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Lehren aus dem Chaos in Mainz Hunderte neue Fahrdienstleiter sollen Zugchaos verhindern

Die Bahn versucht, Lehren aus dem Stellwerk-Chaos in Mainz zu ziehen. Während der Zugverkehr endlich wieder normal läuft, drohen am Montag weitere unbequeme Fragen im Verkehrsausschuss des Bundestags.

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Diese Ziele hat die Deutsche Bahn verfehlt
Ziel nicht erreicht: Pünktlichkeit95 Prozent aller Personenzüge waren laut Bahn-Statistik in diesem Jahr maximal sechs Minuten verspätet. Das ist besser als im Vorjahr, dank des Regionalverkehrs. Doch die Fernzüge waren wie 2011 nur zu 80 Prozent pünktlich, mit der Tendenz zu mehr Verspätung. Von Juli bis Oktober sank die Pünktlichkeit teilweise unter 75 Prozent, Zugausfälle nicht eingerechnet. Als Begründung nennt die Bahn unter anderem „Baugeschehen“. Quelle: dpa
Ziel nicht erreicht: AchsenSeit Sommer 2008 muss die Deutsche Bahn ihre Radsatzwellen etwa zehn Mal häufiger auf Risse kontrollieren als bislang. Für einen ICE 3 bedeutet das einen mehrstündigen Werkstattaufenthalt nach 30.000 statt 300.000 Kilometern. Dadurch sind ständig fünf Prozent der ICE-Flotte weniger unterwegs. Der Einbau neuer Achsen beginnt frühestens 2013. Entspannung ist allenfalls für 2014 zu erwarten. Quelle: dapd
Ziel nicht erreicht: FlotteWeil Hersteller nicht wie bestellt liefern, fehlen der Deutschen Bahn weitere Züge. Siemens wollte bis Ende 2011 neue ICE-Züge bauen, die nach Frankreich und Belgien fahren können – Fehlanzeige. Zum Fahrplanwechsel am 9. Dezember wollte Siemens acht der bestellten 16 Züge liefern und einen ICE später gratis – die Flitzer erhielten wegen Softwarefehlern keine Zulassung, ein Termin ist offen. Anders ist die Situation bei den ICEVorgängern, den Intercity-Zügen. Einige haben 40 Jahre auf dem Buckel – und wirken entsprechend schäbig. Zwar modernisiert die Deutsche Bahn nun 800 Wagen. Doch weil es keine Ersatzzüge gibt, muss sie ständig rund 150 Wagen aus dem laufenden Betrieb nehmen, die dann dort fehlen. Das verschärft den Mangel an Fahrzeugen weiter. Die aufgemöbelten Waggons ähneln den ICE – Velours in der zweiten, Leder in der ersten Klasse. Bis 2014 soll die 200-Millionen- Euro-Modernisierung laufen. Erste renovierte Züge fahren allerdings zwischen Köln und Hamburg, wo die Bahn neuerdings gegen private Konkurrenz antritt – ein Schelm, der Böses dabei denkt. Quelle: obs
Ziel nicht erreicht: Fernziel London2012 wollte die Deutsche Bahn die britische Hauptstadt anfahren. Daraus wird auf absehbare Zeit nichts, denn der Bahn fehlen geeignete Züge. Selbst die 17 neuen ICE-Züge von Siemens, deren Einsatz sich nun weiter verzögert, fahren maximal bis zum Tunnel unter dem Ärmelkanal. Eine Zulassung für England ist nicht absehbar. Quelle: REUTERS
Ziel teilweise erreicht: Komfort2010 kamen Reisende wegen Überhitzung ins Krankenhaus. Seitdem modernisiert die Bahn die Klimaanlagen ihrer 44 ICE der zweiten Generation. 32 sind fertig und trotzten den Temperaturen an dem heißen Wochenende im September. Im Juli 2013 sollen alle 44 ICE 2 so weit sein. Die Intercity- Züge dagegen bleiben anfällig. Ihre Klimaanlagen laufen weiterhin immer wieder heiß, bei 40 Grad an einem Sonntag im August fielen rund fünf Prozent aus. Besserung ist nur langsam in Sicht. Neue Verdichter, Verflüssigungsaggregate und gereinigte Klimakanäle sollen bis Ende 2014 Abhilfe schaffen. Auch die Bordrestaurants haben Probleme: Im Sommer fielen reihenweise Kühlschränke aus, weil der Temperaturfühler streikte. Die Ursachen sind nur teilweise behoben. Unzuverlässig arbeiten auch die Geräte, die das Essen erhitzen. Sie laufen ab und zu über und setzen ganze Restaurants unter Wasser. Ebenso geben Spülmaschinen in aller Regelmäßigkeit den Geist auf. Die Folge: Benutztes Geschirr wird an Bahnhöfen gegen sauberes ausgetauscht. Die Bahn hat inzwischen den Hersteller gewechselt. Immerhin werden mittlerweile auch Vegetarier satt. Flexibler und kundenfreundlicher sollen die neuen ICx-Züge werden, die ab 2016 einen Teil der Fernverkehrsflotte ablösen. Experten der Nahverkehrsberatung Südwest haben aber gleichzeitig auch weniger Platz für die Reisenden errechnet. Rund 2,5 Sitze pro Quadratmeter quetscht die Bahn in den neuen ICx. Bei den aktuellen ICE-Zügen sind es weniger als zwei. Der neue ICE bekommt beim Komfort von den Consultern daher nur die Note ausreichend. Gut schnitten die ersten ICE-Generationen ab. Quelle: dapd
Ziel nicht erreicht: Internet im ZugErst ein Drittel der Hochgeschwindigkeitsstrecken und ein Drittel der ICE-Flotte sind so ausgerüstet, dass Internet-Empfang über einen Hot-Spot möglich ist. Auch der bloße Mobilfunkempfang ist oft mangelhaft. Erst 2014 sollen alle ICE-Züge mit WLAN ausgerüstet sein. Nahverkehrszüge und die modernisierten Intercitys bleiben empfangsfrei. Der Thalys, ein Gemeinschaftszug der belgischen, niederländischen und französischen Bahn, bietet zwischen Köln und Brüssel WLAN an – die Deutsche Bahn nicht. Quelle: REUTERS
Ziel erreicht: SympathieBahn-Chef Grube sorgte bei den Beschäftigten für bessere Stimmung. Unter den beliebtesten Arbeitgebern Deutschlands stieg die Bahn bei Wirtschaftswissenschaftler von Rang 57 auf Rang 37 und bei Ingenieuren von Rang 21 auf Rang 19. Bis 2020 soll die Bahn nach Grubes Willen zu den Top Ten gehören. Kunden loben, wie die Bahn über Facebook und Twitter mit den Fahrgästen kommuniziert. Quelle: dapd

Mit hunderten neuer Fahrdienstleiter noch in diesem Jahr will Bahnchef Rüdiger Grube ein neuerliches Zugchaos wie unlängst am Mainzer Hauptbahnhof verhindern. „Wir werden deutlich mehr Fahrdienstleiter ausbilden und einstellen. Wir wollen bis Jahresende insgesamt über 600 zusätzlich qualifizieren“, sagte Grube dem Nachrichtenmagazin „Focus“. In der Fünf-Jahresplanung seien weitere 1500 neue Stellen vorgesehen. Bislang beschäftige die Bahn 12 500 Fahrdienstleiter. Mainz war wegen Personalmangels im Stellwerk seit Anfang August teilweise vom Fernverkehr abgekoppelt, auch viele regionale Bahnen hielten nicht. Seit Freitagabend wird dort wieder nach Plan gefahren.

Die Wiederaufnahme des Fahrplanbetriebs bedeutet nach Einschätzung der Gewerkschaft EVG aber nicht, dass nun alle Probleme gelöst seien. „Für die Reisenden mag sich die Situation augenblicklich entspannt haben, für unsere Kolleginnen und Kollegen aber hält der Stress an, weil weiterhin nach wie vor nur der Mangel verwaltet wird“, kritisierte der Vorsitzende der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), Alexander Kirchner, in einer Mitteilung vom Samstag in Frankfurt. Erst in den nächsten Wochen werde sich zeigen, wie ernst es den Personalverantwortlichen wirklich sei, die Zahl der Beschäftigten am tatsächlichen Bedarf auszurichten.

Eine Sprecherin der Deutschen Bahn wies die Kritik der Gewerkschaft als pauschal zurück. „Es gibt kaum ein Unternehmen in Deutschland, das so viele neue Mitarbeiter eingestellt hat wie die Deutsche Bahn, Zehntausende alleine in den letzten Jahren.“ Sie verwies auf entsprechende Aussagen von Bahn-Personalvorstand Ulrich Weber vor einigen Wochen. Demnach sind aktuell im Bahnkonzern 247 Fahrdienstleiter mehr beschäftigt als 2012.
Bahnchef Grube verlangt vom Bahneigentümer 1,2 Milliarden Euro mehr pro Jahr. „Wir brauchen mehr Geld für Tunnel und Brücken“, sagte der dem „Focus“. Von 34 000 Kilometern Schiene stammten mehr als die Hälfte noch aus dem 19. Jahrhundert. Von 25 000 Eisenbahnbrücken seien 9000 älter als 100 Jahre. 1400 Brücken müssten ganz dringend saniert werden. Zudem forderte der Bahnchef die Bundesregierung auf, die Bahn von der Ökostrom-Umlage zu befreien. „Wir beziehen über 75 Prozent des Stroms im Fernverkehr aus Öko-Energien“, sagte Grube. „Der Bund sollte uns als Vorreiter bei der Nutzung von Ökostrom aber eher belohnen als bestrafen.“

Die Bahn hatte am Freitag ihren Stammkunden für die wochenlangen massiven Zugausfälle am Mainzer Hauptbahnhof Reisegutscheine und Gutschriften angekündigt. Inhaber von Abo-, Jobticket- oder Zeitkarten aus dem Raum Mainz sollen so bis zu 50 Euro erstattet bekommen. Mit dem Angebot einer freiwilligen Kulanzleistung wollen wir unseren Stammkunden etwas Gutes tun und verloren gegangenes Vertrauen wieder zurückgewinnen“, erklärte der Vorstand Personenverkehr, Ulrich Homburg.

Nach dem Mainzer Zugchaos waren die Züge seit Mitte August zunächst an den Wochenenden wieder nach dem üblichen Plan gefahren. Von diesem Montag an sollen sie dann auch wieder wochentags im Normaltakt fahren. Das Fahrplanchaos steht am gleichen Tag im Verkehrsausschuss des Bundestages auf der Agenda.
Neuen Ärger hat die Bahn derweil auch auf einer anderen Baustelle: Ein überfüllter ICE musste am Freitagmittag am Fernbahnhof des Frankfurter Flughafens von der Bundespolizei geräumt worden. Das sagte ein Bahnsprecher am Samstag in Berlin und bestätigte damit Berichte von hr-online und des „Kölner Stadt-Anzeigers“. Der ICE sei in Dortmund statt wie vorgesehen mit zwei nur mit einem Zugteil losgefahren, sagte der Sprecher. Ein Zugteil sei defekt gewesen, ein Ersatz kurzfristig nicht verfügbar gewesen.

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