Kampf gegen Verspätungen Diese 5 Punkte sollen Eurowings retten

Passagiere warten in einer Gangway darauf, an Bord eines Eurowings-Flugs zu gelangen. Quelle: imago images

Beim Flug-Gipfel stellt Lufthansa-Chef Spohr einen Reformplan für seine Billigtochter vor. Nach einer Flut von Flugverzögerungen investiert er in einen zuverlässigeren Betrieb. Doch das wird nicht alle Probleme lösen.

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Thorsten Dirks kann nach anderthalb Jahren endlich seinen Job machen. Der Ex-Deutschlandchef des spanischen IT-Riesen Telefónica kam am 1. Mai 2017 als Konzernvorstand zur Lufthansa, um die gemächliche Billigtochter Eurowings zum digitalen Markenartikler aufzuhübschen. Doch stattdessen musste er fast nonstop Brände im Flugbetrieb löschen: Zuerst die Übernahme großer Teile der insolventen Air Berlin - und weil sich Eurowings dabei verschluckte, musste der 55-Jährige monatelange eine Flut aus Verspätungen und Absagen bändigen.

Nun kann sich Dirks wieder mehr ums Digitale kümmern. In den vergangenen Wochen haben er und sein Führungsteam in der Eurowings-Zentrale am Flughafen Köln einen Rettungsplan gegen die Flugmisere der vergangenen Monate erarbeitet. Den wird sein Konzernchef Carsten Spohr am Freitag auf zum Flug-Gipfel hochgejazzten Treff der Länderverkehrsminister mit Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) vorstellen. Vor einem Jahr drehte sich bei Eurowings alles um Effizienz. Nun will die Airline nur noch eines: wieder zuverlässig fliegen „Wir konzentrieren uns auf Stabilität, Pünktlichkeit und das Kundenerlebnis“, umreißt Oliver Wagner – als Chief Commercial Officer zuständig für Service, Vertrieb und Preismanagement – erstmals die Eckpunkte. Ähnlich äußern sich auch andere Linien wie Tuifly.

Den Schritt tun die Linien nicht ganz freiwillig. Denn der Chaos-Sommer mit allein in Deutschland mehr 250.000 abgesagten oder mehr als drei Stunden verspäteten Flügen könnte die Branche laute einer Studie der Beratung Oliver Wyman für die WirtschaftsWoche mehr als eine Milliarde Euro kosten. Mit immerhin knapp 100 Euro schlägt jede Minute Verzögerung für einen Airbus A321 mit 200 Passagieren zu Buche. Das macht Dirks Plan zu einer großen Sache. „Doch es ist unsere wohl größte Änderung bisher“, heißt es hinter den Kulissen. Bis zu einer halben Milliarde könnte die Umsetzung kosten, wobei ein großer Teil dadurch wieder reinkommt, weil weniger Verspätungskosten anfallen und die vielen bislang unzufriedenen Kunden wieder Spohrs Vorgabe: „Wir müssen um so viel besser sein wie wir teurer sind oder sein müssen“, glauben.

1. Mehr Puffer im Plan
Die deutlichste Veränderung sind großzügigere Flugpläne, bei denen die Maschinen eine längere planmäßige Flugdauer und an den Airports mehr Zeit zwischen Starts und Landungen bekommen. „Wir haben nun einen Plan, der so geflogen wird“, verspricht Wagner. Im neuen Flugplan bekommen die Reisezeiten je nach Airport und Route bis zu einer Viertelstunde mehr Puffer. Dadurch sinkt das Risiko, dass sich eine Verspätung durch den Tag fortpflanzt oder sich gar noch vergrößert, weil ein verspäteter Flug an einem besonders vollen Großflughafen die zugewiesene Startzeit verpasst und nun warten muss, bis es ein neues Zeitfenster gibt.

Das Risiko nahmen die Airlines bislang in Kauf. Wenn die Jets nach der Landung möglichst schnell wieder in der Luft waren, sparte das nicht nur Flughafen-Gebühren. Es drückt auch die Flugkosten, denn dank des verdichteten Flugplans schaffen Jets und Besatzung mehr Verbindungen pro Tag. Das reduziert die Kosten für Löhne und Leasinggebühren pro Flug. Also drückten die Linien diese Bodenzeiten von einst mal 90 Minuten auf gut eine halbe Stunde. Ryanair schafft an manchen Flughäfen gar 25 Minuten. Das war offenbar zu viel gewollt.

2. Fliegerreserve als Wellenbrecher
Falls die zusätzliche Luft im Flugplan nicht ausreicht, hält Eurowings auch bis zu einem halben Dutzend Ersatzflieger vor. Ähnliches hat der Tui-Konzern vor. „Bei Tuifly werden wir im kommenden Sommer die Zahl unserer Reserveflugzeuge aufstocken und damit Unregelmäßigkeiten besser abfedern können“, sagt Tuifly-Chef Roland Keppler.
Bei Eurowings können gar bis zu einem halben Dutzend Maschinen einspringen. Außerdem hält die Linie eine intern „Wellenbrecher“ genannte Reserve zur Tagesmitte vor. Die Maschinen bekommen um die Mittagszeit keine Verbindungen zugewiesen und können einspringen, falls bis dahin bei einem anderen Jet die Verzögerungen zu groß werden. Das kostet zwar Umsatz, doch es lohnt sich. Denn inklusive der Entschädigungen kostet ein um drei Stunden verspäteter Flug in Europa gut 50.000 Euro – so viel wie sechs pünktliche. Gleichzeitig verändert die Linie ihren Wartungsrhythmus. Damit die Überholungen nicht zur Hochsaison im Sommer erledigt werden müssen, machen die Maschinen ihre großen planmäßigen Vorsorgechecks im Winter, wo die Maschinen angesichts des dünneren Flugplans weniger vermisst werden.

3. Mehr Helfer
Besonders an den großen Flughäfen will Eurowings künftig wieder mehr eigenes fachkundiges Personal beschäftigen. Die sollen im Gegensatz zu den heutigen Dienstleistern auch kompliziertere Probleme schneller – oder überhaupt – lösen können. Dazu zählen auch wieder mehr eigene erfahrene Stationsleiter, die an den wichtigen Airports rechtzeitig eingreifen sollen, bevor etwas aus dem Ruder läuft. An seltener angeflogenen Airports sollen zumindest mehr Berater aus der Zentrale für mehr Fachwissen und Einsatzbereitschaft der Fremdbeschäftigten sorgen. Denn es hat sich gezeigt, dass die bisherige Grundlinie, vorrangig auf niedrige Kosten zu setzen, am Ende massiv die Kunden vergrault und zur Konkurrenz treibt.
Gleichzeitig will Eurowings den Digitalservice ausbauen. Das soll nicht helfen, Mitarbeiter einzusparen, sondern soll die eigenen Leute von Routineaufgaben entlasten, damit sie sich um die komplexeren Fälle kümmern können. Dafür hat das Unternehmen in Programme investiert, die bei Verspätungen und Flugabsagen schneller und vor allem richtig oder verständlicher informieren. „Da waren wir bisher nicht gut“, gibt Wagner zu und verspricht: „Wir nutzen hier statt komplexer selbst gestrickter Programme mehr Standardsoftware.“ Die sollen auch die Entschädigungen für Verspätungen überwiegend automatisch erledigen, um den Kunden wochenlange Wartezeiten und das etwas unwürdige Feilschen um eine geringere als die vorgeschriebene Ausgleichszahlung zu ersparen.

So umfangreich das Programm auch ist – die Probleme bleiben

4. Mehr Herz für Geschäftsreisende
Schwerpunkt des Bemühens um besseren Service sind die gut zahlenden Geschäftsreisenden, „unsere wichtigste Kundengruppe“, so Wagner. Denn so sehr zuletzt auch Geschichten über Pannen auf Touristenflügen die Schlagzeilen über Eurowings bestimmen: Laut internen Statistiken betrafen die Chaos-Wochen vor allem Flüge von Geschäftsreisenden wie Köln-Berlin oder Düsseldorf-München, obwohl deren Ticket nicht selten das Achtfache eines Urlauber-Flugscheins bringt.

Damit die fliegenden Manager wieder bessere Laune haben (und weniger ätzende Tweets schreiben), gibt es gleich eine Handvoll Maßnahmen. Zuerst sollen die Business-Routen von den Urlauber-Strecken getrennt werden, indem Jets nur in dem einen oder dem anderen Bereich eingesetzt werden. Dieses „Kapseln“, wie Wagner das Verfahren nennt, soll verhindern, dass Verspätungen an besonders anfälligen Touristenhochburgen oder auf Routen über streikfreudige Länder wie Südfrankreich nach Deutschland überschwappen. So musste der letzte Tagesflug von Düsseldorf nach Berlin oft ausfallen, weil das Flugzeug meist mit so hohen Verzögerungen aus Mallorca oder dem östlichen Mittelmeer kam, dass es nicht mehr vor Schließung des Flughafens vom Rheinland in die Hauptstadt starten durfte.

Dazu soll die eilige Klientel beim Umbuchungsservice bevorzugt werden. Verbindungen zwischen den Wirtschaftsmetropolen mit vielen Flügen pro Tag werden möglichst immer an denselben Gates in der Nähe der Sicherheitskontrolle starten – auch wenn viele schimpfen, dass sich dann der Weg in die Lounge nicht mehr lohnt. Zu guter Letzt wird Eurowings seine Smart oder Best genannten Tarifpakete im nächsten Jahr renovieren, damit sie die Bedürfnisse der profitablen Klientel besser widerspiegeln.

5. Mehr Druck auf die Partner
Auch wenn die Schuld für die höheren Verspätungen laut den Statistiken von Flughäfen und der Luftraumüberwachung in rund der Hälfte aller Fälle bei den Airlines liegen, will Eurowings trotzdem ihre Partner drängen, mehr zu tun. Dafür plant die Linie spezielle Pünktlichkeitsprojekte mit Flughäfen und Dienstleistern, etwa damit die Maschinen schneller entladen werden. Das ist bitter nötig, haben neben Eurowings auch viele andere Fluglinien erfahren. „In Düsseldorf und Berlin mussten wir mehrfach 90 Minuten warten, bis die Koffer ausgeladen wurden“, berichtet ein Airline-Vorstand. Teil der Eurowings-Initiative ist offenbar auch ein höheres Budget für die Dienstleister. Lange bekamen bei Abfertigern vor allem die Billigsten den Zuschlag. Doch nun haben die Billig-Anbieter Probleme, für die Niedriglöhne genug Leute anzuheuern. „Speziell bei Bodenverkehrsdiensten gibt es 15 bis 20 Prozent Unterbesetzung“, so Robert Hengster, Fachgruppenleiter Luftverkehr der Gewerkschaft Verdi.

Ähnliche Projekte gibt es auch in der Luftraumüberwachung. Hier herrschten jahrelang Spannungen, weil den Fluglinien die Gebühren der Lotsen zu hoch waren. Jetzt, wo die Himmelskontrolleure nicht zuletzt auf Druck der Airlines zu vorsichtig geplant haben und Lotsen fehlen, kann sich der Lufthansa-Konzern auch höhere Preise vorstellen, „wenn dies zu mehr Qualität führt“, sagt ein führender Lufthanseat.

Chaosjahr 2019?
Doch so umfangreich das Programm auch ist – die Probleme bleiben. „Im Jahr 2019 wird noch nicht alles top“, warnt Stefan Schulte, Chef des Flughafenkonzerns Fraport, der unter anderem Frankfurt betreibt.

Da ist zum einen die Enge an den Flughäfen. Die Airports von Düsseldorf und München sowie zunehmend auch Frankfurt arbeiten bereits an der Kapazitätsgrenze. Wenn es etwa ein längeres Gewitter oder heftigen Schneefall gibt, stauen sich die Jets auf den Bahnen. Ähnlich eng wird es in den Terminals. Zwar ist es nicht überall so schlimm wie in Berlin-Tegel, der fast doppelt so viel Passagiere abfertigen muss, als es seine Kapazität eigentlich hergibt. Doch auch bei der Luftraumüberwachung werden die Engpässe vorerst bestehen bleiben. Denn die Zahl der Flüge wächst weiterhin schneller als erwartet. Doch mehr Lotsen gibt es erst in drei bis vier Jahren.

Immerhin einen Trost verspricht Eurowings-Manager Wagner: „Ein Jahr wie 2018 wird sich nicht wiederholen.“

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