ITB Warten auf die Urlaubsstimmung

Die Reisebranche ist verschreckt: Die Deutschen haben weniger Lust zu verreisen. Ihren Sommerurlaub haben sie immer noch nicht gebucht. Oft bleiben sie einfach in Deutschland. Für Reiseveranstalter ist das ein Problem.

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Ausgerechnet die zahlungskräftigen Senioren verzichten dieses Jahr auf Auslandsreisen. Quelle: dpa

Für die Reisebranche ist es ein wichtiges Jubiläum: Zum 50. Mal treffen sich Touristiker aus der ganzen Welt auf der Urlaubsmesse ITB in Berlin, mittlerweile die größte Reisemesse der Erde. Das wäre ein Grund zum Feiern. Nur ist vielen Touristikern danach nicht zumute. Denn ausgerechnet in Deutschland, dem Land der Reiseweltmeister, sinkt die Urlaubslust - und das zum ersten Mal seit sieben Jahren.

Ausgerechnet im Januar und Februar lagen die Buchungszahlen weit unter Vorjahr. Für die Branche ist das ein schlechtes Omen: Zum Jahresanfang verplanen die Deutschen ihren Jahresurlaub. Familien buchen ihren Sommerurlaub, die teuerste Reise des Jahres. Nur dieses Jahr nicht: Die Reisebüros verzeichnen um die zehn Prozent weniger Buchungen. Damit sind es nun schon rund eine Millionen Deutsche, die ihren Sommerurlaub bisher noch nicht gebucht haben, ermittelten die Marktforscher der GfK.

Dabei gilt das längst nicht für alle Länder: In Spanien und Portugal freuen sich die Hoteliers jetzt schon auf neue Urlauberrekorde. Entsprechend steigen die Preise. Wer zum Beispiel nach Fuerteventura möchte, muss fast neun Prozent mehr zahlen als im vergangenen Jahr.

Anders Tunesien, Ägypten oder auch die Türkei - diese Länder meiden die Urlauber. Allein im Februar sanken die Buchungen für Antalya um 42 Prozent, ermittelte das Branchenmagazin fvw.

Diese Nationen verreisen am meisten

Damit ist der Grund für die mangelnde Reisefreude schnell gefunden: Die Urlauber sind verunsichert, durch Terroranschläge in der Innenstadt von Istanbul und auch Paris, durch Flugzeugabstürze in Ägypten und dem Massaker am Hotelstrand in Tunesien im vergangenen Sommer. Doch im Gegensatz zu anderen Katastrophen scheinen die Bilder im Kopf der Menschen diesmal nicht zu verblassen.

Länger als üblich bleiben die Reisende den sonst so beliebten Urlaubsorten fern. Katastrophen, so heißt es in der Branche, seien in der nächsten Saison oft schon vergessen. Doch die Regel scheint nicht mehr zu gelten: Mehr als jeder Vierte Deutsche will sein Reiseverhalten ändern, ermittelte die GfK in einer aktuellen Studie im Auftrag des Branchenmagazins fvw. Damit hat sich die Zahl der Verunsicherten nach den Anschlägen in Paris im November sogar noch erhöht.

Das sind die Reisetrends für den Sommer 2016
Kein Urlaubsverzicht Die Wahl des Sommerurlaubsziels mag sich in diesem Jahr zwar verschieben, einen generellen Reiseverzicht hält die Leiterin von Travel & Logistics Germany bei GfK - Dörte Nordbeck -, jedoch aufgrund des guten Konsumklimas, der Beschäftigungslage und der Einkommenszuwächse für höchst unwahrscheinlich. Ihrer Meinung nach unterstreichen die Zuwächse bei mehrtägigen Urlaubsreisen und sonstigen Privatreisen von fast sechs Prozent "die Bedeutung, die Reisen und Urlaub bei den Deutschen genießen". Immerhin haben die Deutschen für Urlaubsreisen insgesamt mehr als 58 Milliarden Euro springen lassen.Quelle: GfK-Analyse zum Reiseverhalten der DeutschenStand: Ende Januar 2016Zur Studie: GfK hat die Buchungsdaten von rund 1200 Reisebüros und 19.000 Privathaushalten, die monatlich zu ihrem Reise- und Buchungsverhalten befragt wurden, ausgewertet. Aussagen im Text beziehen sich auf das abgelaufene Kalenderjahr 2015. Quelle: dpa
Verunsicherte UrlauberTerroranschläge, Kriege im Nahen Osten und die anhaltende Flüchtlingskrise in Europa haben Spuren hinterlassen. In der Tourismusindustrie äußern sich die Krisen in Form von Umsatzeinbrüchen. Viele deutsche Urlauber warten derzeit - wie es scheint - erst einmal ab, wie sich die Sicherheitslage und die anhaltenden Flüchtlingsströme im Mittelmeerraum entwickeln, bevor sie ihre Urlaubsentscheidung treffen. Insbesondere Familien, die mit Kindern verreisen, sind vorsichtig. Im Vergleich zum Vorjahr haben bisher fast eine Million Bundesbürger weniger ihren Sommerurlaub für 2016 gebucht. Besonders betroffen von den Einbußen ist der östliche Mittelmeerraum, wie eine aktuelle GfK-Analyse zum Reiseverhalten der Deutschen offenlegt. Quelle: dpa
Junge Erwachsene und Best Ager besonders reiselustigAuch die demographische Entwicklung spiegelt sich in den Reisetrends wider: Die Altersgruppe ab 50 Jahren steht bei Urlaubsreisen bereits für 55 Prozent der Gesamtausgaben. Besonders zugenommen hat die Reiselust bei jungen Erwachsenen im Alter von 20 bis 34 Jahren. In dieser Referenzgruppe lässt sich eine steigende Reiseintensität von 15 Prozent beobachten. Zudem ist die Zahl Alleinreisender überproportional stark gewachsen (plus 10 Prozent), ebenso die der Kleinfamilie mit einem Kind (plus 12 Prozent). Quelle: obs
Badeurlaub am beliebtestenSpitzenreiter bleibt - in Bezug auf die Urlaubsform - der Badeurlaub am Meer oder See mit einem Umsatzanteil von 35 Prozent. Auf Basis der Ausgaben folgen darauf Pauschalreisen, die knapp die Hälfte aller Urlaubsreisen ausmachen. Sehr gut entwickeln sich Bausteinreisen, bei denen Flug, Hotel und gegebenenfalls weitere Reisebausteine spontan zusammengestellt werden. Sie wachsen mit 18 Prozent überdurchschnittlich. Ebenfalls wachsender Beliebtheit erfreuen sich Rund- und Studienreisen, die einen Anteil von 20 Prozent ausmachen. Urlaub in den Bergen und Wellnessreisen haben dagegen leicht an Bedeutung verloren. Quelle: gms
NahzieleWas die Urlaubsziele betrifft, sind im Sommer 2016 - nicht zuletzt wegen des hohen Anteils bei der Eigenanreise mit dem Auto - Nahziele bei deutschen Urlaubern sehr beliebt: Laut GfK-Studie zum Reiseverhalten der Deutschen machen sogenannte "erdgebundene Reisen" einen Umsatzanteil von neun Prozent aus. Das entspricht einem Zuwachs von zwei Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Auch einen Urlaub im eigenen Land ziehen viele Deutsche in Betracht: Unter den gebuchten Veranstalterreisen wächst der Deutschlandurlaub aktuell um 12 Prozent. Quelle: dpa
Kreuzfahrten12 Prozent des Umsatzes von Reisebüros geht auf von Deutschen gebuchte Kreuzfahrten für den Sommer 2016 zurück. Diese Reiseform konnte ein Umsatzplus von vier Prozent verzeichnen. Der Trend lässt vermuten, dass die Deutschen diese Reiseform für sicherer halten als andere. Quelle: obs
FernreisenMit einem Umsatzanteil von 14 Prozent sind Fernreisen neben Urlaub am westlichen und östlichen Mittelmeer in diesem Jahr die drittbeliebteste Reiseform. Allerdings zeichnet sich in Bezug auf die Reiseziele ein sehr durchwachsenes Bild ab: Mit den Trendzielen Kuba (Umsatzplus von 27 Prozent) und Dominikanische Republik erlebt die Karibik einen regelrechten Boom. Auch die afrikanischen Reiseländer – allen voran Südafrika und Namibia – erholen sich nach den Einbrüchen während des Ebola-Ausbruchs zunehmend (plus 12 Prozent). Starke Fernreiseziele wie die USA, die Malediven oder Thailand sind bei den deutschen Urlaubern jedoch weniger nachgefragt als noch vor einem Jahr. Mit Umsatzrückgängen zwischen 11 und 21 Prozent sorgen diese volumenstarken Fernreiseziele dafür, dass die Fernreisen insgesamt zum aktuellen Buchungsstand eine negative Entwicklung von -6 Prozent aufweisen. Quelle: obs

Israelis reisen in den Schwarzwald

Der große Gewinner dieser Verunsicherung ist ausgerechnet Deutschland selbst. Die Hoteliers zwischen Flensburg und Freiburg erwarten mehr Gäste als je zuvor. Viele Deutsche fahren nun an die Ostsee statt in den Osten der Türkei. Die GfK verzeichnete 12 Prozent mehr Urlauber, die im Sommer einfach im eigenen Land ausspannen wollen. Und auch Reisende anderer Nationen schätzen Deutschland als vermeintlich sicheres Reiseland. So ist etwa der Schwarzwald ein beliebtes Reiseziel für Israelis.

Für die Deutschen Reiseanbieter allerdings ist der Ferienrekord in Deutschland keine gute Nachricht: Zwar ist der Urlaub in Deutschland beinahe genauso teuer wie ein Pauschal-Urlaub in der Türkei. Allerdings geben die Menschen ihr Geld dann eher für gutes Essen und für das Shoppen aus, wovon die Reiseveranstalter kaum profitieren. Außerdem entfällt der Flug, der für Tui und Co ein wichtiger Umsatzbringer ist. Auch deshalb loben die Reiseveranstalter kurz vor der ITB in ihren Prospekten und Pressemitteilungen lieber die Vorzüge von Griechenland oder Spanien - und auch für die Türkei.

Noch haben Tui und Co ihre Hoffnungen nicht aufgegeben, dass sie ihre Hotels rund um Antalya noch füllen können. Die Kunden würden nur später buchen als bisher, heißt es etwa bei Tui. "Die türkischen Hotels reagieren mit sehr attraktiven Preisen in hochwertigen Hotels", verkündet der deutsche Marktführer in einer Pressemitteilung. Auf der ITB immerhin preisen Hotels und Urlaubsorte in einer ganzen Halle die Vorzüge der Türkei. Vielleicht hilft es.

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