Klimatologe Ernst Rauch „Der Übergang zu den neuen Technologien muss jetzt beginnen“

Ein trockenes Feld neben einem Mischwald in der Region Hannover. Quelle: dpa

Naturkatastrophen schlagen beim weltgrößten Rückversicherer Munich Re ins Kontor. Die WirtschaftsWoche sprach mit Chef-Klimatologe Ernst Rauch über die Konsequenzen des Klimawandels für die Landwirtschaft, notwendige Reformen und die Chancen neuer Technologien.

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Ernst Rauch ist der Chef-Klimatologe der Munich Re, dem größten Rückversicherer der Welt. Der Konzern warnte bereits in den 70er Jahren vor dem Klimawandel. Rund 30 Experten sammeln dort heute Daten zu Wetterphänomenen. Ihre Analysen sind weit über den Finanzsektor hinaus gefragt.


Herr Rauch, zahlreiche Bauern befürchten erneut Einbußen bei der Ernte. Zurecht?
Tatsächlich sind die Böden in vielen Teilen Deutschlands, vor allem in Nordostdeutschland, unverändert – zum jetzigen Zeitpunkt in der Wachstumssaison – viel zu trocken. Das setzt sich aus dem vergangenen Jahr fort. Was man punktuell an regionalen Niederschlägen hatte, genügt bei weitem nicht, um stabile landwirtschaftliche Erträge zu haben. Die Saat für ein potenziell schwieriges landwirtschaftliches Jahr 2019 wurde sprichwörtlich schon 2018 gelegt. Die Frage, welche Erträge die Landwirtschaft am Ende erzielen wird, lässt sich aber erst nach der Vegetationsperiode im Frühherbst beantworten.

Werden Bauern in Deutschland bestimmte Sorten nicht mehr anbauen können? Brauchen sie die geforderten gentechnisch veränderten Sorten, die sowohl Trockenheit als auch viel Regen widerstehen können?
Die Landwirtschaft wird sich auf jeden Fall anpassen müssen. Mittelfristig wird der Anbau von trockenheitsangepasstem und hitzeresistentem Saatgut zunehmend bedeutend werden.

Von einigen wenigen Tagen mit mehr als 40 Grad Celsius einmal abgesehen: Empfinden die meisten Menschen in Deutschland den Klimawandel nicht insgesamt als eher angenehm, als etwas, das man mit seinem schlechten Verhalten sogar noch fördern wollte?
Wir leben, meteorologisch betrachtet, in einer Region mit gemäßigtem Klima, so dass wir es auch noch als angenehm empfinden, wenn es statt 25 Grad Celsius mal 31 hat. Insofern stören einen gesunden Menschen diese höheren Temperaturen an einzelnen Tagen nicht unmittelbar. Als Einzelnem fehlt uns der Sensor für Entwicklungen, die sehr langfristig stattfinden. Doch als internationaler Versicherer haben wir die Zunahme extrem heißer Tage und die damit verbundenen Risiken seit langem im Blick. Insbesondere alten und schwachen Menschen setzen 37 Grad und mehr aber durchaus zu. Studien über Todesfolgen für den Hitzesommer 2003 kommen zu erschreckenden Zahlen: Damals sind in Europa etwa 70.000 Menschen vorzeitig verstorben. Das war für Europa eine der größten Naturkatastrophen der vergangenen Jahrzehnte. Solche Ausprägungen werden deutlich zu wenig wahrgenommen, und man verdrängt es dann sofort wieder. Weil wir eben in der Tat die Extreme so intensiv nicht erleben.

von Benedikt Becker, Simon Book, Jan Guldner, Andreas Menn, Thomas Kuhn, Sven Böll

Ist das der Grund dafür, dass ungeachtet der aktuellen Diskussionen, der Fridays for Future und der in Umfragen gezeigten Sensibilität für den Klimawandel bisher die wenigsten Menschen ihr Verhalten ändern?
Genau. Das ist der Punkt, der in der öffentlichen Diskussion viel zu wenig diskutiert wird. Erst wenn dieses Bewusstsein vorhanden ist, kommt man zu einem substanziellen Handeln. Wir haben hier ein Problem mit Wahrnehmung der Zeitskala, auf der die Veränderungen ablaufen und entlang derer Entscheidungen zu treffen sind. In der Perspektive eines Finanzdienstleisters wie Munich Re sind zwei bis drei Jahrzehnte der klassische mittel- und längerfristige Anlagezeitraum für Investitionen. Das trifft für den Privatanleger natürlich genauso zu. Wenn heute eine neue Heizung eingebaut werden muss, dann darf es, wenn Sie das Ziel des Pariser Klima-Gipfels von 2015 ernst nehmen, eigentlich keine Erdgasheizung mehr sein. Keine Ölheizung und sowieso schon lange keine Kohleheizung mehr. Das sind Themen, die ich in der breiten Diskussion nicht wahrnehme.

Was dürfte man stattdessen einbauen?
Zum Beispiel Wärmepumpen. Sie sind aus der heutigen Sicht die zukunftsfähigste Technologie, da sie mit Strom aus erneuerbaren Energien betrieben werden können. Oder wenn sie herkömmliche Heizungen treibhausgasneutral betreiben wollen, dann aber mit synthetischen Energieträgern. Der Übergang zu den neuen Technologien muss jetzt beginnen. Wirklich: jetzt. Insbesondere im Infrastrukturbereich, weil dies sehr langlebige Projekte sind. Da sind 30 Jahre ein sehr kurzer Zeitraum. Was heute nicht schon aufs Gleis gesetzt wird, kommt 2050 nicht an. Das sind alles Themen, die einer stärkeren Bearbeitung bedürfen.

Politiker aller Couleur überschlagen sich gerade mit Vorschlägen, wie der CO2-Ausstoß zu begrenzen ist. Sind wir nicht schon viel zu spät dran?
Nicht unbedingt, es hängt natürlich vom Pfad ab, auf dem wir uns bewegen, um die Emissionen auf netto Null zu reduzieren.

Worauf müssen wir uns einstellen, und womit rechnet Munich Re als Rückversicherer als Konsequenz der Emissionen, die bereits in der Atmosphäre sind?
Bereits heute zeichnet sich ab, dass wir zunehmend mit Wetterextremen rechnen müssen, die sich jedoch weltweit in verschiedener Ausprägung zeigen werden. Schadensursache ist meist zu viel Wind und zu viel oder zu wenig Regen. Im Resultat drohen höhere Schäden, daher ist Anpassung so wichtig.

Lässt sich das global beurteilen?
Wenn man weltweit die Entwicklung analysiert, dann sieht man ganz klar, dass wetterbedingte Schäden zugenommen haben. Und zwar substanziell. Nur muss man dann auch die Verursacher anschauen. Da ist der pauschale Blick auf die ganze Welt nicht hilfreich, weil veränderte sozioökonomische Faktoren eine große Rolle spielen. Wie zum Beispiel Wertentwicklungen und die Bevölkerungsverteilung. Tatsächlich ist die Bevölkerung in vielen Teilen der Welt verstärkt in Küstennähe gezogen und dort stärker den Naturgefahren ausgesetzt. Das macht es schwierig, auf der globalen Ebene eine Aussage zu treffen. Es ist nicht möglich, pauschal die Welt anzuschauen und zu sagen: Das ist der Klimawandel.

Also haben die Klimaskeptiker doch Recht? Zumindest zu einem Teil?
Pauschalierung hilft in keiner Richtung weiter. Aussagen sind für uns immer dann gut möglich, wenn wir unseren Weltdatensatz regional aufsplitten. In Regionen, wo man hochaufgelöste Daten und lange Zeitserien hat, kann man mit unseren Schadendaten zeigen, dass bei manchen Gefahren tatsächlich der Klimawandel heute schon sehr wahrscheinlich eine entscheidende Rolle spielt. Man braucht dazu verlässliche Daten über mindestens 30 Jahre. Wir verfügen bei Munich Re typischerweise über Daten aus mehr als 40 Jahren, da wir diese seit 1980 systematisch erfassen, teilweise früher. Wenn man über diesen Zeitraum klare Veränderungen sieht, auch nach der sozioökonomischen Berichtigung dieses Schadenanstiegs, dann hat man sehr starke Indizien, dass der Klimawandel eine Rolle spielt. Mit der Aussage sind wir uns sehr sicher.

Mehr zum Thema: Hitze, Dürre, Starkregen: Der Klimawandel begünstigt Extremwetterlagen und stresst Wirtschaft und Beschäftigte. Welche Folgen das hat – und wie sich Unternehmen auf die nächsten heißen Sommer vorbereiten.

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