Wenn das Chaos ausbricht, muss Mirko Jacubowski die Nerven behalten. Er ist oberster Krisenmanager in Deutschland bei Thomas Cook, Europas zweitgrößtem Tourismuskonzern. Bei Streiks, Naturkatastrophen und Terroranschlägen eilen Jacubowski und sein Team den Gästen zu Hilfe. Keine andere Branche hat so ein professionelles Krisenmanagement. Im Interview spricht Jacubwoski über Evakuierungen, Fehleinschätzungen und warum es in Notfällen kein Raum für Improvisation gibt.
Herr Jacubowski, Sie sind Krisenmanager bei Thomas Cook. Wie lange dauert es, bis Sie von einer Katastrophe auf der Welt erfahren?
Bis wir das erste Mal davon hören? Oft nur 30 Sekunden.
So schnell?
Ja, wir haben hier einen Stab von Kollegen, die die Welt im Auge behalten. Dazu haben wir ein System, das Daten aus der ganzen Welt sammelt, von Nachrichtenagenturen, staatlichen Behörden, Wetterdiensten, geologischen Instituten, oder der Weltgesundheitsorganisation. Wenn es in Kalifornien ein Erdbeben gibt, wissen wir das in wenigen Sekunden. Und über eine Karte können wir direkt sehen, ob wir Hotels in der Nähe haben und unsere Gäste in unmittelbarer Gefahr sein könnten.
Mirko Jacubowski
Mirko Jacubowski ist oberster Krisenkoordinator für Deutschland bei Thomas Cook. Er bereitet Krisenstabstreffen vor und organisiert die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Abteilungen. Wenn es gerade keine Krise gibt, betreut er bei Thomas Cook die Gäste-Beschwerden.
Und dann alarmieren Sie den Krisenstab?
Nein, in dieser Phase macht es noch keinen Sinn, sich zusammenzusetzen, weil wir noch nichts Konkretes wissen. Also sammeln wir weiter Informationen und kontaktieren unsere Mitarbeiter vor Ort. Bei Anschlägen halten wir zudem Rücksprache mit unserem Verband, dem DRV, der sich mit dem Auswärtigen Amt austauscht. Dann haben wir eine erste fundierte Einschätzung der Lage. Den Krisenstab rufen wir nur dann zusammen, wenn Gäste massiv gefährdet oder betroffen sind.
Und wie oft ist das nötig?
Im vergangenen Jahr ungefähr 15 Mal. Das war ein unruhiges Jahr: Die Anschläge in Tunesien, in Ägypten, in Bangkok. Aber wir saßen auch wegen des Bahnstreiks, des Lufthansa-Streiks zusammen oder wegen des Flüchtlingsstroms. Wenn es Tote gibt, kann einen das psychisch sehr belasten. Vom Arbeitsaufwand her sind Streiks manchmal viel intensiver, wenn wir Tausende von Gästen kontaktieren und Ihnen Alternativen anbieten müssen.
Wie Sie in Ländern mit hoher Kriminalitätsrate sicher unterwegs sind
Der Transfer vom Flughafen sollte schon im Vorfeld der Reise geklärt sein. Das gilt vor allem, wenn Sie in der Dunkelheit ankommen. In vielen Ländern ist es schwierig, reguläre Taxis von Abzockern zu unterscheiden.
Am sichersten reisen Sie unauffällig – ohne Schmuck, teure Uhren oder riesige Kameras. Ihr Laptop transportieren Sie am besten in einem einfachen Rucksack.
Wer Bares am Automaten abhebt, ist ein willkommenes Opfer für Räuber – und sein Geld leicht wieder los. Am sichersten sind Automaten in der Bank oder der Gang zum Schalter.
Vor dem Abstellen des Wagens zu Hause lieber noch mal um den Block fahren und die Gegend auf Hinweise auf einen bevorstehenden Überfall prüfen. Um auch beim Einparken alles im Blick zu haben, fahren Sie das Auto am besten rückwärts in die Garage.
Kommt es trotz aller Vorsichtsmaßnahmen doch zum Überfall, ist Widerstand zwecklos. Spielen Sie nicht den Helden, sondern überlassen Sie dem Angreifer Geld, Schmuck und Handy.
Nehmen Sie immer einen zweiten Geldbeutel mit – ein sogenannter „robbery wallet“ mit abgelaufenen Kreditkarten, Ausweispapieren und so viel Bargeld, dass der Räuber zufrieden ist.
Gerade bei Überfällen ist es wichtig, Limit und Pin jeder Kreditkarte sofort parat zu haben. Dauert das Geldabheben zu lange, wird der Räuber leicht nervös und die Situation kann eskalieren.
Was ist während einer Krisensitzung wichtig, damit das Treffen auch produktiv verläuft?
Wenn wir zusammenkommen, haben wir die wichtigen Informationen schon zusammengetragen. Auf einer großen Tafel in unserem Krisenraum notieren wir alle wichtigen Daten. Denn es ist immer hilfreich, wenn alle Beteiligten dieselben Informationen vor Augen haben. Sonst gibt es schnell Verwirrung. Da sehen wir dann die Zahlen unserer Gäste vor Ort, und auch, wie viele bald anreisen. So können wir die Größenordnung einschätzen. Und auf dieser sind auch alle wichtigen Fragen ausgelistet: Soll es kostenlose Umbuchungen oder Stornierungen geben, und wenn, in welchem Zeitraum? Müssen wir Kunden vielleicht sogar ausfliegen?
"Es gibt Gäste, die gar nicht abreisen wollen"
Wonach entscheidet sich, ob Sie Kunden evakuieren müssen?
Wenn das Auswärtige Amt eine Reisewarnung ausspricht, müssen wir die Reisen natürlich abbrechen und kündigen. Manche Reisewarnungen sind aber auch nur regional begrenzt. Dann bieten wir bestimmte Regionen nicht mehr an. Es kann auch vorkommen, dass wir unser Ausflugsprogramm anpassen müssen. Das war zum Beispiel in Ägypten so, da hat das Auswärtige Amt im vergangenen Jahr vor Reisen innerhalb der Sinaii-Halbinsel gewarnt. Daraufhin haben wir Ausflüge zu einem Kloster gestrichen.
Und was, wenn die britischen Behörden andere Entscheidungen treffen als das Auswärtige Amt?
Das kommt immer wieder vor, zum Beispiel im vergangenen Sommer in Tunesien: Da haben wir die englischen Gäste ausgeflogen, die deutschen Gäste konnten bleiben. Und wir hatten auch schon Fälle, bei denen wir morgens die Gäste eines Quellmarktes zur Abreise auffordern mussten und andere Gäste in Ruhe weiter frühstücken konnten.
Wie kann das sein?
Das liegt einfach daran, dass wir uns bei unseren Entscheidungen an den Sicherheitshinweisen der nationalen Behörden orientieren müssen. Wenn Staatsangehörige zum Beispiel von einem Anschlag betroffen sind, ist das jeweilige Außenministerium natürlich eher dazu geneigt, restriktiv zu agieren. Unterschiedliche Länder haben natürlich auch unterschiedliche geheimdienstliche Erkenntnisse. Und das führt dazu, dass die Einschätzungen immer wieder voneinander abweichen. Und solange es dort keine Harmonisierung auf europäischer Ebene gibt, wird sich das vermutlich nicht ändern. Das stellt für jeden Krisenmanager eine Herausforderung dar, den Gästen das zu erklären.
Diese Nationen verreisen am meisten
Die Kanadier landen auf Platz 6 der Nationen, die am meisten Reisen außerhalb ihres Landes machen. Auch bei den Ausgaben für ihre Urlaube landen die Kanadier auf Platz 6.
Platz 5 geht an die reisefreudigen Franzosen. Allerdings reisen Franzosen günstiger als andere Nationen: Betrachtet man die Ausgaben der Urlauber aus den unterschiedlichen Ländern, landet Japan auf Rang 5.
Rund 1,37 Milliarden Chinesen gibt es auf der Welt, immer mehr von ihnen reisen in andere asiatische Länder, aber auch nach Europa oder Amerika. Damit erreichen die Chinesen Platz 4 der Nationen mit den meisten Reisen. Was die Urlaubsausgaben angibt, erreichen die Chinesen sogar den zweiten Rang.
Die Briten lieben ihren All-Inclusive-Urlaub. Das bringt ihnen Rang 3 der reisefreudigsten Nationen. Bei den Ausgaben allerdings landet Großbritannien nur auf dem vierten Rang.
Kaum eine Nation ist häufiger im Ausland anzutreffen als die Amerikaner: Die USA erreicht mit ihren rund 320 Millionen Einwohnern Rang zwei der Nationen mit den meisten Urlaubsreisen. Bei den Ausgaben rücken die Amerikaner sogar auf den ersten Platz.
Urlaubsweltmeister aber bleiben die Deutschen: 80 Millionen Einwohner machen rund 70 Millionen Urlaubsreisen im Jahr - allerdings vor allem günstige. Beim Umsatz mit Auslandsreisen erreicht Deutschland nur Rang 3.
Warum evakuieren Sie in so einem Fall nicht gleich alle Thomas Cook-Gäste, egal, welcher Nation?
Das Kommando "Alle raus" kann generell immer nur die letzte Entscheidung sein. Dafür brauchen wir natürlich eine eindeutige rechtliche Handhabe durch eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes. Denn es gibt auch Gäste, die gar nicht abreisen wollen. Die sagen: Wir fühlen uns sicher, wir haben lange auf den Urlaub gespart, wieso sollen wir den jetzt abbrechen? Zudem könnte im Zweifelsfall die Situation vor Ort auch verschlimmert werden. Wenn Urlauber fehlen, kann das gravierende wirtschaftliche Folgen für ein Land haben.
Mehr Gäste auszufliegen ist für Thomas Cook auch ein Kostenfaktor.
Das mag stimmen, aber in einer Krise lassen wir uns nicht von den Kosten leiten. Die oberste Priorität hat die Sicherheit und das Wohlergehen unserer Gäste. Die Frage, wie viel das kostet, kommt allenfalls im Nachgang auf. In einer Krise lässt sich kein Geld sparen, aber man kann in einer Krise viel verlieren. Jede große Krise kann zum wirtschaftlichen Schaden für das Unternehmen werden, wenn man sie falsch händelt.
"Wir müssen damit leben, dass die Welt unsicherer geworden ist"
Wann haben Sie sich bei einer Krise mal so richtig verschätzt?
Bei der Aschewolke vor fünf Jahren zum Beispiel. Da dachten wir erst: Ach, was stört uns ein Vulkanausbruch in Island (lacht). Niemand hat geglaubt, dass uns das beeinflussen könnte. Dann gab es irgendwann die ersten Luftraumstörungen und wir dachten: Na gut, vielleicht müssen wir uns das angucken. Später war der gesamte Luftraum gesperrt, da hatte die Aschewolke dann bei uns auch oberste Priorität. Aber so eine Krise verändert sich ja auch in ihrem Verlauf, und auch je mehr man darüber erfährt.
Kann man Krisen üben?
Wir machen das sogar mehrmals im Jahr. Wir haben eine gruppenweite Krisenübung, an der alle Märkte teilnehmen und wir auch unsere Fluglinie Condor einbeziehen. Das sind fünf Stunden Stress pur. Aber das ist wichtig, damit jeder weiß, was er zu tun hat. In Krisensituationen bleibt wenig Raum für Improvisation. Würden wir anfangen zu improvisieren, hätten wir ein Problem, dann gäbe es Chaos. Das hat die Branche nach dem 11. September 2001 lernen müssen, und auch nach dem Tsunami 2004 in Süd-Ost-Asien. Diese entsetzliche Vorfälle haben insgesamt zu einer starken Professionalisierung des Krisenmanagements geführt.
Mit diesen Programmen wird Ihr Mobiltelefon zur Notrufzentrale
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Diese App alarmiert Sie in drei Gefahrenabstufungen bei Erdbeben, Fluten und Sicherheitsbedrohungen. Die höchste Stufe ertönt auch, wenn das Telefon stummgeschaltet ist.
Worauf achten Sie, wenn Sie selbst in den Urlaub fahren?
Ich informiere mich vorher gezielt. Aber zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen ergreife ich nicht. Wenn man es statistisch betrachtet, ist eine Autofahrt nach Bayern gefährlicher als ein Urlaub in Asien. In Deutschland geht ja auch jeder weiterhin ins Fußballstadion und auf Konzerte. Ich denke, wir müssen alle damit leben, dass die Welt etwas unsicherer geworden ist. Das ist allgemeines Lebensrisiko.