Kommunale vs. private Betriebe Der Kampf um Deutschlands Nahverkehr

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Präzedenzfall in Pforzheim schockt private Betriebe

Seit über 100 Jahren organisierte ein kommunaler Betrieb der baden-württembergischen Stadt den Nahverkehr. Reine Formsache also, als das Rathaus im Sommer vergangenen Jahres die Leistung ab 2017 neu ausschrieb. Man wollte einen Investor mit ins Boot holen, ansonsten sollte alles bleiben, wie es war. Doch es kam anders. Ein Tochterunternehmen der Deutschen Bahn stellte einen eigenwirtschaftlichen Antrag, gab an, ohne die jährlichen Millionenzuschüsse der Stadt auszukommen. Das Gesetz ist eindeutig: Wenn das jemand plausibel vorrechnet, bekommt er den Zuschlag. Das Regierungspräsidium Karlsruhe prüfte den Antrag und befand ihn für schlüssig.

In diese Großstädte zieht es die meisten Berufstätigen
Duisburg Quelle: dpa
Platz 9: MünsterIn Münster ist der Anteil der Einpendler bei 49 Prozent deutlich größer als der der Auspendler. Deshalb liegt der Pendlersaldo bei satten 17 Prozent. In absoluten Zahlen bedeutet das, dass sich tagsüber rund 50.000 Menschen mehr in Münster aufhalten als in der Nacht, wo die Einwohnerzahl bei 302.000 liegt. Quelle: dpa
Essen Quelle: Dpa
Nürnberg Quelle: DPA/Picture-Alliance
Karlsruhe Quelle: DPA/Picture-Alliance
Bonn Quelle: Fotolia
Stuttgart Quelle: dpa Picture-Alliance

Für die SVP hieß das: Ihr werdet abgewickelt. Und für die 240 Mitarbeiter: Ihr seid entlassen. Ende Dezember ist Betriebsschluss. Ein Schreckensszenario für Bürgermeister und Gewerkschafter, was passiert, wenn der Wettbewerb über sie hereinbricht. Tatsächlich gibt es inzwischen eine ganze Reihe solcher Kämpfe: in Hildesheim, in Leverkusen, in Gotha oder Esslingen, in Diepholz und Hamm.

Die Argumente sind immer dieselben: Die Mittelständler versichern, schlanker aufgestellt zu sein und effizienter arbeiten zu können als die kommunalen Betriebe. Die Gewerkschaft Verdi prangert derweil die angeblichen Dumpinglöhne bei den Privaten an – und findet dafür Zustimmung in den Rathäusern.

Oldenburg steckt 2,67 Millionen Euro in den Nahverkehr

Dort will man die eigenen Unternehmen schützen. Mit ihnen können Stadräte flexibel neue Linien schaffen, wenn sie neue Wohngebiete oder Gewerbeflächen ausweisen. Sie können die städtischen Gesellschaften zwingen, die Schüler früher von der Schule abzuholen, wenn es der Stundenplan erfordert, oder auch mal spätnachts ein einsames Waldlokal anzufahren. Private bieten diese Flexibilität meist nicht. Für sie gilt nur der Dienstleistungsvertrag.

In Oldenburg etwa, wo Karl Hülsmann den Busverkehr übernehmen will, steckt die Stadt seit Jahren Millionen in den Nahverkehr. 2,67 seien es 2016, sagt die VWG.

Hülsmann dagegen will ohne Zuschüsse auskommen und dabei noch verdienen. Gerade haben er und seine drei Mitstreiter europaweit die Bestellung von 100 Bussen ausgeschrieben. „Ich setze doch nicht so viel Geld ein, wenn ich nicht glauben würde, dass es klappt“, sagt er. Die Strategie des Konsortiums: weniger Personal in der Werkstatt, weniger Disponenten, weniger Krankenstand und weniger aufwendige Technik im Bus – auch geringere Löhne für die Chauffeure, für die der hohe Verdi-Tarif nicht gilt. So haben sie kalkuliert, eine schwarze Null errechnet und das Ganze dann der niedersächsischen Landesnahverkehrsgesellschaft (LNVG) zur Genehmigung vorgelegt.

Es ist ein Wettbewerb nach unten, bei dem am Ende alle Beteiligten verlieren. Die Städte zwingt das neue Modell dazu, ihre Vergabe so unwirtschaftlich wie möglich zu gestalten, um eigenwirtschaftliche Anträge auszuschließen. Das treibt die Kosten in die Höhe. Die privaten Konkurrenten ihrerseits drängt es in höchstriskante Betreibermodelle, an deren Ende die Pleite stehen kann. Derzeit hängt die Effizienz des Stadtverkehrs daher allein von Menschen wie Rainer Peters ab. Er ist Sprecher der LNVG und muss sich seit Monaten mit Hülsmanns Antrag beschäftigen.

Die wichtigsten Firmenübernahmen der deutschen Bahn

Was, wenn die Privaten nach einigen Jahren feststellen, doch nicht ohne Subventionen auszukommen? Die städtische Gesellschaft wäre dann schon abgewickelt. Die Stadt müsste wohl oder übel zahlen. Deshalb prüft Peters Behörde sehr genau, wie belastbar die Kalkulation der Privaten ist. Offiziell spricht Peters zwar von einem „offenen Rennen“. Vieles aber deutet darauf hin, dass der Antrag wohl abgelehnt werden dürfte.

Auch im Oldenburger Rathaus geht man von diesem Szenario aus. Selbst wenn Hülsmann dann sein Recht vor Gericht einklagen sollte: Es würde Jahre dauern. So lange könnte die VWG fahren. Nach zehn Jahren würde dann eine neue Konzession vergeben – auf die sich alle neu bewerben müssten. Man hätte das Problem ausgesessen, Hülsmann stünde wieder ganz am Anfang.

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