiel verlor, musste seinen Kopf durch ein Loch in der Wand stecken, um dann die Torten aus dem Publikum ins Gesicht geworfen zu bekommen. Das klingt letztlich infantiler, als die Show tatsächlich war. Die Sendung lief bis 1992. Quelle: dpa
7. November 1988Große Erfolge brachte Sat.1 die Sendung „Glücksrad“ ein. Zum ersten Mal drehte es sich im Privatsender am 7. November 1988. Moderiert wurde die Ratesendung von Frederic Meisner (links) und Schauspieler Peter Bond (rechts), die sich wöchentlich abwechselten. Die Buchstabenfee, also die Dame, die die Buchstaben der Ratewand umdreht, war Maren Gilzer. Die Spiele-Show war montags bis freitags um 19.30 Uhr zu sehen. Wegen des hohen Erfolges wurde sogar 1991 eine samstägliche und eine sonntägliche Ausgabe ins Programm genommen. Fast sieben Jahre lang war das „Glücksrad“ damit täglich zu sehen. Vorbild für die Sendung war die US-Show „Wheel of Fortune“. Die Adaption ausländischer Formate wurde schnell zu einem Steckenpferd der Privaten – denn das brachte enormen Erfolg. Quelle: dpa
21. Januar 1990Die erste erotische TV-Show im deutschen Fernsehen war die Spiele-Show „Tutti Frutti“, moderiert von Hugo Egon Balder. Die Gäste konnten in Raterunden Punkte gewinnen, die sie in abzulegende Kleidungsstücke der Stripperinnen investierten. Den Privaten hing damals wegen zahlreicher Erotikfilmen im Nachtprogramm ein Schmuddel-Image an. „Tutti Frutti“ änderte daran nicht viel, wurde jedoch zum vieldiskutierten Gesprächsthema. Das Punktesystem begriff kaum jemand, nackte Haut wollten dafür genug Interessenten sehen. Ein Novum, was der Sender auch offensiv bewarb: Die Kandidaten mussten auch selbst Kleidung ablegen – und die Zuschauer durften hoffen, Nachbar oder Nachbarin in Unterwäsche zu erwischen. Die Sendung lief auf RTL bis 1993. Quelle: dpa
10. Dezember 1991Rosa von Praunheim präsentierte zu Beginn einer jeden Ausgabe der Show „Explosiv - Der heiße Stuhl“ eine Person, über die sie provokante Thesen aufstellte. Anschließend musste derjenige auf dem heißen Stuhl platznehmen und mit fünf weiteren Gästen über diese Thesen diskutieren. Dabei kam es zu lauten, persönlichen Diskussionen, die der Moderator immer wieder anheizte. Filmemacher Rosa von Praunheim outete in seiner Sendung außerdem die TV-Lieblinge Hape Kerkeling und Alfred Biolek als schwul, was einer der größten Skandale der TV-Geschichte war. Sein Kommentar dazu: „Mein Outing von schwulen Prominenten war ein Verzweiflungsschrei auf dem Höhepunkt der Aidskrise“, erklärt der heute 69-jährige Rosa von Praunheim auf seiner Website. Ihm ging es damals darum, schwule Sympathieträger, die versteckt lebten, zur Solidarität mit der Homosexuellengemeinschaft zu bewegen, weil es in ihr die meisten HIV-Infizierten und Aids-Toten zu beklagen gab. Generell war „Explosiv“ die wohl umstrittenste, da krawalligste Talkshow der privaten Fernsehsender. Quelle: dpa
19. Januar 1992Linda de Mol startete 1992 die Sendung „Traumhochzeit“ auf RTL. Die Sendung zählte mit bis zu elf Millionen Zuschauern zu den beliebtesten deutschen Fernsehsendungen der 1990er Jahre. Bis zum Jahr 2000 konnten in der Sendung drei Paare gegeneinander antreten, die (neben verschiedenen kleineren Preisen) eine Traumhochzeit gewinnen konnten. Der gigantische Erfolg der Samstagabend-Show legte den Grundstein für das Imperium der niederländischen Produktionsfirma Endemol, heute zweitgrößter Fernsehproduzent der Welt. Mitbegründer der Firma: Lindas Bruder John de Mol. Quelle: dpa

Welche Rolle spielt das Fernsehen noch?

Werbefilme werden immer das dominante Format sein. Nichts emotionalisiert mehr. Ob die Filme dann im TV oder auf dem Tablet laufen, ist egal.

Aber ist Opas Fernsehen wirklich noch attraktiv genug als Werbeumfeld? Die kaufkräftigen Zuschauer wandern ab, und auch die Älteren sehen immer häufiger Filme und Serien auf Web-Portalen wie Watchever oder bei Amazon.

Man muss sich die Frage stellen, ob die TV-Sender genug für ihr Medium tun. Sind sie innovativ genug, produzieren sie ausreichend gute Formate, erregen sie die Neugier der Zuschauer? Für meinen Geschmack könnten die Sender hier mehr unternehmen. Eine Agentur sucht ein attraktives Werbeumfeld, weil sie viele Menschen erreichen möchte für ihre Kunden. Mein Eindruck ist, dass das traditionelle Fernsehen dies oft nicht optimal erfüllt.

Woran liegt das?

Die Programmverantwortlichen setzen häufig auf Althergebrachtes, auf bekannte Muster, die sich dann totlaufen. Mittlerweile ist ja schon jede deutsche Familiensaga durchgefilmt worden. Oder die immer gleichen Castingshows, die rauf und runter laufen. Dabei suchen die Zuschauer durchaus nach neuen Formaten. Da ist es kein Wunder, dass immer mehr Leute – vor allem die jüngeren – ins Internet zu den Portalen abwandern. Allerdings ist das kein Naturgesetz. Es gibt genug Vorbilder für kreative Inhalte, die funktionieren.

Woran denken Sie?

In den USA gibt es gerade eine regelrechte Renaissance des Fernsehens dank toller Serien wie „House of Cards“ oder „Game of Thrones“. Das sind einzigartige Formate. Damit lassen sich Millionen vor die Bildschirme locken. Bei uns wird stattdessen die nächste Kochshow serviert, bis uns das Ganze zum Hals raushängt. Entscheidend ist die Qualität des Inhalts und nicht die Berechtigung des Mediums an sich.

Aber zersplittert das Publikum nicht dennoch in immer kleinere Fraktionen?

Das ist so, wird aber allzu oft auch schlicht als Ausrede für sinkende Quoten missbraucht. Denn gleichzeitig vernetzen sich die Leute auch so stark wie nie zuvor. Und das müssen wir genauso berücksichtigen wie die angebliche Zersplitterung. Werbung muss Menschen clustern und versammeln, ich kann nicht jeden individuell ansprechen, das wäre völlig ineffizient. Wir müssen möglichst viele Menschen mit einer Werbebotschaft erreichen.

Angeblich brechen doch gerade für Werber goldene Zeiten an, weil sie dank Big Data – den Unmengen von Daten, die jeder Internet-Nutzer hinterlässt– individualisierte Werbung schneidern können?

Daten sind ein toller Rohstoff, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Mit ihrer Hilfe können wir Zielgruppen segmentieren: Wen will und kann ich erreichen? Mit welcher Botschaft? Erreiche ich die richtigen? Wann sind sie empfänglich für die Werbebotschaft? Aber selbst, wenn ich Tausende von Daten beisammen habe, braucht es noch immer die kreative Idee, die packende Story der Marke, mit der ich Menschen erreiche und involviere. Ohne solche Ideen sind Daten nutzlos. Daten sind Teil der Lösung. Aber sie sind nicht die Lösung.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%