




Wird Weselsky mürbe?
Nein, im Gegenteil. Er sonnt sich ja offensichtlich in der ihm zuteilwerdenden Aufmerksamkeit. Jetzt kann er den gnädigen Gewerkschaftschef spielen, der die Menschen wieder Bahn fahren lässt.

Unter anderem wurde Weselskys Telefonnummer veröffentlicht. Hat die Medienhetze ihr Ziel erreicht?
Was heißt hier Medienhetze? Weselsky hat den Streit mit der Öffentlichkeit gesucht, er hat beispielsweise tausende Familien nicht in die Ferien fahren lassen. Wer dieses Spiel beginnt, muss auch mit den Folgen leben können.
Was könnte Weselsky jetzt noch dazu bringen, wenigstens eine vorübergehende Einigung zu unterschreiben?
Die Einigung kommt erst, wenn Weselsky das Gefühl hat, einlenken zu müssen. Der öffentliche Druck muss erhöht werden – aber nicht auf der emotionalen Ebene gegen ihn selbst, sondern gegen die Sache.
Wie kann das aussehen?
Weselskys Machtposition ist auf die Zustimmung seiner Gewerkschaftsmitglieder begründet. Wenn diese seinen Kurs nicht mehr mittragen, muss er einlenken oder gehen. Da können zum Beispiel auch Sie und ich jeden Tag mitwirken: Sprechen Sie Lokführer, Schaffner und Zugpersonal an, wenn Sie ihnen am Bahnhof begegnen. Teilen Sie ihnen Ihre Meinung mit. Wenn die Zustimmung an der Basis bröckelt, muss die Führung umdenken.
Was die GDL erreichen will
Wie immer geht es zwischen Arbeitgeber und den Gewerkschaften um Einkommen, Arbeitszeit und Arbeitsbedingungen. Das Besondere an diesem Tarifkonflikt ist jedoch, dass zusätzlich die GDL (34 000 Mitglieder) mit der viel größeren Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG (210 000 Mitglieder) um die Vertretungsmacht bei einem Teil der Belegschaft konkurriert. Die Bahn wiederum will Tarifkonkurrenz vermeiden. Für eine Berufsgruppe soll ihrer Meinung nach nur ein Tarifvertrag gelten.
Die GDL will die Verhandlungsmacht auch für rund 8800 Zubegleiter, 2500 Gastronomen in den Speisewagen, 3100 Lokrangierführer sowie 2700 Instruktoren, Trainer und Zugdisponenten. Das macht zusammen 17 100 Mitarbeiter. Mit den rund 20 000 Lokführern bildet die GDL daraus die Gruppe „Zugpersonal“ mit 37 000 Mitarbeitern. In dieser Gruppe habe sie die Mehrheit der Mitglieder. Die EVG hält von der GDL vorgenommene Zusammenführung für willkürlich und bezweifelt deren Zahlenangaben.
Das ist der heikle Punkt, weil die Gewerkschaften aus dem Organisationsgrad ihr Verhandlungsmandat für die jeweiligen Berufsgruppen ableiten. Wer stärker ist, soll in Tarifverhandlungen das Sagen haben. Die Frage ist jedoch, welche Organisationseinheit man dabei betrachtet: Einen Betrieb, ein Unternehmen im Konzern, eine Berufsgruppe? Je nach dem kann die Mehrheit mal bei der einen, mal bei der anderen Gewerkschaft liegen.
Bei den Lokführern ist die Sache klar: 20.000 sind bei der Bahn beschäftigt. Die GDL reklamiert 78 Prozent von ihnen als ihre Mitglieder, das wären etwa 15.500. Die EVG gibt ihre Mitgliederzahl unter den Lokführern mit 5000 an, davon seien 2000 Beamte. Das geht nicht ganz auf, selbst wenn alle Lokführer gewerkschaftlich organisiert wären. Aber: Das Kräfteverhältnis ist eindeutig, drei zu eins für die GDL. Schwieriger und umstritten ist es bei den übrigen rund 17.000 Mitarbeitern, die nach GDL-Definition zum Zugpersonal zählen. Die EVG sagt, 65 Prozent der Zugbegleiter und 75 Prozent der Lokrangierführer seien bei ihr organisiert. Das wären zusammen allein bei diesen beiden Berufsgruppen 9860 Beschäftigte. Die GDL macht eine andere Rechnung auf: 37.000 Beschäftigte (inklusive Lokführer) gehörten zum Zugpersonal. Davon seien 19.000 GDL-Mitglieder, das sei eine Mehrheit von 51 Prozent.
Für die GDL ist das sehr bedeutsam. Denn ein solches Gesetz könnte ihre Handlungsmöglichkeit einschränken. Möglicherweise verlöre sie in bestimmten Ausgangslagen das Streikrecht. Damit wäre die GDL wie andere Berufsgewerkschaften in ihrer Existenz bedroht. Die GDL hat bereits angekündigt, dass sie ein solches Gesetz vom Bundesverfassungsgericht überprüfen lassen würde.
Streiks in rascher Folge, Lähmung des öffentlichen Lebens und der Wirtschaft sollen erschwert werden. Die Diskussion hatte durch ein Urteil des Bundesarbeitsgerichtes schon vor vier Jahren an Fahrt gewonnen. Die Richter stärkten die Tarifvertrags-Vielfalt und die Konkurrenz unter großen und kleinen Gewerkschaften. Der Grundsatz „Ein Betrieb - ein Tarifvertrag“ wurde damals hinfällig.
Wie sollte sich die Bahn in dieser Situation verhalten?
Der finanzielle Schaden, den die Deutsche Bahn durch die Streiks nimmt, muss öffentlich gemacht werden. Bei der Bahn gab und gibt es einen Solidaritätsgedanken, auf den sich übrigens auch Weselsky immer wieder beruft. Diesen Gedanken sollte die Bahn fördern, dass die GDL-Lokführer nicht nur an sich selbst, sondern auch an die anderen denken. Denn momentan schadet ihr Verhalten dem Unternehmen enorm.
Warum ist der Streik überhaupt so eskaliert?
Die Bahn würde alle Forderungen der GDL erfüllen – bis auf eine. Das ist aber die entscheidende, das die GDL für das gesamte Zugpersonal verhandelt. Die Bahn kann gar nicht zusagen, weil das rechtlich nicht möglich ist. Wir reden nicht über einen Tarifkonflikt, in dem es um Lohnerhöhungen geht. Die GDL führt einen Machtkampf. Und solange sie diesen nicht abbläst, kann es nur schwer eine Einigung geben.