Ein Multifunktionsstick für den Mähdrescher aus recyceltem Plastik? Was klingt wie ein Marketinggag, könnte in wenigen Jahren auf dem Markt der Bedienelemente zum Verkaufsrenner aufsteigen. Dann nämlich, wenn die Europäische Union für bestimmte Stoffe höhere Abgaben vorschreibt als für ihre recycelten Pendants. Kommen dürfte die Vorschrift in den nächsten Jahren als Baustein des EU-Green Deals. Produkte aus nachhaltig produziertem Material wären dann nicht nur werberelevant, sondern günstiger als die Konkurrenz – und damit wirtschaftlicher.
Das Technologieunternehmen Elobau aus Leutkirch im Allgäu forscht genau daran: Wie sie ihre Joysticks, Griffe und Sensoren präziser und gleichzeitig nachhaltiger herstellen können, am besten aus Stoffen, die sich wiederverwerten lassen. „Mittel- bis langfristig lohnt sich das“, sagt Nachhaltigkeitsmanager Patrick Löw.
Er ist davon überzeugt, dass sich teure Investitionen in den Umweltschutz auszahlen. Ein Beispiel? Vor einigen Jahren installierte das Unternehmen großflächige Fotovoltaikanlagen auf den Dächern der Produktionshallen – seither fertigt die Firma klimaneutral und größtenteils aus hauseigener Energie. Und spart: „Im Zuge der gestiegenen Energiekosten fallen unsere Stromrechnungen geringer aus als auf dem Markt üblich.“
War „Nachhaltigkeit“ noch vor einigen Jahren für viele Unternehmen eine Worthülse, so wird der Begriff im Zuge gesellschaftlicher und politischer Veränderungen nun mit Zahlen unterfüttert. CO2-Ausstoß, der Anteil der erneuerbaren Energien am Gesamtverbrauch, aber auch soziales Engagement und eine gerechte Unternehmensführung fallen unter die Richtlinien für Umwelt, Soziales und Governance, kurz ESG.
Die Berater von Munich Strategy haben nun im Auftrag der WirtschaftsWoche unter 4000 deutschen Mittelständlern die 50 nachhaltigsten ermittelt. Darunter befinden sich Technologieanbieter genauso wie Bäckereien, Kosmetikhersteller und Baufirmen. Ihnen gemeinsam ist, so die Studienleiter: Die Unternehmen betreiben kein Greenwashing, sondern sehen Nachhaltigkeit als Mittel, sich Wettbewerbsvorteile zu erarbeiten.
Wo sind Ladeplätze für E-Bikes?
Geht es nach dem Anlagenbauer Aixtron bei Aachen, dem Zweitplatzierten des Rankings, ist die Beschäftigung mit dem Thema Nachhaltigkeit mittlerweile „überlebensnotwendig“. „Kunden, Investoren und Mitarbeiter fordern das ein“, sagt CFO Christian Danninger. Er beobachtet, dass Bewerber in den Recruitinggesprächen nach Details im ESG-Bericht fragen. Manche Ingenieure oder Physiker wollen wissen, ob Ladeplätze für E-Bikes vorhanden seien oder wie das Unternehmen die Arbeitsbedingungen bei Zulieferern im Ausland beeinflusse. Wer solche Fragen nicht zufriedenstellend beantworten könne, sei heute vor allen bei jungen Bewerbern klar im Nachteil.
Deutlich mehr als die Hälfte seines Umsatzes macht das börsennotierte Unternehmen, das knapp 730 Menschen beschäftigt, mit Technologien, welche die EU als nachhaltig deklariert, also als CO2-arm.
Zur Methodik
Die Beratung Munich Strategy hat im Auftrag der WirtschaftsWoche die Nachhaltigkeit von 4000 mittelständischen Unternehmen analysiert. Dafür wertete sie mittels eines Algorithmus die Nachhaltigkeitsberichte, Presse- und Social-Media-Aktivitäten der Unternehmen aus. Für eine engere Auswahl von 400 Unternehmen errechneten sie einen Nachhaltigkeitsscore. In die Bewertung des Nachhaltigkeitswertes fließt ein, wie die Aktivitäten aus den Bereichen Umwelt, Soziales und Governance (ESG-Kriterien) umgesetzt und kommuniziert werden. Die Berater stützten sich dabei auch auf Experteninterviews mit verschiedenen Stakeholdern.
Bei den Betriebsausgaben sind es gar 75 Prozent. Um die Quote zu erreichen, setzt Aixtron auf erneuerbare Energien, CO2-Kompensationsprojekte, aber auch auf viele kleine Maßnahmen wie Lademöglichkeiten für E-Autos oder die Streichung der Subventionen für Verbrenner. „Am Ende führte das dazu, dass wir ein effizienteres Unternehmen geworden sind als zuvor“, sagt Danninger.
Für das Ranking blickten die Studienleiter nicht nur auf das Engagement für die Umwelt. Genauso wichtig sind die Dimensionen Soziales und Governance, die viele Unternehmen immer noch vernachlässigen. Zum Sozialaspekt gehören beispielsweise Mitarbeiterzufriedenheit, Arbeitssicherheit oder die Einhaltung von Richtlinien gegen Diskriminierung. Das Thema Governance steht für faire Rahmenbedingungen, die Korruption oder Interessenkonflikte von Vorständen verhindern sollen.
Um zu ermitteln, welche Unternehmen hierbei vorne liegen, schauten die Unternehmensberater in erster Linie auf die Nachhaltigkeitsberichte. Sie bewerteten etwa die darin formulierten ESG-Ziele und deren Wirkungskraft. „Die Unternehmen, die sich wirklich engagieren, tun das seit Jahren mit einem ausgewogenen Einsatz in allen drei Kategorien“, sagt Sebastian Theopold, Geschäftsführer von Munich Strategy.
Nachhaltig besser durch die Krise
Ergänzend zu den Berichten wurden Pressemitteilungen ausgewertet sowie Social-Media-Posts und Interviews mit den Verantwortlichen. Aus den Daten berechneten die Experten den Sustainability Score. „Wir sehen, dass nachhaltige Unternehmen besser durch die Krisen kommen als andere“, bilanziert Berater Theopold. Kunden von Lebensmittelhändlern und Bäckereien beispielsweise, die auf nachhaltige Bedingungen setzen, wiesen eine höhere Kundenbindung auf als in der Branche sonst üblich. Bei Lieferschwierigkeiten etwa macht sich diese dann bezahlt – Kunden warten geduldiger.
Unternehmen, die jetzt noch auf den Nachhaltigkeitszug aufspringen wollen, rät Theopold zunächst zu einer klaren ESG-Strategie und einem Verantwortlichen, der direkt an das obere Management berichtet. Auch das Unternehmen Elobau, Nummer eins im Ranking, hat sich auf diese Weise organisiert.
Bereits 2009 beschloss die Geschäftsführung, das Thema anzugehen. Sie gründete ein Doppelstiftungsmodell, in dem die Nachhaltigkeitsvision verankert ist. Die Auswirkungen des Klimawandels waren schon damals im Allgäu zu spüren, berichtet die Geschäftsführung. Dagegen wollte sie etwas unternehmen. Das Know-how bei der Transformation teilt das Unternehmen heute mit anderen. Seit Kurzem berät eine hauseigene Agentur Firmen auf den Weg in die Nachhaltigkeit – ein lukratives Geschäftsmodell.
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