Fabrice Schmidt hat sich seine Kindheitsträume erfüllt: Er ist in einem Formel-Eins-Rennwagen über die Grand Prix Strecke gedonnert, hat sich aus 3000 Meter Höhe mit dem Fallschirm in die Tiefe gestürzt und in einem selbstgebauten Iglu übernachtet. „Wunderbare Erinnerungen“ seien das. Wenn er wollte, könnte Schmidt jedes Wochenende Abenteuer erleben. Als Gründer und Chef des Erlebnisgeschenke-Portals Mydays sitzt er an der Quelle. Über 800 Ereignisse vom Dinner in the Dark bis zum Hubschrauberflug bieten die Münchener an.
2003 waren sie die ersten auf dem deutschen Markt, die Erlebnisgeschenke über das Internet verkauft haben – mittlerweile buhlen rund ein Dutzend Anbieter mit Krimi-Dinnern, Ferrari-Fahrten und Tandem-Sprüngen verschiedenster Fluggeräte um die Gunst der Kunden. Meist sind es junge Frauen zwischen 20 und 39, die für ihren Freund oder Ehemann auf der Suche nach einem Geschenk sind. „70 Prozent der Beschenkten sind Männer“, erklärt Jochen Schweizer. Das Erlebnisgeschenkeportal jochen-schweizer.de startete ein Jahr nach Mydays hat den Vorreiter nach Umsatzzahlen aber mittlerweile überholt. Der ehemalige Stuntman steht wie kein anderer für den buchbaren Adrenalin-Kick – 1985 sprang er in Willy Bogners Feuer, Eis & Dynamit über 200 Meter von Staumauer des ValleVerzasca in die Tiefe, etablierte danach das Bungee-Jumping in Deutschland und baute seine Kajak Sport Productions sukzessive zu einer Unternehmensgruppe mit einem Jahresumsatz 2012 von über 60 Millionen Euro aus.
Jochen Schweizer auf einen Blick
1985 gründete Schweizer Firma Kajak Sport Productions, der Grundstein der späteren Gruppe. 1985 folgt die Werbeagentur Expresse, aus der sich die Jochen Schweizer GmbH und 2004 das Erlebnisgeschenke-Portal www.jochen-schweizer.de entwickelt. 2008 nimmt die Jochen Schweizer Projects AG ihre Arbeit auf. Sie realisiert neue Erlebnisanlagen wie den Windkanal in Bottrop oder die Base Flying Anlage in Berlin-Alexanderplatz. Im selben Jahr kommt Projects unter das Dach der Jochen-Schweizer-Gruppe, zu der seit 2012 auch die Jochen Schweizer Corporate Solutions GmbH zählt, die Erlebnisse für Firmenkunden anbietet. Sie entstand aus der Jochen Schweizer Events GmbH.
2011 erlöste die Gruppe einen Umsatz von 46 Millionen Euro, 2012 waren es 60 Millionen Euro. Schweizer sagt „Ich sehe die 100 Millionen schon, ob ich dafür noch zwei, drei oder vier Jahre brauche, ist nicht wichtig.“ Aktuell beschäftigt Jochen Schweizer 300 Mitarbeiter.
Jochen Schweizer bietet auf dem Erlebnisgeschenke-Portal über 1300 Online buchbare Erlebnisse an. Schweizer betreibt außerdem 36 eigene stationäre Shops und bietet seine Geschenkeboxen über Handelspartner wie etwa die Postbank an. Rund 60 Prozent des Umsatzes werden Online erwirtschaftet, größtes Wachstumsfeld ist der Verkauf von Erlebnissen an Firmenkunden. Schweizers nächstes großes Projekt ist, zum Marktplatz für Ereignisse zu werden.
Schweizer wird 1957 in Heidelberg geboren. Berühmt machte ihn sein Stunt für Willy Bogners „Feuer, Eis und Dynamit“, für den er von der 220 Meter hohen Staumauer des Valle Verzasca sprang. In den kommenden Jahren etabliert Schweizer das Bungee-Jumping als Extremsportart. 1994 beginnt er mit dem House Running. Über 100 Tage im Jahr ist Schweizer auf Reisen und testet neue Erlebnisse rund um den Globus – gerne in Begleitung seiner erwachsenen Söhne.
Jochen Schweizer wurde als „Marke des Jahrhunderts 2010“ und „Marke des Jahrhunderts 2012“ ausgezeichnet. Die mittlerweile über 30 „Jochen-Schweizer-Shops“ im stationären Handel – zu Beginn „Adrenalin-Shops“ genannt – wo Kunden Beratung jenseits des Internets finden, brachten ihm 2008 den Einzelhändler-Newcomer-Award des Jahres ein. 440.000 Euro Umsatz machte Schweizer auf nur zwölf Quadratmeter Shop-Fläche. Ob sich die Shops rechnen, zweifeln Brancheninsider zwar an, doch dass die Läden den Bekanntheitsgrad des Unternehmers massiv gesteigert haben, bezweifelt keiner.
Entspannung mehr gefragt als pures Adrenalin
In diesem Jahr ist Schweizer nach eigener Aussage über alle Kanäle um 19 Prozent gegenüber dem Vorjahr gewachsen, allein im Onlinebereich um 30 Prozent. „Wir hatten über die letzten sechs Jahre eine stabile CAGR von 25 Prozent, und ich sehe daher die 100 Millionen Marke innerhalb der nächsten zwei bis vier Jahre als erreichbares Ziel.“, gibt sich Schweizer gelassen.
Im Corporate-Business, also dem Geschäft mit Firmen, die für ihre Kunden und Mitarbeiter Erlebnisse buchen, habe man die größten Umsatzsteigerungen verbucht. Auch hier verstünde man zunehmend, dass eben nichts so nachhaltig sei, wie eine Erinnerung. Und Erinnerungen speisen sich eben aus Erlebnissen - wie Quad-Fahren in der Wüste, Heliskiing in Kanada oder einem entspannenden Wellness-Wochenende. Nicht immer muss es Adrenalin pur sein – im Gegenteil.
Mydays gibt Vollgas
Der Trend bei den meistgebuchten Erlebnissen geht bei allen Anbietern Richtung Ent- statt Beschleunigung. „Das meistgebuchte Produkt in unserer „Für-Echte-Kerle“- Magic-Box ist aktuell Wellness für Männer“, weiß Mydays-Deutschland-Chef Fabrice Schmidt. 80 Prozent des Umsatzes von 33 Millionen Euro generiert Mydays über das gleichnamige Onlineportal. Im Gegensatz zu Mitbewerber Schweizer ist man nicht mit eigenen Shops im stationären Handel vertreten. „Wir prüfen das Thema derzeit aber intensiv“, verrät Schmidt. Dafür läuft der Vertrieb von Erlebnisboxen über den Handel umso besser.
Gerade konnte Mydays große Partner wie Payback, Hugendubel und Depot für sich gewinnen. In den nächsten Monaten will Schmidt vor allem die Integration von sozialen Medien wie Facebook vorantreiben. 2012 verkaufte er 75 Prozent der Anteile an Seven Ventures, einer Tochter der ProSiebenSat1 Media AG. Das verschafft Mydays ein sagenhaftes Werbebudget. In der Branche spricht man von rund 17 Millionen Euro. Schmidt hält sich bedeckter: „Wir können bestätigen, dass wir in diesem Jahr einen nie dagewesenen Mediaetat in zweistelliger Millionenhöhe für unsere TV-Kampagne investieren. Damit halten wir in den Vorweihnachtszeit gegen großen Online-Unternehmen stand.“
Produktangebot | Preise | Abwicklung & Service | |
Jochen Schweizer | über 1000 Erlebnisse aus 10 unterschiedlichen Kategorien | Fallschirmsprung: ab 199,00 Euro Ferrari fahren: ab 199,00 Euro Paintball spielen: 48,90 Euro | Gutschein wird auf der Seite oder in Adrenalin Shops, Partnershops & Reisebüros gekauft und später eingelöst |
Mydays | über 850 Erlebnisse aus 10 unterschiedlichen Kategorien | Fallschirmsprung: ab 190 Euro ab 99 Euro ab 35 Euro | Gutschein wird online im Mydays Shop oder im Reisebüro gekauft und kann vom Beschenkten auf der Seite eingelöst werden |
Jollydays | Rund 4000 Erlebnisse aus 9 Kategorien | Fallschirmsprung: ab 199 Euro ab 99 Euro ab 35 Euro | Gutscheine können direkt auf der Seite oder an Österreichs Vorverkaufsstellen (Trafik, Oeticket, Restplatzbörse, Kuonifiliale) gekauft werden |
Meventi | über 1000 Erlebnisse aus 13 unterschiedlichen Kategorien | Fallschirmsprung: ab 190 Euro ab 89 Euro ab 25 Euro | Gutschein wird auf dem Portal gekauft und später auf der Seite eingelöst |
Smartbox | über 500 Geschenkboxen/1800 Erlebnisse aus 5 verschiedenen Kategorien | Fallschirmsprung: ab 199 Euro ab 129 Euro 35 Euro | Erlebnisbox im Internet oder in Partnershops (Media Markt, DM,...) kaufen und online einlösen |
Mehr Infos finden Sie auf www.erlebnisgeschenke.de |
Vor allem Zalando ist für sein immenses Marketing-Budget bekannt. Wer dem etwas entgegen setzten will, muss klotzen nicht kleckern. In den nächsten zwei Jahren möchte Mydays einen Marktanteil von 60 Prozent erreichen und den Umsatz auf über 50 Millionen steigern. „Wir geben Vollgas“, verspricht Schmidt.
Der Himmel ist das Limit
Das Potenzial ist noch riesig, schwärmen die Chefs der Erlebnisgeschenke-Portale. Wenn auch keiner so genau weiß, wie groß der Markt in Deutschland eigentlich ist. Konservative Schätzungen gehen von etwa 100 Millionen Euro aus, es könnten aber genauso gut 200, 300 oder 400 Millionen sein.
Die Bandbreite der Erlebnisse auf jochen-schweizer.de reicht vom 90-Minuten-Yoga-Kurs für 19,90 Euro bis 10.000 Euro für den Flug mit einem MIG-Jet. Pro Verkauf erlöst Schweizer im Durchschnitt 120 Euro. Da geht noch mehr.
Schweizer will zum Erlebnis-Marktplatz werden
In Frankreich, Großbritannien und vor allem Belgien liegen die Ausgaben für Erlebnisgeschenke pro Kopf und Jahr um das Vier- bis Zehnfache höher als in Deutschland – hier sind es gerade mal rund 1,20 Euro.
Schweizer setzt dabei neben dem B-2-B-Markt, den alle Anbieter in Zukunft stärker bearbeiten wollen, vor allem auf die „Terminierungstechnologie“ – sprich: Kunden sollen ein bestimmtes Ereignis an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit buchen können. Nicht mehr nur die Frage „Was soll ich schenken?“, steht hier im Vordergrund, sondern ergänzend auch die Frage, „Was mache ich morgen?.“ Ziel: Die Mehrzahl der 2500 Partner sollen dasselbe Terminsystem nutzen, erklärt Schweizer seinen Ansatz. Bereits 2,5 Millionen Euro hat er in die technische Infrastruktur für sein Projekt „Erlebnis-Marktplatz“ gesteckt. Innerhalb der nächsten 12 Monate möchte er 80 Prozent der rund 2500 Partner dazu bewegen, ihre Angebote inklusive Ort und Termin in das Jochen-Schweizer-eigene System einzupflegen. Sollte ihm das tatsächlich gelingen, könnte der Umsatz nochmals gehörig nach oben schnellen. Christian Bücherl vom Vergleichsportal erlebnisgeschenke.de beobachtet nämlich, dass sich viele Kunden mehr Informationen über Zeitpunkt und Ort des gebuchten Erlebnisses wünschen: „Den Veranstaltungsort erfährt man bei den meisten Anbietern erst nach der Buchung. Wenn es jemand schafft, hier mehr Transparenz für den Kunden zu schaffen, hat er sicher einen guten Wettbewerbsvorteil gegenüber den anderen.“
Im Mai will Jochen Schweizer eine eigene Erlebnis-App vorstellen. „Wer am Nachmittag noch nichts vorhat, kann über diese App sehen, dass z.B. zwei Querstraßen weiter noch ein Termin für eine wunderbare Thai-Massage frei ist.“
Einen ganz anderen Ansatz als die Platzhirsche Mydays und Jochen Schweizer verfolgt Smartbox. Das Unternehmen mit französischen Wurzeln ist mit über 1000 Mitarbeitern und einem Gruppenumsatz von fast 500 Millionen Euro im Jahr 2012 einer der größten Anbieter von Erlebnisgeschenken in Europa. In Deutschland zählt man allerdings zu den kleineren Fischen und setzt einen kleineren zweistelligen Millionenbetrag um. Nur 15 bis 20 Prozent des Umsatzes macht Smartbox über sein Onlineportal. Stattdessen setzt man voll auf die Handelspartner wie Hugendubel, Thalia, Metro und Rewe. Außerdem ist Smartbox Anbieter so genannter White-Label-Lösungen. Wer etwa einen Kurztrip über einen Reiseveranstalter bucht, hat eigentlich ein Smartbox-Paket gekauft, das aber unter der Marke des Veranstalters läuft.
Für Jochen Schweizer, Mydays, Jollydays, Smartbox & Co. beginnt jetzt die wichtigste Zeit des Jahres. Rund 60 Prozent des Umsatzes, so Christian Bücherl vom Vergleichsportale erlebnisgeschenke.de machen die Traum-Verkäufer in den letzten sechs Wochen vor Weihnachten. Viele werden – wenn überhaupt - zum ersten Mal zu einem Erlebnisgutschein greifen. Einer Studie zufolge wissen Dreiviertel der Deutschen nämlich nicht, was ein „Erlebnisgeschenk“ überhaupt sein soll.