Jahreszahlen von Air France-KLM Vom hoffnungslosen Fall zum Einserschüler

Die bessere Hälfte: Bei Air France-KLM verdient die niederländische Tochter deutlich mehr Geld als die französische. Quelle: imago images

Hohe Kosten, Aktionäre mit schädlichen Absichten und hohe Schulden machten Air France-KLM vor Corona zum hoffnungslosen Fall. Doch dank der Reformen des neuen Chefs hat die Gruppe wieder aufgeholt.

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Wenn sich die Manager der großen europäischen Airlines etwas besser fühlen wollen, blicken sie gern nach Paris. Dabei geht es ihnen weniger um die vielen Sehenswürdigkeiten oder die Restaurants der französischen Hauptstadt, sondern um Air France-KLM. Denn so sehr andere Fluglinien unter ihren Problemen litten, bei Dingen wie Profitabilität, Streiks und vor allem der (fehlenden) Aussicht auf Besserung war die Gruppe immer ein wenig schlechter dran.

Seit dieser Woche dürften die Konkurrenten deutlich weniger mitleidig auf den französisch-niederländischen Verbund blicken. Denn mit der Bilanz für das Geschäftsjahr 2021 zeigt sich der vom Umsatz her zweitgrößte europäische Flugkonzern in erstaunlich guter Form. Zwar beendete die Linie das Gesamtjahr mit 3,3 Milliarden Euro Verlust. Doch das zweite Halbjahr endete positiv: nicht nur das Fracht- und das Wartungsgeschäft verdiente operativ Geld, auch im Flugbetrieb blieben trotz der Reisebeschränkungen durch Omikron rund 300 Millionen Überschuss. Nach gut sieben Milliarden Euro Verlust 2020 möchte das Unternehmen im kommenden Jahr zumindest wieder ein ausgeglichenes Ergebnis schreiben. „Die Linie hat sich von allen europäischen Netzwerklinien am schnellsten von Corona erholt“, lobt Alex Irving, Analyst beim New Yorker Brokerhaus Bernstein. Wenn in den kommenden zwei Wochen Lufthansa und die British-Airways-Mutter IAG ihre Zahlen vorlegen, erwarten er und seine Kollegen keine besseren Zahlen als am Donnerstag aus Paris.

Damit gelingt der Linie eine große Überraschung. Denn die Pandemie traf Air France-KLM nicht nur härter als andere. Weil das Unternehmen auch in der langen Boomphase vor dem aktuellen Einbruch fast kein Geld verdiente, galt es fast als hoffnungsloser Fall – bis der neue Chef Ben Smith alles drehte. 

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Für dem Abschwung hatte eine fast beispiellose Kombination negativer Faktoren gesorgt. Zwar galt die Gruppe als Vorreiter der Branche als sie im Jahr 2004 aus dem ersten großen Zusammenschluss von zwei großen Fluglinien in Europa entstand. „Wir sind eine ideale Kombination“, jubelten damals die Chefs der Partnerlinien Jean-Cyril Spinetta aus Frankreich und der Niederländer Leo van Wijk. Die Idee der beiden war simpel: Air France lieferte einen großen Markt mit vielen Premiumkunden sowie mit Charles-de-Gaulle in Paris einen Flughafen mit fast unbegrenzten Wachstumsmöglichkeiten. KLM sorgte für den innovativsten Flugbetrieb Europas und hatte mit dem Airport in Amsterdam das wohl effizienteste Drehkreuz der alten Welt. Am Ende sollte die Kombination starkes Wachstum bringen, dank der Synergien die Kosten drücken und so den Verbund extrem wettbewerbsfähig machen.

Doch im Alltag blieb letztlich wenig von dem Plan. Zwar verbesserte die KLM weiterhin ihren Flugbetrieb und lieferte neben steigenden Gewinnen auch reichlich Ideen nach Paris, doch Air France übernahm wenig davon. Jedes Mal, wenn ein Sparprogramm anstand, sperrten sich die gallischen Gewerkschaften und der französische Staat bremste die Reformen – aus Angst vor langen Arbeitskämpfen. So entstand am Ende eine gefährliche Mischung: Air France behielt die mit gut einem Drittel vom Umsatz höchsten Arbeitskosten. KLM hielt sich in Sachen Synergien zu ihren Lasten zurück und arbeitete wie ein Silo vor allem für sich selbst. Um den Standort Niederlande zu sichern, übernahm die sonst eher auf Privatisierung orientierte Regierung in Den Haag sogar rund zehn Prozent der Anteile. Die Konkurrenten zogen vorbei, indem sie eigene Verbünde bauten wie Lufthansa mit Swiss und später Austrian Airlines und Brussels. British Airways gründete mit Iberia und Vueling aus Spanien die IAG, zu der später die irische Aer Lingus dazustieß.



Hoffnung auf Besserung gab es in Paris nur kurz im Jahr 2018 als die effizienteste Traditionslinie Delta Airlines aus den USA und China Eastern aus Shanghai einen größeren Anteil der Aktien übernahmen. Doch auch die Partnerlinien hatten wenig Interesse an Effizienz oder gar mehr Dividende. „Alle wollten das gleiche wie die Staaten und Belegschaftsaktionäre: einen großen Flugbetrieb mit möglichst vielen Verbindungen“, so Analyst Irvin. Den Regierungen und den Beschäftigten brachte das mehr Jobs und es stärkte den Standort. Die Airlinepartner konnte ihren Kunden so mehr Flüge bieten, ohne dafür zahlen zu müssen.  

Die Wende kam 2018 in einer unerwarteten Form. Weil wegen der vielen Probleme und Vorfällen, wie etwa dem weitgehenden Stopp des konzerneigenen Billigfliegers Transavia oder körperlichen Angriffen auf Vorstände, alle heimischen Kandidaten für den Chefposten abgesagt hatten, hoben die bestimmenden staatlichen Aktionäre den ehemaligen Air-Canada-Manager Ben Smith an die Konzernspitze. Es wirkte wie eine Notbesetzung, nicht zuletzt, weil der gebürtige Brite mit Vorfahren aus Hongkong und Australien in fast allem das Gegenteil der französischen Wirtschaftselite war. Der heute 50-Jährige war unverheiratet, hatte keine unter Topmanagern üblichen Eliteschulen besucht und sprach kein Französisch. Dazu hatte er weder innerhalb noch außerhalb des Unternehmens viele Kontakte. Darum kursierten vor allem skurrile Geschichten über ihn, etwa über seine fast manisch penible Handhygiene. „Ben konnte halt einfach nur Airlines managen, aber das ziemlich gut“, sagt einer der ihn aus Kanada kennt. 

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Doch der Eigenbrötler Smith überraschte alle. Er lernte so schnell Französisch, dass er bald Pressekonferenzen in der Sprache seiner neuen Heimat abhielt. Er und sein inneres Führungsteam stellte einen detaillierten Rettungsplan auf. Und Smith warb dafür persönlich vor dem Personal. Mit Erfolg: Obwohl vor allem Air France Tausende Jobs abbauen sollte, zog die bislang so oft renitente Belegschaft mit. Viele Flugbegleiter lobten den ungewohnten Chef sogar gegenüber den Passagieren mit „Ben? Est bon.“

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Selbst die Coronakrise erwies sich sodann als vergleichsweise geringes Übel. „Alle fürchteten im Frühjahr 2020, wenn der Konzern schon so geschwächt in die Krise geht, könnte es ihn umhauen“, so ein Kenner des Konzerns. Die Linie verlor nicht nur noch mehr als ihre Wettbewerber. Sie musste auch deutlich höhere Schulden aufnehmen als alle Konkurrenten, um zahlungsfähig zu bleiben. 
 

Jedoch letztlich erleichterte der dramatische Corona-Einbruch sogar die Umsetzung der nötigen Veränderungen. Es folgte ein Personalabbau um rund zwölf Prozent und Verhandlungen über neue Preise mit Lieferanten. Zusammen mit effizienteren Abläufen, einer besseren Zusammenarbeit der beiden Landesgesellschaften und den niedrigeren Kosten (etwa durch eine modernere und einheitlichere Flotte) sanken die Ausgaben gemessen an 2019 bereits um gut zehn Prozent. Bis 2026 sollen sie um weitere zehn Prozent sinken.

Gleichzeitig steigerte Smith die Durchschnittspreise, indem er das Angebot geschickt ausbaute. Er kürzte vor allem die Zahl der Mittelstreckenflugzeuge um ein Zehntel und schickte den Rest statt auf Verlust bringende Inlandsflüge innerhalb von Frankreich auf Urlaubsrouten rund ums Mittelmeer sowie Strecken in frankophone Länder Nordafrikas. Bei der Langstrecke wuchsen ebenfalls vor allem die Ferienziele sowie Verbindungen in die französischen und niederländischen Überseegebiete. 
Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Während Wettbewerber wie Lufthansa oder IAG Ende des Jahres noch unter Vorkrisenniveau bilanzieren, konnte Air France-KLM die operative Marge im Vergleich zu Ende 2019 auf 3,7 Prozent mehr als verdoppeln. „Und bis 2024 werden wir das auf bis zu acht Prozent verdoppeln“, verspricht Smith. Damit, so das Versprechen, könne der Konzern dann auch die Schulden tilgen.

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Noch sind nicht alle im Konzern und im Rest der Branche vom Gelingen überzeugt. „Wenn Smith das wirklich schafft, wäre das ein kleines Wunder“, so ein Manager eines Wettbewerbers. „Doch das hätte ich auch schon vor drei Jahren über seinen jetzt so erfolgreichen Rettungsplan gesagt.“

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