Klimawandel Bäume kühlen heiße Städte – doch sie brauchen dringend Hilfe

Weil es wie in diesem Frühjahr seltener geregnet hat, fehlt es den Bäumen an Wasser. Quelle: Getty Images

Bäume können überhitzte Städte herunterkühlen, müssen aber aufwendig bewässert werden. Einige Start-ups versprechen Abhilfe. Ist das die Lösung für die grüne Stadtoase von morgen?

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Heiß, heißer, am heißesten: Deutschland erlebt das zweite Hitzewochenende in Folge. Vor einer Woche registrierte der Deutsche Wetterdienst Höchsttemperaturen von örtlich über 37 Grad. Und nun erreicht die Hitze auch den Norden der Republik. In solchen Hitzewellen klettern die Temperaturen in den Innenstädten bis zu zehn Grad höher als im Umland. Bäume könnten eigentlich helfen, diese Temperaturen in trockenen Metropolen zu mildern: Denn während Beton und Asphalt Sonnenwärme speichern, kühlen sie durch Verdunstung und Schatten. 

Aber den Hölzern der Innenstädte geht es nicht gut. „Unsere Stadtbäume sind gestresst“, sagt Sonja Knapp vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ). Weil es wie in diesem Frühjahr seltener geregnet hat, fehlt es den Bäumen an Wasser. In den schütteren Baumkronen bildet sich Totholz, durch die Trockenheit breiten sich Pilze schneller aus.

Die Zahl der Bäume, die laut Statistischen Bundesamt gefällt werden müssen, steigt. Und Nachpflanzungen sind aufwendig: Ein Jungbaum zwischen dem vierten und zehnten Jahr verschlingt in der Stadt Leipzig während der Sommermonate bis zu 800 Liter Wasser, erst dann reicht sein Wurzelwerk tief genug, um ans Grundwasser zu gelangen. Wenn dies der mit Leitungen durchzogene Stadtboden überhaupt ermöglicht. Insgesamt bewässert die Stadt bereits seit Ende April rund 8000 Bäume.

Sensoren im Boden 

Nun bieten gleich mehrere deutsche Start-ups Unterstützung an. „Die Grünflächenämter sind nicht dafür ausgelegt, so viele Bäume zu bewässern, wie es durch den bereits spürbaren Klimawandel erforderlich wird“, sagt Daniel Brand. Vergangenes Jahr gründete er in Celle das Start-up Awatree. Die Sensoren des Unternehmens ermitteln, wie trocken die Erde um einen Baum herum ist. Außerdem greift Awatree auf Niederschlagsdaten, Wettervorhersagen, die regionalen Baumkataster und Satellitenbilder zurück. So ermittelt das Start-up täglich den Wasserbedarf eines Baumes. Der wird dann automatisiert gegossen – von einem dezentralen Wassertank, den das Unternehmen beispielsweise als Stadtbank um den Baum herum verkleidet hat und bis zu 1000 Liter Wasser fassen kann.

20 dieser Behälter hat Awatree seit der Gründung im vergangenen Jahr schon verbaut, unter anderem für den Energieversorger Mainova. Auf einer Webseite können Mitarbeiter des Grünflächenamts oder auch engagierte Bürgerinnen und Bürger den Wasserbedarf und den Stand des Wassertanks einsehen – und den Sensor über eine Funktechnologie ansteuern. Dafür gab es vergangenes Jahr ein erstes Investment, eine zweite Finanzierungsrunde soll noch in diesem Jahr folgen.

Auf ein ähnliches smartes Bewässerungssystem für Stadtbäume setzt auch die Stadt Essen. Gemeinsam mit der Universität Trier läuft derzeit das Pilotprojekt Treecop. Mittels Satelliten- und Bodenfeuchtesensordaten will die Stadt sehen, wo, wann und wie stark gewässert werden muss. Kommendes Jahr soll es eine Onlinekarte geben, auf der auch Bürgerinnen und Bürger nachschauen können, welcher Baum in ihrer Nachbarschaft dringend Wasser braucht.

Doch es gibt eben auch Probleme, die sich nicht digital lösen lassen: Über Jahrzehnte ist eine Infrastruktur entstanden, die Bäumen nicht gut tut. Gehwege sind gepflastert, Straßen geteert. Das erschwert es, den hiesigen Linden, Ahornen, Eschen und Platanen Regenwasser aufzunehmen. Stattdessen fließt es in die Kanalisation ab. In den Hitzeperioden rufen Kommunen deshalb immer wieder ihre Bürgerinnen und Bürger auf, ihre Stadtbäume zu gießen, fahren selbst mit Tankwägen umher oder nutzen Wasserbeutel, die das Wasser nach und nach in den Wurzelbereich abgeben. „Das ist eine reaktive Maßnahme der Kommunen“, sagt Geoökologin Knapp.

von Jannik Deters, Dominik Reintjes

Inzwischen planen sie vorausschauender: Sogenannte Schwammstädte sollen Regenwasser besser aufnehmen – und halten. Etwa durch Rigolen, also Wannen, die beispielsweise mit Kies gefüllt beim Pflanzen des Baumes unter dessen Wurzelwerk gesetzt werden und Wasser länger speichern können. Damit das in den Boden sickert, sollen Städte entsiegelt, mehr Platz für Bäume geschaffen, Abflussgräben gezogen werden. 

Vorausschauende Warte für Bäume

Eine andere Möglichkeit, irreparable Schäden zu vermeiden, bietet das Münchner Start-up Treesense. Das Unternehmen hat ein Tool entwickelt, dass rechtzeitig Alarm schlägt. Dafür wird ein Sensor in der Baumkrone angebracht, der den Wasserhaushalt analysieren kann. Der Sensor erfasst alle 15 Minuten den elektrischen Impulswiderstand in den Xylem-Kanälen, die Wasser und Nährstoffe in Pflanzen transportieren. Eine steigende Kurve zeigt an, dass der Baum zunehmend in Trockenstress gerät. Wird der rote Bereich erreicht, berechnet ein Algorithmus die effizienteste Route für die Bewässerungsteams, um möglichst viele betroffene Bäume mit einer Fahrt zu gießen. Dafür wurde das Start-up zuletzt vom Bundeswirtschaftsministerium beim Gründungswettbewerb in der Kategorie „Digitale Nachhaltigkeit“ ausgezeichnet.

In Mainz und Marburg, Madrid und Mailand laufen derzeit Pilotprojekte. Rund 100 Sensoren haben die Treesense-Gründer, der Forstwissenschaftler Giancarlo Foderà, Maschinenbauer Semir Babajic, Elektrotechniker Julius Kübler und Mathematiker Moritz Spielvogel, dort inzwischen an Bäumen montiert. Stehen 50 Platanen an einer Allee, sagt Babajic, dann reiche für die ganze Stadt ein einziger Sensor.

Anfangs wurde Argwohn gesehen: Wozu brauche ich diesen Schmarrn, fragte ihn ein Landschaftsgärtner, erzählt Babajic. „Wir können mit den Sensoren tagesgenau sehen, wie Pflanzen auf welche Umwelteinflüsse reagieren“, sagt der Gründer. So lässt sich künftig nicht nur Trocken-, sondern auch Forststress im Winter erfassen. Sensor und Software zusammen gibt es monatlich ab 300 Euro. Baumsachverständige, die bereits für Städte arbeiten, übernehmen den Vertrieb. Mit Erfolg: „Das Interesse an den Daten ist groß“, sagt Babajic. Neben Städten und Kommunen zählen inzwischen auch Wohnungsbaugesellschaften zur Kundschaft.

Wasser ist noch günstig

Denn wenn ein Baum austrocknet, ist das nicht nur schlecht fürs Klima: Äste, die abbrechen, sind eine Gefahr für Anwohner und den Straßenverkehr. Stark beschädigte Bäume werden deshalb gefällt. Im Berliner Stadtteil Friedrichshain-Kreuzberg werden es allein in diesem Jahr 2000 der 42.000 Bäume sein, wie das Baummanagement des Straßen- und Grünflächenamts schätzt. Dafür reichen die Ressourcen nicht aus, kritisiert Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann. Außerdem würden Bäume am Leben gehalten, die mittelfristig an den heutigen Standorten nicht überleben könnten.

Klimaresilientere Arten pflanzen, mehr Platz schaffen und mittels Daten bedarfsgerecht gießen – all dies könnte helfen, die Bäume länger am Leben zu halten. Und doch gerät diese Erkenntnis schnell in Vergessenheit, wenn es  wieder mehr regnet. Das weiß Awatree-Gründer Brand nur zu gut. Der Start des Start-ups im vergangenem Jahr fiel just in den regenreichsten Sommer seit zehn Jahren. „Das haben wir natürlich gemerkt. Der Fokus lag damals auf Starkregenschutz, beide Wetterextreme nehmen zu.“

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Hinzu kommt: Wasser ist noch relativ günstig, ein geringerer Verbrauch wirkt sich kaum auf die Gesamtkosten aus. Noch. Die Preise fallen zwar regional sehr unterschiedlich aus, steigen aber kontinuierlich an. Schwinden Vorräte, könnte Wasser künftig strenger reguliert werden. Wie das dann aussieht, ließ sich bereits in der vergangenen Woche beobachten: Einige Landkreise in Sachsen-Anhalt hatten Wasserentnahmeverbote ausgesprochen.

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