Jobst Wellensiek Der „Herr der Pleiten“ ist gestorben

Der

Jobst Wellensiek, einer der großen und prägenden Insolvenzverwalter Deutschlands, ist im Alter von 90 Jahren gestorben. Als einem der ersten Verwalter ging es ihm darum, Firmen zu retten, statt sie nur abzuwickeln.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Die Technik hakt. Erst nach einigen Versuchen ist Jobst Wellensiek am Telefon gut zu verstehen. Er nimmt’s gelassen. Er sitze ohnehin am Schreibtisch in seiner Heidelberger Kanzlei, berichtet Wellensiek. Was er denn im Büro tut? Im stolzen Alter von 88 Jahren? Im Grunde das, was er schon immer getan hat, sagt Wellensiek: Rat geben, zuhören und sich um Unternehmen in der Krise kümmern.

Gut zwei Jahre liegt das Gespräch nun zurück. Es sollte sein letztes großes Interview werden: Am 4. November ist Wellensiek, einer der großen und prägenden Insolvenzverwalter Deutschlands, im Alter von 90 Jahren gestorben.

Mehr als 60 Jahre war er als Rechtsanwalt zugelassen. „Bereits in frühen Jahren machte er sich einen Namen als Konkurs- und später als Insolvenzverwalter, indem er neue Wege ging“, heißt es in einer Mitteilung seiner Kanzlei. Über 900 Insolvenzen hat Wellensiek betreut. Er war in verschiedenen Funktionen bei zahlreichen Großverfahren im Einsatz, unter anderem bei der Vulkan-Werft, beim Stahlkonzern Klöckner, bei der früheren DDR-Fluggesellschaft Interflug, der Eisenwerksgesellschaft Maxhütte und der Expo Hannover. „Herr der Pleiten“ wurde er genannt, „Schatzmeister der Zahlungsunfähigen“, oder auch „Deutschlands prominentester Notarzt todkranker Unternehmen“.

Er habe „stets dazu angeregt, präzise, fair und wach die widerstreitenden Anforderungen in Restrukturierungen auszubalancieren“, heißt es in einer Traueranzeige des Gravenbrucher Kreises, einer Vereinigung bundesweit tätiger Insolvenzverwalter, zu deren Gründungsmitgliedern Wellensiek einst gehörte. Mit ihm „geht eine Verwalterlegende“.

Insolvenzverwalter-Legende Jobst Wellensiek steuerte Hunderte Firmen durch Crashs und Notlagen. Jetzt warnt der 88-Jährige vor der großen Pleitewelle – und ist dennoch optimistisch.
von Henryk Hielscher

Dabei war Wellensiek eher zufällig ins Konkursgeschäft gestartet. Sein Vater, ein Zigarrenfabrikant, war früh verstorben. Sein Stiefvater führte eine der ältesten Anwaltskanzleien in Heidelberg, in die Wellensiek nach seinem Jurastudium 1964 eintrat. Das Konkursrecht war damals eine Materie für juristische Außenseiter und hatte in der Anwaltschaft wenig Fans. Kein Wunder: Konkursverwalter verstanden sich „mehr als Totengräber denn als Unternehmensretter“, erinnerte sich Wellensiek in dem Gespräch vor zwei Jahren. Doch er stand unter Erfolgsdruck. Sein Stiefvater war schon etliche Jahre krank, die Kanzlei musste kämpfen. Als sich die Gelegenheit ergab, in einem kleinen Verfahren Konkursverwalter zu werden, zögerte Wellensiek nicht lange und schlug zu. Die Krise wurde so auch für ihn zur Chance.

Wellensieks erster Fall

„Ich wurde vom Gericht zum Konkursverwalter eines Trompeters bestellt, der nebenbei ein Haushaltswarengeschäft betrieb und dabei Umsatz mit Gewinn verwechselte“, so Wellensiek.  „Das ist übrigens noch heute oft der Fall – und nicht nur bei kleineren Unternehmen.“ Es war zwar „ein Miniverfahren, aber für mich genau das richtige, um mich mit dem Vergleichs- und Konkursrecht vertraut zu machen.“ Und sogar eines mit Happy End: „Die wohlhabende Ehefrau des Trompeters sprang ein“, berichtete Wellensiek. Mit ihrer Hilfe konnte ein Vergleich mit den Gläubigern zustande gebracht werden und der Verwalter konnte sein erstes Verfahren erfolgreich abschließen. „Danach wurde ich vom Gericht immer wieder als Konkursverwalter bestellt“, so Wellensiek. „Anfangs eher für kleinere Firmen, später auch bei mittelständischen Unternehmen.“

Bald schon ging es ihm darum, insolvente Firmen zu retten, statt sie nur abzuwickeln. Er gliederte den intakten Teil des Geschäfts aus und verkaufte ihn. Zur Blaupause für diese „übertragende Sanierung“ wurden 1981 die Neff-Werke, ein Hersteller von Küchen-Einbaugeräten mit rund 1500 Mitarbeitern, der damals zu AEG gehörte. Wellensiek verkaufte die Firma an Bosch-Siemens-Hausgeräte, fast alle Arbeitsplätze wurden gerettet. Es war sein „Aufstieg in die ‚erste Liga‘ der Konkursverwalter“, wie er selbst sagte. Großverfahren wie Maxhütte, Klöckner-Werke, Bremer Vulkan und Expo Hannover folgten – viele davon begleitet von politischem Getöse und überraschenden Manövern. Beim Verkauf von Teilen der Bremer Vulkan etwa habe ihm einer der Interessenten auf der Toilette einen Zettel zugesteckt mit der Nachricht: „Ich biete mehr.“ Einmal rief der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl an, weil ein früherer Vorzeigebetrieb der DDR am Tag der Deutschen Einheit in ein Gesamtvollstreckungsverfahren gehen sollte. „Das Timing fand Herr Kohl nicht optimal.“

Geschäftsführer auf Zeit

Für Wellensiek ging es immer auch um eine Frage, die nicht an Aktualität verloren hat, nämlich „wie ich als Verwalter nicht nur für die Gläubiger ein gutes Ergebnis erzielen kann, sondern auch für die Beschäftigten“. Wellensiek setzte dabei oft auf „übertragende Sanierungen“. Heute gehören sie zum Standardwerkzeug. Damals gab es nur „einige wenige Kollegen, die ganz ähnlich vorgegangen sind“, so Wellensiek. Vor allem sein Neff-Verfahren hat denn auch viel dazu beigetragen, die übertragende Sanierung bundesweit bekannt zu machen und als Sanierungsinstrument zu etablieren.

Exklusive BCG-Analyse Die 10 besten Aktien der Welt

Die politische Weltlage und Sorgen vor weiter hohen Zinsen verunsichern die Börse. Das exklusive Ranking der besten Aktien der Welt – und zehn Titel, die jetzt kaufenswert sind.

Gewerbeimmobilien Das wahre Problem von Deutschlands gefährlichster Bank

In den USA stehen massenhaft Büros leer. Das hat die deutsche Pfandbriefbank in eine schwierige Lage gebracht. Jetzt bahnen sich auch noch Probleme in der Heimat an.

Neuer Arbeitgeber Was der Jobwechsel der Karriere wirklich bringt

Viele Berater sind sich einig: Wer im Job aufsteigen will, muss in aller Regelmäßigkeit den Job wechseln. Aber: Lohnt sich das wirklich? Und wie gelingt die jahrzehntelange Karriere auch beim immer gleichen Arbeitgeber?

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

An der Verwaltertätigkeit reizte Wellensiek vor allem das Operative, die Möglichkeit Geschäftsführer auf Zeit zu sein. „Das lag mir schon immer mehr als die reine Schreibtischtätigkeit.“ Und davon konnte er auch andere begeistern. „Jobst Wellensiek war es, der mich in jungen Jahren überzeugte nicht in die Kreditwirtschaft zu wechseln, sondern für den wunderbaren Anwaltsberuf zu entscheiden und bei Wellensiek zu bleiben“, sagt Christopher Seagon, der geschäftsführende Partner der Kanzlei. „In den fast dreißig Jahren gemeinsamer Sozietät war er für mich Partner und Kollege, wie man ihn sich nur wünschen kann: stets uneingeschränkt loyal, souverän und für den Erfolg auch unserer Sozietät einstehend“. Er sei „bis ins hohe Alter hellwach, geistreich und am Sozietätsgeschehen ungemein interessiert“ geblieben, sagt Seagon. Mit ihm gehe ein guter Freund und Ratgeber. „Wir alle trauern gemeinsam mit seiner Familie um eine große Anwaltspersönlichkeit.“

Bereut hat Wellensiek seine Berufswahl übrigens nie. „Für mich gibt es keine spannendere Aufgabe, als Unternehmen und damit Arbeitsplätze zu retten“, sagte er vor zwei Jahren der WirtschaftsWoche. „Ich würde mich jederzeit wieder für dieses Rechtsgebiet und die damit verbundenen Herausforderungen entscheiden.“

Lesen Sie auch: Das letzte große Interview mit Insolvenzverwalter-Legende Jobst Wellensiek.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%