Im Zentrum seiner Altersunruhe aber steht sein zweites Lebenswerk: Hapag-Lloyd. Die Hamburger Traditionsreederei soll aller Welt zeigen, dass er sich trotz Fahnenflucht im tiefsten Innern als Hanseat fühlt. Mit zig Milliarden Euro kaufte er sich vor drei Jahren zusammen mit anderen Investoren sowie der Stadt Hamburg bei Hapag-Lloyd ein und ist nun mit 28 Prozent größter Privataktionär. Rein geschäftlich lässt sich das kaum erklären, eigene Schiffe sind für Spediteure wie Kühne + Nagel nur Ballast, lieber mieten sie Frachtraum und kündigen ihn bei Bedarf. Bei Hapag-Lloyd jedoch ist Kühne darauf aus, wie er betont, dass die ungeliebte Tochterfirma des Tourismuskonzerns TUI nicht an Asiaten fällt.
Um das zu verhindern, hat Kühne auf seine alten Tagen noch ganz Großes vor mit der Reederei, die 1847 in Hamburg gegründet wurde und seit nunmehr 165 Jahren Schiffstransporte nach Übersee organisiert. „Ich möchte dauerhaft beteiligt bleiben“, sagt er. Wenn nötig, werde er nach dem geplanten Börsengang 2013 und der Verwässerung seines Anteils durch eine mögliche Kapitalerhöhung den Geldbeutel erneut öffnen, um sich eine Sperrminorität von 25 Prozent zu sichern. Das ist für ihn aber nur ein kleiner Schritt zu einem grandiosen Fernziel: der Schaffung einer deutschen Großreederei, die es mit Megawettbewerbern aufnehmen kann.
Disziplin
„Nur ein Zusammenschluss kann die Reederei wieder in die Spitzengruppe um die dänische Maersk und die Schweizerische MSC hieven“, doziert Kühne. Hamburg Süd, die zweitgrößte deutsche Reederei, wäre „ein idealer Partner“. Er habe schon mal mit der Oetker-Familie gesprochen, der Hamburg Süd gehört, doch habe es keine Annäherung gegeben. Auch fernöstliche Reedereien wie NOL aus Singapur, die einst nach Hapag-Lloyd ihre Fühler ausstreckte, wären eine Option. Eine „Fusion auf Augenhöhe“ erscheine Kühne aber fraglich.
Was treibt den hochgewachsenen, weißhaarigen Hanseaten in diesem Alter noch zu solchen Großtaten?
Stolz spielt eine Rolle. Kaum ein Unternehmer verkörpert so sehr die Chiffre für Disziplin, steifes Auftreten und Gefühl für Überlegenheit wie Kühne. Seit einer Stunde sitzt er in nahezu unveränderter Position: sein linkes Bein übers rechte geschlagen, zurückgelehnt in der Ecke des beigen Ledersofas seines Zimmers, sein rechter Arm auf der Seitenlehne, sein linker über der Rückenlehne. Er sitzt und spricht und sitzt, ohne seine Position auch nur einen Zentimeter zu verändern. Kein überflüssiges Wort kommt über seine Lippen, keine Floskel, keine unnötige Information.
Ohne Steuergeld
Kühne ist der personifizierte Klartext. TUI als Hauptgesellschafter bei Hapag-Lloyd habe die Reederei „zeitweise verkümmern lassen“, sagt er ohne Regung. Gut, dass der ehemalige Lufthansa-Chef Jürgen Weber nun auf TUI-Boss Michael Frenzel als Aufsichtsratschef folge. Mit dem 70-Jährigen beginne „eine neue Ära“, mit ihm zusammen werde er dafür sorgen, dass Hapag-Lloyd „zu den Gewinnern zählen wird“.
Kühne gab sich noch nie mit dem zweiten Platz zufrieden – weder privat noch beruflich. Er kann wütend und laut werden, wenn er beim Tennis verliert. Auf Widerspruch in der Firma reagiert er mitunter energisch. Mit 30 Jahren übernahm er den Betrieb seines Vaters. In den Achtzigerjahren wäre Kühne + Nagel nach Kauf einer Schiffslinie fast pleitegegangen. Zweimal verscherbelte er aus Not Anteile an seinem Unternehmen, erwarb sie später zurück. Heute ist Kühne + Nagel Branchendritter hinter Deutsche Post und Bahn. Doch der größte private Logistiker im Land, der ganz ohne Steuergeld auskam, ist er. „Klaus-Michael Kühne ist die weltweit herausragende Persönlichkeit in der Logistik“, sagt Erich Staake, Chef der Hafengesellschaft Duisport. Sein Hang zur Akribie und sein Gespür für den Markt seien einzigartig.