Istanbuls neuer Flughafen Der große Umzug

Ein Flieger von Turkish Airlines startet vom neuen Flughafen Istanbul. Quelle: REUTERS

In Istanbul hat der neue Großflughafen seinen Betrieb aufgenommen. In einigen Jahren könnte er der größte Airport der Welt sein. Doch es gibt Kritik an dem Prestigeprojekt von Staatschef Recep Tayyip Erdogan.

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Konstantinopel, wie Istanbul bis zur türkischen Eroberung 1453 hieß, verdankte seine Größe und seinen Reichtum der exzellenten Lage an den großen Schifffahrtswegen. Wer Handel im östlichen Mittelmeer trieb, kam an dieser Stadt, die das Schwarze Meer vom Mittelmeer und Asien von Europa trennt, nicht vorbei.

Was die Schifffahrtswege einst waren, ist heute der Luftverkehr. So zumindest sieht es die türkische Regierung: Istanbul als Schnittstelle von Europa und Asien. Mit dem Umzug vom Atatürk Airport zum neuen Flughafen, der schlicht „Istanbul“ heißt, will man diesem geostrategischen Ziel nun näherkommen.

Dieser Mega-Umzug begann in den Morgenstunden des 6. April. In den folgenden 45 Stunden transportierten rund 700 Lastwagen und 800 Arbeiter 10.000 Ausrüstungsteile, Maschinen, und Fahrzeuge mit einem Gewicht von 47.000 Tonnen. Seit Samstag 14 Uhr fliegen nun alle Passagierflieger der Linie Turkish Airlines vom neuen Flughafen. Er übernimmt das alte Kürzel IST von seinem Vorgänger.

Der Flughafen soll in einer ersten Phase bis zu 90 Millionen Passagiere im Jahr abfertigen. Die Betreiber – ein Konsortium aus fünf regierungsnahen Baufirmen mit Namen IGA (Istanbul Grand Airport) – rechnen bis 2023, dem 100-jährigen Jubiläum der Republik mit rund 100 Millionen Passagieren jährlich. So viel hat zur Zeit der größte Flughafen der Welt, Atlanta in den USA. 2028 soll der Flughafen Istanbul sogar eine Kapazität von 200 Millionen Passagieren pro Jahr haben.

IST will vor allem Transit-Flughäfen wie Dubai Konkurrenz machen, während der alte Flughafen weiter als Luftfracht-Zentrum genutzt werden soll.

Der neue Flughafen liegt 50 Kilometer nördlich des europäischen Teils der Stadt am Schwarzen Meer. Er misst 76,5 Millionen Quadratmeter, das sind etwa 10.000 Fußballfelder. Damit ist er achtmal so groß wie der alte Istanbuler Atatürk-Airport.

Der Bau hatte 2014 begonnen und sollte ursprünglich bereits 2017 fertiggestellt werden. Die Inbetriebnahme des Flughafens war mehrfach verschoben worden. Dennoch eröffnete Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan den Flughafen offiziell im Oktober 2018 – obwohl zunächst nur wenige Flüge nach Ankara und Baku stattfanden. Der große Umzug wurde zunächst auf den Jahreswechsel, dann auf März verschoben und schließlich auf den 6. April verlegt.

Ganz glimpflich verlief der „Great Move“ dennoch nicht. Anders als geplant hat zunächst nur Turkish Airlines ihre Flüge verlegt. Kleinere Fluggesellschaften folgen erst später nach. Zu Problemen war es auch gekommen, da mehrere Flüge rund um das Wochenende gestrichen oder verlegt worden waren.

Kritik am Bau

Kontrovers diskutiert wurde das Projekt von Anfang an. Umweltschützer beklagten, dass für den Bau 650.000 Bäume gefällt werden mussten. Andere warnten, die Grundwasserversorgung der 16-Millionen-Metropole Istanbul könnte massiv beeinträchtigt werden. Der Flughafen liege außerdem mit 60 Metern über dem Meeresspiegel zu tief. 105 Meter seien empfohlen. Starke Winde und Nebel vom Schwarzen Meer könnten zudem den Flugverkehr beeinträchtigen.

Vor allem aber wurde Kritik an den Arbeitsbedingungen laut. Um den Zeitplan einzuhalten, hatten zahlreiche Subunternehmer ihren Angestellten Überstunden abverlangt. Deswegen und wegen fehlender Sicherheitsvorkehrungen sollen seit 2005 27 Arbeiter ums Leben gekommen sein. Andere Quellen sprechen sogar von 400 Todesfällen.

Kritik an der Lage

Die Istanbuler stöhnen zwar wegen der langen Anfahrtswege zum neuen Flughafen. Eine Zug- oder Metro-Verbindung existiert noch nicht. Andererseits war jedem Besucher klar, dass der alte Atatürk-Flughafen heillos überlastet ist. Nicht selten parkte der Flieger in der hintersten Ecke des überfüllten Flughafens. Passagiere mussten dann lange über das Gelände fahren, bis sie das Terminal erreichten. Dort stießen sie an der Passkontrolle häufig auf Schlangen gewaltigen Ausmaßes.

Kein Wunder: Die Fluggesellschaft Turkish Airlines war in den vergangenen Jahren mit staatlicher Unterstützung auf einen rapiden Expansionskurs gegangen. So wuchs die Zahl der Passagiere von knapp 30 Millionen in 2009 auf 68 Millionen im Jahr 2017.

Der zweite, kleinere Flughafen auf der asiatischen Seite der Stadt, Sabiha Gökcen, fertigt im Jahr nochmals rund 20 Millionen Passagiere ab. Er soll bis auf weiteres in Betrieb bleiben.

Erdogans Infrastrukturprojekte

Für den Präsidenten ist der neue Flughafen eines seiner wichtigsten Prestigeprojekte. Während Erdogans Regierungszeit wurde außerdem eine dritte Brücke über den Bosporus gebaut (die bisher kaum genutzt wird). Fragwürdig ist der geplante „Istanbul Canal“. Parallel zum Bosporus soll ein künstlicher Wasserweg gegraben werden, damit noch mehr Schiffe vom Schwarzen Meer ins Mittelmeer passieren können – und Ankara dafür Gebühren erheben kann. Die Durchfahrt durch den Bosporus ist nämlich kostenlos.

Verglichen damit gilt der neue Flughafen am Schwarzen Meer zwar als ambitioniert, nicht aber als megaloman. Tatsächlich macht ihm strategisch so schnell niemand seine Bedeutung streitig. Zwischen den vier großen europäischen Flughäfen (London Heathrow, Paris Charles de Gaulles, Amsterdam Schiphol und Frankfurt) und den ostasiatischen Metropolen Peking, Shanghai und Tokyo liegt außer Dubai am Persischen Golf eben nur Istanbul.

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