Ausgerechnet Italien! Dass die Fusion der Deutschen Börse und der London Stock Exchange (LSE) hier enden würde, hat selbst Insider überrascht. Die Londoner sollen sich von ihrer italienischen Handelstochter MTS trennen, um den Segen der EU-Kommission für den Zusammenschluss zu bekommen.
Doch die LSE will sich sich nicht von der Tochter trennen. Heute Mittag um 12 Uhr läuft die Frist für den Verkauf ab: High Noon wie im Italo-Western. Damit dürfte der EU-Kommission nichts anderes übrig bleiben, als den Deal zu untersagen – und das ist auch gut so, denn bei dieser Fusion lief so ziemlich alles schief, was nur schiefgehen kann.
Beide Börsen wollten einen europäischen Champion schmieden, der es mit der Konkurrenz aus den USA aufnehmen kann. Doch zu viele Faktoren sprachen dagegen. Erst kam der Brexit, dann die Ermittlungen gegen Börsenchef Carsten Kengeter, am Ende drohte der ganz große Crash bei der hessischen Börsenaufsicht. Jetzt ziehen die Londoner die Notbremse und ersparen allen Beteiligten eine noch größere Blamage.
Börsenchef Kengeter in Schwierigkeiten
Milliardenschwere Übernahmen, Umbau des Vorstands und die geplante Fusion mit der London Stock Exchange (LSE): Der Chef der Deutschen Börse, Carsten Kengeter, hat seit seinem Amtsantritt am 1. Juni 2015 ein hohes Tempo vorgelegt. Doch Anfang 2017 hat das Image des tatendurstigen Managers Kratzer bekommen. Der 50-jährige frühere Investmentbanker ist wegen des Verdachts des Insiderhandels ins Visier der Frankfurter Staatsanwaltschaft geraten.
Kaum im Amt als Vorstandschef bei der Deutschen Börse, zieht der Manager im Sommer 2015 zwei Übernahmen für mehr als 1,3 Milliarden Euro durch - die Devisenhandelsplattform 360T und das Indexgeschäft von Stoxx. Er krempelt den Vorstand um und gibt dem Aktienhandel wieder stärkeres Gewicht.
Sein Ziel: „Die Gruppe Deutsche Börse dorthin zu führen, wo sie hingehört - an die Weltspitze.“ Kengeter untermauert seinen Anspruch mit Fakten: Am 23. Februar 2016 werden die Fusionspläne mit London gekannt gegeben. „Größe ist in unserer Branche das A und O“, wirbt der gebürtige Heilbronner, dessen Familie in London lebt, für den Zusammenschluss.
Praktisch sein gesamtes Berufsleben arbeitete der studierte Betriebswirt als Kapitalmarktexperte bei internationalen Großbanken: Barclays, Goldman Sachs und schließlich bei der UBS, wo er als oberster Investmentbanker in die Konzernleitung aufstieg. 2013 verlässt der Vater von drei Kindern, der gerne Berg-Marathon läuft, die Schweizer Großbank.
Im Herbst 2014 präsentiert die Deutsche Börse Kengeter als Nachfolger von Reto Francioni. Als „prächtigen Fang“ für den Dax-Konzern bezeichnete die „Börsen-Zeitung“ den Manager vorab. Als Chef der neuen europäischen Mega-Börse hätte Kengeter mehr Zeit in London verbringen können, dort sollte der rechtliche Sitz der Dachgesellschaft des fusionierten Unternehmens sein. Aber die Fusion platzte endgültig nach dem Veto der EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager Ende März 2017.
Am 26. Oktober 2017 gab er seinen Rücktritt bekannt. Zum 31. Dezember 2017 verlässt Kengeter das Unternehmen.
Als beide Konzerne ihre Fusion verkündeten, galt der EU-Austritt der Briten als unwahrscheinliches Szenario. Nur so sind wesentliche Teile des Fusionsvertrags zu erklären. Darin ist festgezurrt, dass Börsenchef Kengeter den Vorsitz der Gemeinschaftsbörse übernehmen soll – und dass der Rechtssitz nach London geht. Seit die Briten für den Austritt aus der Europäischen Union votiert haben, ist dieser Passus nicht mehr zu halten.
Denn damit läge der Sitz der Superbörse nach dem Brexit außerhalb der EU. Auch ob die millionenschweren Einsparungen erzielt werden können, die beide Börsen ihren Fusionspartnern versprochen hatten, steht angesichts des Brexits in den Sternen.
Mit dem Brexit-Votum wurde Börsenchef Kengeter vom Antreiber zum Getriebenen. Denn die Londoner hielten eisern an der Vereinbarung fest, obwohl sich früh abzeichnete, dass die hessische Börsenaufsicht den Deal in der geplanten Form nicht genehmigen wird. Dass die Staatsanwaltschaft dann auch noch wegen umstrittener Aktienkäufe gegen Kengeter ermittelte, brachte den Börsenchef noch stärker in die Defensive – auch, wenn für ihn natürlich die Unschuldsvermutung gilt.
Zugleich brachte die EU-Kommission mehrere Einwände gegen den Deal vor, die stets den Londoner Fusionspartner betrafen. Erst musste die LSE geloben, sich von ihrer Frankreich-Tochter Clearnet zu trennen. Jetzt hätten sie auch noch die italienische MTS verkaufen müssen. Und auch in Großbritannien wuchs der Widerstand der Politik gegen den Deal. Vom Standort London hätte die LSE unmöglich abrücken können.
Offiziell begründen die Londoner ihre Entscheidung zwar damit, dass sie das Verhältnis zu den italienischen Aufsehern nicht beschädigen wollen. Aber das wirkt wie ein Vorwand: Zum Umsatz der gemeinsamen Gruppe trägt die MTS nur einen Bruchteil bei. Und wieso sollten die Aufseher sich daran stören, dass ein Konkurrent die MTS übernimmt?
Vielmehr sieht es so aus, als habe die LSE heute die Notbremse gezogen: Angesichts des Brexits wäre die Fusion in ihrer geplanten Form ohnehin nicht mehr machbar gewesen. Wenn sie nicht an der EU-Kommission gescheitert wäre, dann spätestens an der hessischen Börsenaufsicht. Das hätten beide Seiten früher eingestehen können – doch stattdessen ritten sie ein totes Pferd. Man muss keine Italo-Western mögen, um zu wissen, dass das nicht funktionieren kann.