Mark Ritson, ein Londoner Professor für Marketing, formuliert es so: „At times of war marketing is rendered superficial and ridiculous.“ In Zeiten des Krieges zeigt sich Marketing oberflächlich und lächerlich...
Was macht man als werbungtreibendes Unternehmen, als Marketer und Werber, wenn ein Krieg ausbricht, der das ganze Land lähmt? Diese Frage hat sich Marketing noch nie stellen müssen. Nicht einmal in den Jahren 1991 bis 2001, als vor unserer Haustür im ehemaligen Jugoslawien Hunderttausende starben und verletzt wurden. Denn jenen Krieg haben wir, diplomatisch ausgedrückt, so gut wie ignoriert. Nun aber zerstört Putin die Ukraine. Deutschland – und alle Unternehmen des Landes – reagieren entsetzt, betroffen und mit großer Hilfsbereitschaft.
Die Bürger und Verbraucher sind nach zwei Jahren Covid-Pandemie und allen damit verbundenen Einschränkungen körperlich, aber auch psychisch angeschlagen. Lieferketten sind inzwischen so empfindlich gestört, dass viele Waren derzeit nicht geliefert werden können.
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„Nichtssagend, folgenlos, anbiedernd“
Als erster Werbungtreibender bekam Edeka zu spüren, dass die Menschen Unternehmenskommunikation anders wahrnehmen und sensibler als sonst reagieren. Man schrieb in den sozialen Medien auf die ukrainischen (und gleichzeitig hauseigenen) Farben den Spruch „Freiheit ist ein Lebensmittel“ und handelte sich damit einen veritablen Shitstorm ein. Das Digitalmagazin „t3n“ titelte zu Recht „Krieg taugt selten als Markenmoment“ und kommentierte: „Was hat die Lebensmittelmarke dazu veranlasst, in den sozialen Medien einen Slogan wie ‚Freiheit ist ein Lebensmittel‘ zu verwenden? Nichtssagend, folgenlos und irgendwie anbiedernd – und für den ansonsten gut beleumundeten Markenkern, den sich das Unternehmen in den letzten Jahren aufgebaut hat, nicht förderlich.“ Schweigen wäre in den ersten Tagen dieses Angriffskrieges gewiss besser gewesen. Da muss man Professor Ritson Recht geben.
Die Drogeriemarktkette Rossmann wählte einen anderen Weg. Man entschied sich, zu helfen, indem man Hilfspakete in die Ukraine schickt, um Kriegsopfer und Geflüchtete zu unterstützen. Gleichzeitig verschickte man eine Mitteilung an die Presse. Tue Gutes und rede darüber.
Edeka reagierte erneut, wenn auch verspätet. In einem Post in den sozialen Medien teilte der Konzern mit, man habe 360 Tonnen an benötigten Produkten wie Konserven, Brot, Trinkwasser, Babynahrung und Hygieneartikel auf den Weg an die ukrainische Grenze gebracht.
Ukraine unterstützen oder Russland schwächen?
Die vielfältigen Reaktionen der Markenhersteller und Handelsunternehmen würden Seiten füllen. Die Supermarktketten Rewe, Netto, Penny und Aldi nahmen in Russland produzierte Lebensmittel aus ihren Sortimenten. Ob eine solche Aktion geeignet ist, den Menschen in der Ukraine zu helfen oder die russische Wirtschaft spürbar zu schwächen (falls das die Absicht ist), darf man bezweifeln. Es klingt sehr nach oberflächlichem Marketing, nach Aktionismus.
Die Maßnahme der Deutschen Bahn, Ukraine-Flüchtlingen kostenlose Nutzung der Fernstrecken zu ermöglichen, um aus Polen, Tschechien und Österreich nach Deutschland zu fahren, verdient dagegen ebenso Lob wie die Spendenaktion von Vodafone. Darüber hinaus berechnen die Mobilfunkprovider in Deutschland (Vodafone, Telekom, O2) und ihre Partnermarken seit Anbeginn der kriegerischen Handlungen keine Gebühren für Verbindungen in die Ukraine. Allesamt Beispiele für praktische Hilfe, die den Betroffenen unmittelbar zugutekommt.
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Zynismus pur
Die Nachrichten aus Medien und Wirtschaft überschlagen sich – und könnten unterschiedlicher nicht sein. Der Teleshopping-Sender QVC unterbindet offenbar Solidaritätsbekundungen im Programm.
Das „Manager Magazin“ berichtet: „Russland und Ukraine: Hoffnungsmarkt der Süßwarenindustrie bricht weg. Die beiden Märkte galten als Hoffnungsträger auch der deutschen Süßwarenindustrie. Mit dem Krieg bricht das Geschäft weg.“ Auf den Straßen Mariupols sterben Menschen und Lambertz fürchtet um seinen Printen-Umsatz. Angesichts des menschlichen Leids fragt man sich, ob Nachrichten aus der Wirtschaft noch zynischer verfasst werden könnten.
Kein Playmobil für russische Kinder
Immer mehr Unternehmen ziehen sich aus dem Russland-Geschäft zurück. Zu ihnen gehören alle deutschen Autobauer. Dass MAN keine Lastwagen nach Russland liefern will, ist nachvollziehbar. Aber gilt das Argument auch für Spielzeug-Laster aus dem Hause Playmobil? Es ist kompliziert.





Nicht jedes Unternehmen besitzt die gleichen Möglichkeiten zu helfen oder eine Infrastruktur, die Menschen in Not unterstützen kann. Im Zweifel ist es ratsam, nicht in blinden Aktionismus zu verfallen. Im Magazin „Impulse“ schreibt der Psychologe Karl Peter Fischer, Professor an der Münchner Hochschule für angewandtes Management Marketing, Markt- und Werbepsychologie: „Mit Werbung, die darauf abzielt, ein Image aufzubauen oder zu pflegen, wäre ich aktuell extrem vorsichtig.“
Das eigene Firmenlogo sei mit ein paar Klicks gelb-blau eingefärbt, ein paar Worte über den Wert der Freiheit schnell geschrieben – aber Unternehmer sollten ihre Intention hinterfragen, bevor sie werben. „Solche anlassbezogene Werbung zielt darauf, das Image zu verbessern. Das geht schnell nach hinten los. Die Positionierung gelingt nur, wenn sie extrem glaubwürdig ist, weil man sich schon länger immer wieder sichtbar engagiert hat“, mahnt Fischer.
Während des Ukraine-Konflikts ganz auf Werbung verzichten?
Viele Unternehmen suchten nach Möglichkeiten, Geld- und Materialspenden für die Ukraine zu sammeln. Kathrin Behrens, die Unternehmen zu Krisenstrategien berät, empfiehlt, sich auf das Machen zu konzentrieren: „Ich finde es unethisch, den Krieg für clevere Markenstrategien auszuschlachten. Wir brauchen derzeit Unternehmen, die mitdenken, aktiv werden, konkrete Hilfe leisten. Manchmal ist es sogar stilvoller, auf die Kommunikation nach außen zu verzichten.“
Auf Kommunikation zu verzichten, ist leicht gesagt. Wer aber unbedacht weiterwirbt, kann sich auf dünnes Eis begeben. Wenn die Gaming-Branche weiter für Ballerspiele wirbt, ist das mehr als grenzwertig. Der Publisher Electronic Arts kündigte immerhin an, künftig alle russischen Teams aus der Fifa- und NHL-Reihe zu entfernen.
Ein Werbespot für den nächsten Urlaub zwischen den Bildern flüchtender Frauen und Kinder kann in diesen Tagen aufstoßen. Aber ist es Menschen zu verdenken, nicht den ganzen Tag an Kriegsschrecken zu denken, sondern für einen Augenblick an etwas Schönes? Wohl kaum. Wenn AIDA für seine Kreuzfahrten weiter wirbt, ist das richtig.
Agenturen in der Krise
Auch für Agenturen hat die Krise Auswirkungen. Zunächst hieß es bei der Serviceplan Gruppe, man ließe das Büro in Kiew offen und habe den Mitarbeitern angeboten, sie nach Deutschland zu holen. Nur Stunden später dann die Nachricht, mit der man gleich zu Beginn gerechnet hatte: die Agentur wurde geschlossen, da die meisten KollegInnen die Stadt verlassen hätten.
WPP, die größte Werbeholding der Welt, zieht sich komplett aus Russland zurück. Man muss hinzufügen, dass dies 0,6 Prozent ihres Umsatzes betrifft.
Die Cannes Lions schließen russische Teilnehmer vom Kreativ-Festival in diesem Jahr aus: „Wir stehen an der Seite unserer Freunde in der Ukraine und unseren vielen Partnern und Community-Mitgliedern in Russland, die sich gegen die Regierung stellen. Auch wenn es unser Anliegen ist, Kreativität zu feiern, ganz gleich wo sie herkommt, haben wir uns dazu entschieden, dieses Jahr keine Einsendungen oder Delegierten von russischen Organisationen zu akzeptieren.“
Gewiss geht es nicht darum, einzelne russische Bürger zu bestrafen, sondern – wie bei den soeben begonnenen Paralympics – zu vermeiden, dass Ukrainer und Russen auf den Bühnen der Welt zusammentreffen. Beim Schreiben dieser Kolumne lagen die Sportler und Sportlerinnen aus der Ukraine übrigens im Medaillenspiegel auf dem ersten Platz.
Die Werbebranche tut sich schwer mit dem Krieg. Im Laufe der Zeit wird sie sicher besser lernen, mit der Katastrophe umzugehen. Damit aus oberflächlichem Marketing wieder sinnstiftendes wird.
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