




Das 24-Stunden-Rennen ist die größte Veranstaltung des Jahres am Nürburgring nach dem Aus für die Formel 1 und das Rockfestival. Am vergangenen Wochenende stieg wieder das Spektakel in der Eifel – doch weit stärker wird nachwirken, was abseits der Rennstrecke passierte. Nur wenige hundert Meter von der Strecke entfernt, im Hotel „Am Tiergarten“ in Nürburg, trat am Rande des Rennens der Vorstand des Vereins „Ja zum Nürburgring e.V.“ zusammen und fällte eine Entscheidung, die die Zukunft der Rennstrecke auf Jahre beeinflussen wird.
Vereinschef und ADAC-Ehrenpräsident Otto Flimm beschloss mit seinen Kollegen: Der Verein reicht Klage gegen die Privatisierung des Nürburgrings beim Europäischen Gericht in Luxemburg ein, der Vorinstanz des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Nach Auffassung des Vereins lief weder der Verkauf an den Düsseldorfer Automobilzulieferer Capricorn im vergangenen Jahr europarechtskonform ab, noch der spätere Weiterverkauf an ein russisches Konsortium nach Zahlungsschwierigkeiten von Capricorn. Sollte der Fall durch die Instanzen bis zum EuGH gehen, dürfte es bis zu einer Entscheidung rund fünf Jahre dauern. Das Europäische Gericht als erste Instanz könnte nach etwa eineinhalb bis zwei Jahren entscheiden.
Das Nürburgring-Desaster
Die legendäre Rennstrecke in der Eifel ist für ihre Eigentümer seit Jahren ein Millionengrab. Die Nürburgring GmbH – sie gehört zu 90 Prozent das Land Rheinland-Pfalz und zu zehn Prozent der Landkreis Ahrweiler – ist seit 2006 bilanziell überschuldet und kann sich nur dank immer neuer Landes-Millionen über Wasser halten. Haupt-Verlustbringer ist die Formel 1, die von 2003 bis 2009 ein Loch von 55 Millionen Euro in die Kasse riss. Für das Rennen 2011 kalkuliert das Land mit einem Minus weiteren 13,5 Millionen Euro. Der Landesrechnungshof geht von höheren Kosten aus.
Um aus den Miesen zu kommen, wollten der damalige Nürburgring-Geschäftsführer Walter Kafitz (SPD) und die damalige SPD-Alleinregierung von Kurt Beck mit dem riesigen Erlebnispark „Nürburgring 2009“ zusätzliche Besucher anlocken. Die Einnahmen sollten die Verluste aus der Formel 1 decken. Der Park besteht aus zwei Bauabschnitten: Die Nürburgring GmbH baute ein Erlebniszentrum mit Rennsportmuseum (Ringwerk), eine Achterbahn, eine überdachte Shoppingmeile (Boulevard) sowie zwei Veranstaltungshallen. Der zweite Abschnitt, entwickelt von Kai Richters Firma Mediinvest, umfasst zwei Hotels mit Personalwohnhaus, einen Ferienpark und das Eifeldorf „Grüne Hölle“, in dem sich eine Disco und diverse Restaurants befinden.
Die Baukosten stiegen von ursprünglich geplanten 215 auf 330 Millionen Euro. Der erste Bauabschnitt sollte zur Hälfte, der zweite komplett privat finanziert werden. Bei der Suche nach Investoren für den ersten Bauabschnitt fielen Land und Nürburgring GmbH auf dubiose Finanzvermittler herein. Die für den zweiten Bauabschnitt zuständige Firma Mediinvest von Kai Richter erhielt 85,5 Millionen Euro von der Rheinland-Pfälzische Gesellschaft für Immobilien und Projektmanagement mbH (RIM). Die ist eine hundertprozentige Tochter der Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz (ISB), welche wiederum zu hundert Prozent dem Land gehört. Die MSR wurde später mitsamt der Gebäude von Landesgesellschaften übernommen.
Ab Mai 2010 vergab die Nürburgring GmbH den Betrieb des kompletten Parks inklusive der Rennstrecken an die private Nürburgring Automotive GmbH (NAG), die je zur Hälfte Kai Richters Mediinvest und der Düsseldorfer Lindner-Hotelgruppe gehört. Im Februar 2012 kündigte das Land den Betreibern wegen ausstehender Pachtzahlungen. Die NAG geht juristisch gegen die Kündigung vor. Nach ihrer Sicht der Dinge schuldet das Land den Betreibern noch Geld, diese Forderungen habe man mit der Pacht verrechnet. Streit gibt es um die von den Betreibern angekündigte Entlassung von einem Viertel der Belegschaft. Die EU-Kommission prüft nach mehreren Beschwerden von Konkurrenten, ob das Land bei der Verpachtung an die NAG gegen Vergaberecht verstoßen hat.
Die erhofften Besuchermassen bleiben aus. Die als schnellste der Welt geplante Achterbahn funktioniert bis heute nicht. In der „Grünen Hölle“ ist von Oktober bis März nur ein einziges Restaurant durchgängig geöffnet, der Rest ist die meiste Zeit dicht. Das Land wirft den Betreibern zudem vor, die Gebäude vernachlässigt zu haben. In mehreren Restaurants ist Schimmel aufgetreten. Der Landesrechnungshof schätzt den zusätzlichen Investitionsbedarf des Landes in den nächsten 20 Jahren auf bis zu 420 Millionen Euro.
Wegen ihrer Rolle bei der gescheiterten Privatfinanzierung hat die Staatsanwaltschaft Koblenz im Februar 2012 Anklage wegen Untreue gegen den ehemaligen rheinland-pfälzischen Finanzminister Ingolf Deubel (SPD) erhoben. Auch der frühere Nürburgring-Hauptgeschäftsführer Walter Kafitz und zwei weitere ehemalige Manager der Nürburgring GmbH wurden wegen Untreue angeklagt. Der frühere ISB-Chef und ein RIM-Manager wurden wegen Beihilfe zur Untreue angeklagt. Die Ermittlungen wegen des Verdachts der Untreue gegen Kai Richter dauern an.
„Es wird auf dem Nürburgring jede Menge Probleme geben“, sagt Vereinschef Flimm der WirtschaftsWoche. Nürburgring-Insolvenzsachwalter Jens Lieser und Sanierungsgeschäftsführer Thomas Schmidt, die den Verkauf mit Unterstützung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG organisiert haben, hätten ein rechtliches Chaos verursacht. „Da ist so viel schief gelaufen. Wir wollen, dass das nun alles juristisch sauber aufgearbeitet wird. Anders kann der Nürburgring kein langfristig stabile Zukunft haben.“
Kommissionsbeschluss in der Kritik
Ein Sprecher der Insolvenzverwalter Lieser und Schmidt teilte der WirtschaftsWoche auf Anfrage mit, man sehe einer Klage unterlegener Bieter „sehr gelassen“ entgegen. „Die Europäische Kommission hat in einer langen und intensiven Prüfung bestätigt, dass der Verkaufsprozess EU-konform stattgefunden hat.“ Doch genau gegen den entsprechenden Beschluss der Kommission richtet sich die Klage. Die europäischen Gerichte sollen prüfen, ob die Kommission den Fall tatsächlich korrekt beurteilt hat.
Daran zweifelt nicht nur Ja zum Nürburgring. Das US-Technologieunternehmen Nexovation, ein weiterer nicht zum Zuge gekommener Bieter, bestätigte auf Anfrage, ebenfalls in Luxemburg vor Gericht ziehen zu wollen. „Wir haben uns entschlossen zu klagen“, sagt Rechtsanwalt Matthias Nordmann von der Großkanzlei Norton Rose Fulbright, die Nexovation juristisch vertritt. Die Klage werde derzeit formuliert. Auch ein Konsortium um Finanzinvestor HIG Capital hatte für den Nürburgring geboten. Während HIG Capital eher nicht klagen wird, denkt auch der am Konsortium beteiligte britische Investmentbanker Meyrick Cox über eine Klage nach, wie er auf Anfrage mitteilte.
Die Kritikpunkte, die von den unterlegenen Bietern vorgetragen werden, sind weitgehend identisch. Wegen eines laufenden Beihilfeverfahrens der EU-Kommission musste der Verkaufsprozess europarechtskonform ablaufen, also insbesondere transparent und diskriminierungsfrei. Als ein zentrales Auswahlkriterium wurde den Bietern die Transaktionssicherheit mitgeteilt, darunter ein gesicherter Finanzierungsnachweis. Im März 2014 erhielt ein Bietergespann aus dem Düsseldorfer Automobilzulieferer Capricorn und der Motorsportfirma Getspeed aus Meuspath am Nürburgring mit seinem Gebot von insgesamt 77 Millionen Euro den Zuschlag, obwohl es früh Zweifel an der finanziellen Leistungsfähigkeit besonders von Capricorn gegeben hatte – die Creditreform-Bewertungen für manche Unternehmen der Gruppe etwa waren schon zum Zeitpunkt des Zuschlags verheerend.