Kinos fordern Lockerungen „Es wird eine Angstkulisse aufgebaut“

Für die meisten Kinobetreiber sei Kino mehr als ein Geschäft, sagt Christian Bräuer, Vorstand des Verbands AG Kino. Quelle: imago images

Noch immer hoffen die Kinos auf die Rückkehr der Zuschauer, während viele Kinobetreiber längst Verluste anhäufen. Christian Bräuer, Vorstand des Verbands AG Kino, fordert, die Corona-Abstandsregeln in den Kinos zu überdenken.

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Die Kinobranche hat in einem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eine Lockerung der Abstandsregelungen in den Kinosälen gefordert. In dem Schreiben, von dem die Deutsche Presse-Agentur berichtet, plädieren sie für eine bundesweit einheitliche Regel, die lauten sollte: „Ein Sitz frei zwischen Besuchergruppen, ohne Maske am Platz“. Im Interview mit der WirtschaftsWoche sprach Christian Bräuer, selbst Kinobetreiber in Berlin und Vorstand des Verbands AG Kino, über die Probleme mit den geltenden Maßnahmen und die Existenzangst einer ganzen Branche.

WirtschaftsWoche: Herr Bräuer, in den meisten Kinos fallen viele Sitzplätze weg, um den Corona-Regeln zu entsprechen. Sie betreiben selbst Kinos in Berlin – wie machen Sie das?
Christian Bräuer: Die Situation ist für uns alles andere als einfach. Denn einerseits konnten wir durch den Lockdown ab Mitte März mehrere Wochen lang keine Umsätze erzielen. Und jetzt, wo wir wieder geöffnet haben, dürfen wir nur einen kleinen Teil der Plätze verkaufen.

Wie stark dürfen Sie Ihre Kinos auslasten?
Die Regel, wonach zwischen den Gästen ein Abstand von 1,50 Meter eingehalten werden muss, sorgt dafür, dass wir nur 20 bis 25 Prozent unserer üblichen Sitzplätze belegen dürfen. Das ist viel zu wenig, um unsere Häuser wirtschaftlich zu betreiben. Schließlich haben wir hohe laufende Kosten – von den Verleihgebühren über die Mieten bis zu den Personalkosten. Und da sitzen dann Kinos und Verleiher fast im selben Boot, denn wir müssen alle versuchen, trotz der Einschränkungen auf unsere Kosten zu kommen. Und da macht es uns die Politik unnötig schwer.

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von Peter Steinkirchner

Inwiefern?
Die 1,50-Meter-Regel beispielsweise ist so schwammig, dass der tatsächliche Abstand zwischen den Gästen eher bei 2,40 bis 2,60 Meter liegt. Dabei wäre es aus unserer Sicht als Kinobetreiber völlig ausreichend, den Abstand auf einen Meter zu verringern.

Ist das nicht arg knapp?
Nein, denn die Menschen sitzen in unseren gut gelüfteten Räumen weiter auseinander als im Flugzeug…

…dort tragen sie allerdings Masken, im Kino nicht?
Das stimmt, aber dafür sprechen sie auch nicht miteinander, sondern schauen gemeinsam auf die Leinwand. Die Masken dürfen sie auch erst am Platz ablegen. Gerade erst hat die Charité etwa für Konzerthallen empfohlen, dort wieder jeden Sitzplatz zu belegen – warum sollte das im Kino nicht möglich sein? Es ist an der Zeit, auch im Kino mehr Augenmaß zu zeigen. Andere Länder zeigen, dass das geht.

Wer denn?
Schauen Sie nach Frankreich, Österreich oder in die Schweiz, dort ist der Ein-Meter-Abstand am Sitzplatz die Regel und dennoch gab es dort seitdem keine bekannten Corona-Übertragungen, die auf Kinos zurückzuführen wären.


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Was passiert, wenn es hierzulande bei den strengen Regeln bleibt?
Dann werden es sehr viele Kinos in Deutschland sehr schwer haben, zu überleben. Denn allen Notprogrammen und Förderung zum Trotz wächst bei vielen gerade ein Schuldenberg. Viele von uns versuchen, ihren Betrieb irgendwie am Leben zu erhalten, denn für die meisten Kinobetreiber ist das mehr als ein Geschäft. Das Kino ist etwas Besonderes, es geht auch um Kultur, um Filmgeschichte. Das alles sehen wir gerade akut bedroht – und viele fragen sich, ob es nicht besser gewesen wäre, lieber die Kinos noch länger geschlossen zu halten, als nun immer mehr Verluste zu machen. Wissen Sie, für uns ist das so als wenn für Fluggesellschaften das Fliegen wieder erlaubt wäre, aber im Flugzeug sitzen nur die Piloten und ein paar Flugbegleiter – das kann so auf Dauer nicht gutgehen.

Sehen Sie Anzeichen dafür, dass die Politik Ihnen zuhört und die Beschränkungen lockert?
Zugehört wird schon, aber es geht leider nicht wirklich voran. Zum Teil wird leider eine Angstkulisse aufgebaut, die in keinem Verhältnis zur Realität steht. Kinos setzen ihre anspruchsvollen Hygienekonzepte konsequent um und haben starke Lüftungen. Die empirischen Erfahrungen zeigen eindeutig die Sicherheit. Denn Kultur ist, wie der Bundespräsident betont, ebenso Teil der Demokratie und als „Lebensmittel“ für viele Menschen ein Grundbedürfnis wie für andere der Sport. Es ist daher überfällig, dass es zu einer ausgewogenen Anpassung kommt, die Sicherheit und Wirtschaftlichkeit besser in Einklang bringt. Nicht nur im Sinne der Kinos, sondern der gesamten mittelständischen Filmwirtschaft.

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