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Koenzens Netzauge

Das deutsche WLAN-Dilemma

Deutschland möchte beim mobilen Breitband ganz oben mitspielen. Doch ein befremdliches Gesetz verhindert den Ausbau drahtloser Highspeed-Internet-Zugänge per Wireless LAN und lässt uns im digitalen Niemandsland verharren. Ein Phänomen, das nicht nur Hoteliers hierzulande vor eine echte Herausforderung stellt.

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Ein Schild weist auf einen kostenlosen WLAN Spot hin Quelle: dpa

Wer heute in Deutschland ein Hotel betreibt, hat ein echtes Problem. Denn der moderne Tourist und Geschäftsreisende legt nicht nur auf bequeme Betten und saubere Bäder sehr viel Wert. Er möchte vor allem eines: einen schnellen Internet-Zugang, mit dem es sich bequem von unterwegs arbeiten lässt und die Reiseerlebnisse mit Freunden und Familie schnell geteilt sind. Drahtlos und ohne Kabelsalat, das versteht sich von selbst.

Dieser weit verbreitete Wunsch ist so stark, dass er jüngst sogar die europäischen Hotelklassifizierer zu einer Neuregelung der Sternevergabe bewogen hat. Seit Januar dieses Jahres heißt es nämlich in immerhin 15 europäischen Staaten: ohne WLAN sind die Sterne weg. Genauer gesagt, wer sein Haus weiterhin mit zwei Sternen schmücken möchte, muss WLAN oder DSL in der Lobby anbieten, sollen es drei Sterne sein, muss gleich die Vollausstattung her. Und das heißt: schnelle Internet-Zugänge auf allen Zimmern.

Deutschland hat keine Ahnung vom Internet
Laut einer Studie der Internationale Fernmeldeunion (ITU) haben 4,3 Milliarden Menschen weltweit keinen Zugang zum Internet oder zu Handys, ein Großteil von ihnen lebt in Entwicklungsländern. Besonders in Afrika mangelt es an der Verbreitung der modernen Technik, wie der Informations- und Kommunikationsentwicklungsindex der ITU zeigt. Internationales Schlusslicht ist die Zentralafrikanische Republik auf Platz 166. Allerdings steigt in den Entwicklungsländern die Verbreitung rasant: 2013 stieg die Verbreitung um 8,7 Prozent - in den Industrienationen waren es dagegen nur 3,3 Prozent mehr. Und einige der Industriestaaten könnten durchaus noch Nachhilfe gebrauchen. Quelle: AP
So schafft es Deutschland nur auf Platz 17, was die Zugänglichkeit und die Nutzung von Internet und Handys sowie die Kompetenz der Bevölkerung im Umgang mit der Technik angeht. In der Bundesrepublik hapert es jedoch nicht nur an der flächendeckenden Versorgung mit schnellen Internetanbindungen. Bereits im Jahr 2012 hat eine Studie von Eurostat den Deutschen in Sachen Computerkenntnisse kein gutes Zeugnis ausgestellt. Und daran hat sich bis dato nicht viel geändert. Nur 58 Prozent der Deutschen haben mittlere bis gute PC-Kenntnisse. Und selbst die Digital Natives, die mit Computern, Internet und Handy groß geworden sind, gehen nicht automatisch kompetent mit den neuen Medien um. Zu diesem zentralen Ergebnis kommt eine weltweite Studie zu den Computer- und Internetkenntnissen von Achtklässlern. Quelle: dpa
Doch selbst die USA - Heimatland von Google, Facebook, Microsoft, Twitter & Co. - wurden von der ITU nur auf Platz 14 eingestuft. Im kommenden Jahr könnten sich die USA jedoch hocharbeiten. Dann nämlich sollen zumindest in New York alte Telefonzellen durch kostenlose Wifi-Stationen ersetzt werden. Fehlen nur noch die ländlichen Regionen versorgt. Quelle: dpa
Österreich und die Schweiz landen im weltweiten Internet-Ranking auf den Plätzen zwölf und 13. Auch bei der „ International Computer and Information Literacy Study“ (ICILS) schnitten Österreich und die Schweiz besser ab, als Deutschland. Die Schüler aus den Nachbarstaaten taten sich leichter, einfache Textdokumente am Computer zu erstelle oder eigenständig Informationen zu ermitteln (Kompetenzstufen III und IV). Von den deutschen Schüler erreichte dagegen nur jeder Dritte die untersten Kompetenzstufen I und II: Das bedeutet, dass viele deutsche Jugendlichen gerade einmal über rudimentäres Wissen und Fertigkeiten beim Umgang mit neuen Technologien verfügt. Sie konnten etwa einen Link oder eine E-Mail öffnen. Quelle: AP
Besser als die deutschsprachigen Länder schnitten dagegen Japan (Platz elf), Luxemburg (Platz zehn), Hongkong (Platz neun) und Finnland (Platz acht). Quelle: dapd
Selbst unsere Nachbarn im Westen sind in puncto Verbreitung und Kompetenz deutlich besser aufgestellt: Mit einem Informations- und Kommunikationsentwicklungsindex von 8.38 kommen die Niederlande auf Platz sieben und sind damit zehn Plätze vor Deutschland mit einem Index von 7,90. Quelle: AP
Auf Platz drei liegt Schweden mit einem Index von 8.67 vor Island (8.64), Großbritannien (8.50) und Norwegen (8.39). Quelle: REUTERS

Den Gast freut es, der (deutsche) Hotelier grübelt. Denn ein befremdliches Gesetz bringt Anbieter offener WLAN-Zugänge in Deutschland in die Bredouille. Störerhaftung heißt der Begriff, der hierzulande seit Jahren erfolgreich verhindert, dass die WLAN Hotspots so aus dem Boden sprießen, wie wir es von anderen Ländern kennen. So reicht etwa schon ein Kurztrip nach Paris, um ein sehr gut ausgebautes Drahtlosnetz in einer der größten Metropolen Europas vorzufinden.

2-Klassen-Gesetzgebung

Die Störerhaftung ist ein tückisches Stück Gesetzeswerk. Sie manifestiert eine rechtliche Ungleichbehandlung, die ihresgleichen sucht: Begeht ein Nutzer eines öffentlichen WLAN eine Urheberrechtsverletzung im Internet (illegales Filesharing wäre ein typisches Beispiel), haftet der Anbieter des Zugangs (in unserem Fall der Hotelier) als sogenannter Störer und kann abgemahnt werden. Mit allen negativen Konsequenzen, hohe Abmahngebühren inklusive.

Soweit, so gut. Doch jetzt kommt die Ungleichbehandlung: denn surft derselbe User über den Hotspot eines Providers im Netz, haftet eben dieser Provider nicht. Er genießt das sogenannte Providerprivileg. Ein Beispiel dafür sind die T-Mobile-Hotspots, die in Deutschland weit verbreitet sind.

Derselbe Tatbestand. Einer haftet, einer nicht. Eigentlich unvereinbar mit unserem deutschen Rechtsempfinden.

So schön sieht WLAN aus
Zu Hause, im Büro und an öffentlichen Plätzen: WLAN ist überall. Aber wie sehen die Wifi-Strahlen eigentlich aus, haben sich der Tech-Blogger Nickolay Lamm und die Astrobiologin M. Browning Vogel Ph.D von der Nasa gefragt. Also griffen sie sich Bilder der Gegend um die Washingtoner National Mall und legten darüber Muster, wie das drahtlose Internet aussehen könnte. Wifi-Wellen haben eine gewisse Höhe und einen bestimmten Abstand zueinander. Er ist kürzer als bei Radiowellen und länger als bei Mikrowellen, sodass eine einzigartige Übertragung entsteht, die nicht durch andere Signale unterbrochen werden kann. Verschiedene Sub-Kanäle werden hier in verschiedenen Farben dargestellt. Quelle: gigaom.com
Die entstandenen Bilder zeigen eindrucksvoll, wie sich die unterschiedlichen Frequenzen der WLAN-Strahlen in der Öffentlichkeit verhalten. Hier werden die Impulse als bunte Kugeln visualisiert. Die Quelle ist rechts im Bild zu sehen. Jede Farbe steht für einen eigenen Ausschnitt aus dem elektromagnetischen Feld. Wifi-Felder sind meist sphärisch (wie hier) oder ellipsenförmig und erstrecken sich an öffentlichen Orten bis zu 300 Meter. Quelle: gigaom.com
Dieses Bild soll zeigen, dass die Impulse etwa sechs Zoll voneinander entfernt sind. Es wird auch deutlich, warum ein öffentlicher Platz nicht immer gleich gut mit Netz abgedeckt ist. Quelle: gigaom.com
Wifi-Antennen können an Bäumen, Laternenmasten oder auf Gebäuden befestigt werden. Mehrere Antennen können das komplette Gebiet um die National Mall abdecken. Das Internet legt sich hier wie eine Decke auf den Platz. Quelle: gigaom.com
Internetwellen sind überall - das machen uns die Bilder eindrucksvoll klar. Aber allen Berichten über schädliche Wirkungen zum Trotz: Sie sind einfach wunderschön. Quelle: gigaom.com

Selbst unsere Politik hat mittlerweile – „nur“ rund 15 Jahre nach der Markteinführung der ersten WLAN-Lösungen – erkannt, dass die Störerhaftung dringend reformiert werden muss. Eine erste offizielle Willensbekundung findet sich bereits im Koalitionsvertrag vom Oktober 2013. „Rechtssicherheit für WLAN-Betreiber ist dringend geboten, etwa durch Klarstellung der Haftungsregelungen (Analog zu Accessprovidern).“

Und auch die „Digitale Agenda“ – immerhin das erste Werk einer deutschen Regierung, das die Digitalisierung als eines der ganz großen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Themen in Deutschland anerkennt – verspricht Erleichterung: „Wir werden Rechtssicherheit für die Anbieter solcher WLANs im öffentlichen Bereich, beispielsweise Flughäfen, Hotels, Cafés, schaffen. Diese sollen grundsätzlich nicht für Rechtsverletzungen ihrer Kunden haften. Einen entsprechenden Gesetzesentwurf werden wir in Kürze vorlegen.“

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