Ob italienische Mortadella, französischer Käse oder britische Scones: Für europäische Verbraucher ist ein Einkauf bei den deutschen Billigheimern Aldi und Lidl so normal wie hierzulande. Nach anfänglichen Schwierigkeiten hier und da brummt das Geschäft - nicht zuletzt dank der regionalen Spezialitäten im Sortiment.
Chronologie: Der Aufstieg von Aldi
Der Bäcker Karl Albrecht startet am 10. April 1913 den Verkauf von Backwaren im heutigen Essener Stadtteil Schonnebeck.
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Karl Albrecht und seine Frau Anna eröffnen im Essener Stadtteil Schonnebeck ein „Kaufhaus für Lebensmittel“.
Nachdem Eltern das Geschäft um weitere Filialen erweitert haben, übernehmen die Söhne Karl und Theo Albrecht 1945 den Betrieb.
Die Brüder entwickeln das Geschäftsmodell weiter. Das Stammgeschäft in Essen-Schonnebeck wird zum Selbstbedienungsladen. Die Kette wächst zudem weiter. 1960 hat das Unternehmen mehr als 300 Filialen.
Das Unternehmen hat mehr als 300 Filialen.
Die Brüder teilen das Filialnetz auf. Karl konzentriert sich auf den südlichen Teil (Aldi Süd) und Theo auf den nördlichen, Aldi Nord. Sie arbeiten aber weiter eng zusammen.
Die erste Aldi-Filiale im Discount-Prinzip wird eröffnet.
1967 folgt der erste Schritt ins Ausland. Aldi Süd übernimmt das österreichische Handelsunternehmen Hofer. 1976 startet Aldi Süd in den USA. Wenige Jahre später steigt auch Aldi Nord mit der Übernahme von Trader Joe's in den US-Markt ein.
Einführung der Aktionstage. Aldi Süd führt Kühltheken für den Verkauf von Frischprodukten ein.
Aldi Süd nimmt u.a. Tiefkühlprodukte ins Sortiment auf.
Aldi Süd beginnt mit der Aufstellung von Backstationen.
Aldi-Mitbegründer Theo Albrecht (Aldi Nord) stirbt im Alter von 88 Jahren.
Aldi Nord führt ein neues Laden-Konzept mit Backstationen ein. Beginn der europaweiten Modernisierung des Filialnetzes.
Aldi-Mitbegründer Karl Albrecht stirbt mit 94 Jahren.
Mit ihrem Discount-Prinzip haben die Gebrüder Albrecht den Lebensmittehandel revolutioniert und ihre Unternehmen einen enormen Erfolg beschert. Das Forschungsinstitut EHI schätzt den Nettoumsatz von Aldi Süd im Jahr 2013 auf 13, 8 Milliarden Euro, den von Aldi Nord auf 10 Milliarden. Aldi Süd verfügt allein in Deutschland über rund 1830 Filialen, Aldi Nord über mehr als 2400. Weltweit kommen Aldi Nord und Aldi Süd zusammen auf insgesamt über 10.000 Filialen und rund 66,8 Milliarden Euro Jahresumsatz.
Inzwischen machen die Discounter Branchenkennern zufolge mehr als die Hälfte ihres Umsatzes im Ausland. Und es dürfte mehr werden. Aldi ist bereits in Australien und den USA umtriebig, Lidl wird wohl über kurz oder lang nachziehen.
Denn zu Hause sind die Expansionsmöglichkeiten angesichts des dichten Netzes von Supermärkten, Discountern oder Drogerien begrenzt. Rein rechnerisch könne jeder Deutsche im Schnitt in nur fünf Minuten Fahrzeit 5,5 Märkte erreichen, sagt Handelsexperte Wolfgang Adlwarth vom Marktforschungsinstitut GfK. Die Zahl der Filialen gehe daher auch eher zurück als dass sie steige. Umso verlockender erscheint da das Ausland - sehr zum Leidwesen der dortigen Konkurrenz, die Kunden und Umsatz verliert und sich neue Konzepte überlegen muss.
Das Prinzip ist stets das gleiche: Kommen Aldi oder Lidl, dann purzeln die Preise. Auf dem britischen Markt haben die beiden einen Preiskrieg angezettelt, der inzwischen an den Gewinnen aller Beteiligten zehrt. Das schreckt die deutschen Discountschwergewichte aber nicht ab.
Im Gegenteil: „Wir sind vorbereitet. Wir werden die Preise, wenn nötig, noch weiter senken“, warnte Matthew Barnes, Aldi-Geschäftsführer im Vereinigten Königreich und Irland erst vor wenigen Tagen. Zu Lasten der so genannten „Big Four“, der vier großen Supermarktketten Tesco, Sainsbury's, Asda und Morrison kommen Aldi und Lidl inzwischen auf etwas mehr als zehn Prozent Marktanteil. Und beide wollen mehr. Aldi alleine will bis 2022 Großbritannien mit 1000 Filialen überziehen.
Auch in Frankreich zieht die Kombination aus günstigen Preisen und Qualität bei den Verbrauchern. Insbesondere Lidl hat in den vergangenen Jahren enorm investiert. Nach Berechnungen des französischen Branchenblatts „LSA“ rangiert das Unternehmen aus Neckarsulm inzwischen auf Platz Sieben bei den großen Ketten, noch weit vor einheimischen Discountern wie Monoprix. Aldi kommt auf Rang 15.
Preis ist nicht mehr das Alleinstellungsmerkmal
Dabei verläuft der Eintritt in ein neues Land nicht immer reibungslos. Dies gilt grundsätzlich für Länder, in denen entweder das Preisbewusstsein der Verbraucher nicht so ausgeprägt ist oder in denen es starke traditionelle Handelsstrukturen gibt, die man erst aufbrechen muss, weiß Adlwarth.
Warum Aldi billig ist
Es ist eine Gretchenfrage: Wie viele Artikel biete ich meinen Kunden an? 1946 ging es um nichts mehr als ums Sattwerden. Die Aldi-Brüder schauten auf ihren Tages- und Wocheneinkauf. Erst im Laufe der Jahre kamen Non-Food-Artikel hinzu – anfangs waren sie verpönt.
Mit der Zeit pendelte man sich bei 400 Artikeln ein. Inzwischen – in Zeiten der feiner werdenden Nuancen – ist die Zahl auf über 900 Basisartikel gewachsen. Der Stellplatz in den Filialen hat natürliche Grenzen. Zudem ist Produktpflege ein aufwändiges Geschäft.
Von Beginn an galt bei den Albrechts das Gebot der Warengleichheit: In allen Filialen sollten die Kunden dieselben Produkte finden. Schnell ging es soweit, dass sie es sogar an derselben Stelle fanden.
Eine echte Revolution war die Einführung von Kühlware in den Siebzigerjahren. Sowohl bei Aldi Nord als auch bei Aldi Süd gingen Grundsatz-Diskussionen voraus. Entgegen der Behauptungen gab es darüber aber keinen brüderlichen Zwist. Allerdings musste der vorpreschende Karl Überzeugungsarbeit leisten beim abwägenden Theo. Doch die Kühltruhe kam, erst im Kleinformat, dann immer mehr.
Seit Jahren macht andere Discounter wie Netto (vorher Plus) gute Geschäfte mit Markenartikeln. Aldi hat stets eine Aversion gegen sie gehabt - gab inzwischen aber nach. Auf der anderen Seite taten sich die Hersteller von Markenartikeln anfangs auch sehr schwer, bei einer Billigkette zu listen, als die Aldi galt.
Vereinfacht gesagt besteht Aldis größtes Problem darin, die erforderlichen Liefermengen von mehreren Anbietern zu beziehen. Bei vergleichenden Qualitätsstandards heißt es immer wieder: Bedarfsdeckung versus Preis. Gerade zu Ostern und Weihnachten ist es eine Sisyphusarbeit in Planung und Organisation, für ausreichend Waren zu sorgen und sie auf die Filialen zu verteilen.
Die Preisfindung in diesem „Wettkampf“ ist das eigentliche Erfolgsrezept Aldis. Als Marktführer, ausgestattet mit dem Hebel der Mengenmacht, hat man hier natürlich Vorteile. Dabei bündeln Aldi Nord und Aldi Süd ihre Einkaufsstrategie in vielen Sortimenten. Auf der anderen Seite hat Aldi auch kein Interesse, die Lieferanten so sehr zu schröpfen, dass sie in den Ruin gehen.
Lieferanten unterliegen leicht der großen Verlockung, mit Aldi so zu verhandeln, dass die eigentlichen Kapazitätsgrenzen überschritten werden. Zwar kann man mit Aldi vermögend werden, aber das Risiko, sich zu sehr abhängig zu machen, ist groß. Denn Aldi streicht durchaus schnell einen Lieferanten. Fachleute raten dazu, maximal 50 Prozent seiner Produkte an Aldi zu verkaufen.
Die Wettbewerber sind dem Preisdiktat ausgesetzt. In den vergangenen Jahres war gut zu beobachten, was passiert, wenn Aldi die Preise für Alltagsprodukte wie Milch senkte: Die Konkurrenz zog innerhalb weniger Stunden nach. Preisvergleich und Preispolitik sind Tagesaufgaben.
Doch warum agieren die Discounter eigentlich so nah am „gerechten Preis“? Die Frage ist durchaus berechtigt, denn die Durchschnittskunde ist eigentlich sehr wenig mit den Preisen vertraut. Er stellt seinen Warenkorb den Bedürfnissen und Gepflogenheiten zusammen. Die meisten gehen nicht mit offenen Augen durch die Läden. Angebote werden auch bei Aldi sehr deutlich mit andersfarbigen Schildern gekennzeichnet, damit sie überhaupt auffallen. Umso wichtiger ist also, dauerhaft der Preisführer zu sein – und dieses Image zu pflegen.
Egal wie günstig ein Produkt ist – die Qualität muss stimmen: Aldi testet wie auch die anderen Discounter ständig seine aktuellen und auch mögliche neuen Produkte. Zudem nützt das tollste Sonderangebot nichts, wenn es um 11 Uhr ausverkauft ist.
Kein Produkt hat bei Aldi eine Existenzgarantie. Jeder Lieferant ist austauschbar. Und das lässt Aldi seine Partner ganz genau wissen. Es herrscht rigorose Preiskontrolle vom Einkauf bis zum Verkauf. Der Kunde entscheidet. Nimmt er ein Produkt nicht (mehr) an, fliegt es aus dem Sortiment. Das gilt besonders für Sonderverkäufe. Schlagen sie nicht ein, bekommen sie keine zweite Chance.
Im Fachjargon heißen sie Zugartikel, die Produkte, an denen Aldi praktisch nichts verdient. Die Marge liegt nahe null, aber sie sind dennoch sehr wichtig. Denn sie locken Kunden in den Laden. Und die Kunden kaufen dann eben auch andere Produkte, wo die Margen entsprechend höher liegen. Die sogenannte Quermarge stimmt also auch bei Zugprodukten.
Regale sind das eine, Vorstelltische das andere. Bei Aldi haben sie eine sehr hohe Bedeutung. Reste gehen hier rasant weg.
Der Filialleiter hat die wesentliche Aufgabe, sein Personal geschickt einzuspannen. Aldi näht hier auf Kante, sprich: Die Personaldecke ist extrem eng. Im Krankheitsfall bricht rasch der Notstand aus, wenn nicht umgehend Ersatz zur Hand ist: verdreckte Böden, unsortierte Regale, Schlangen an den Kassen. Entsprechend sind Filialleiter entscheidende „Produktchefs“ und es gelten hohe Standards.
Heute, in Zeiten der Piep-Piep-Kassen, ist es nicht mehr so wichtig: Aber groß geworden ist Aldi auch wegen einer vermeintlich selbstverständlichen Eigenschaft der Kassiererinnen und Kassierer: Sie kannten die Preise der Produkte auswendig und konnten sie blitzschnell in die Kasse eingeben.
Die Logistik dahinter ist alles andere als einfach: Wie bekommt man all die hohen Bargeldsummen, die sich in den Kassen auftürmen, sicher zur Bank? Das ist die eine Frage, die Discounter wie Aldi lösen müssen. Die andere ist, wie man die Liquidität möglichst schnell reinvestiert. Bei einer Umschlaggeschwindigkeit der Waren von 8,5 Tagen und einem Zahlungsziel von 14 Tagen gegenüber dem Lieferanten ist die Ware nahezu zweimal verkauft, ehe sie einmal zu bezahlen ist. Und das mit zwei Prozent Skonto.
Wohin also mit dem Geld? Die erste Antwort lautet: Nicht mehr mieten, sondern kaufen – also die Immobilien, in denen sich die Filialen befinden. Zudem fließt bei Aldi viel Geld in die Familienstiftung. Dort wird es gefahrensicher angelegt. Zudem war Aldi frühzeitig darauf aus, in der Plastikindustrie zuzukaufen.
Aldi ging schon früh einen Weg, der damals alles andere als üblich war und setzte auf eigene Produkte. Die alte Kaufmannsweisheit, dass der Vertreiber nicht selbst produzieren soll, damit er nicht mit Reklamationen überschüttet wird, gilt heute längst nicht mehr. Aber damals war es etwas ziemlich neues. Es begann mit eigenem Kaffee, der in Herten produziert wurde.
Bei Aldi wird alles und ausnahmslos umgetauscht, wenn der Kunde dies wünscht. Jede eingequetschte Tomate und jede Laufmasche. Filialleiter dürfen unter keinen Umständen Einwände erheben.
Die beiden Aldi-Unternehmen brüsten sich damit, nicht zu werben. Das ist natürlich nicht wörtlich gemeint, schließlich sind die Anzeigen aus den regionalen und überregionalen Zeitungen nicht wegzudenken. Was Aldi meint ist, dass man die Kunden besonders anspricht, also über den Preis argumentiert und auf Mund-zu-Mund-Propaganda setzt.
Einmal im Jahr gibt es den bisweilen gefürchteten Vergleich zwischen Aldi Nord und Aldi Süd. Folgende Zahlen spielen darin die Hauptrolle: Hauptkostenarten bei Personal, Mieten, Energie usw. sowie Anzahl der Filialen, Umsätze und Gesamtkosten.
Bei Aldi gibt es praktisch keine innerbetrieblichen Veranstaltungen. Sozialkontakte erstrecken sich auf den gemeinsamen Einsatz für sprudelnde Umsätze. Als ein Geschäftsführer mal anlässlich der Heirat seiner Tochter Theo Albrecht nebst Gattin Chily einlud und es dort Zusammentreffen mit wichtigen Lieferanten gab, verzog Theo keine Miene. Das Arbeitsverhältnis wurde gelöst.
Ein gutes Beispiel hierfür ist Italien. Auf diesen Markt hat sich bislang nur Lidl gewagt. Aldi will aber nachziehen. In Städten wie Rom sucht man Lidl-Filialen im Zentrum allerdings vergebens. Diese liegen oft an Ausfallstraßen, wenn überhaupt, kommt der italienische Lidl-Konkurrent Tuodì auf eine Innenstadtlage. Viele Italiener gehen aber ohnehin lieber zum Wochenmarkt oder zum herkömmlichen Supermarkt als zum Discounter.
In der Schweiz taten sich Ali und Lidl anfangs schwer. Nach ersten Achtungserfolgen mit besonders günstigen Preisen mussten die deutschen Discounter den eidgenössischen Gewohnheiten Rechnung tragen. Aldi und Lidl nahmen einen hohen Anteil Schweizer Produkte auf, achten auf Nachhaltigkeit und Service - mit Erfolg. Inzwischen sind sie aus Schweizer Ortschaften kaum wegzudenken.
Die „Neue Zürcher Zeitung“ kommt dennoch zu dem Schluss, dass es am Ende nicht die Schweizer Einzelhandelskonzerne waren, die sich an die Billig-Anbieter angepasst haben. Vielmehr hätten die Discounter aus Deutschland eine „sukzessive Verschweizerung“ erfahren.
Dass der Preis nicht mehr das Alleinstellungsmerkmal ist, lässt sich über all dort erkennen, wo die Discounter bereits seit längerem den Fuß in der Tür haben. Um auch Besserverdiener anzulocken, feilt man am Sortiment und betont landestypische Besonderheiten. In Frankreich gibt es im Herbst Weinwochen, in Großbritannien trat Lidl zuletzt als Sponsor der englischen Fußballnationalmannschaft in Erscheinung und Aldi präsentierte sich als Partner der erfolgreichen Olympiamannschaft.
Weg vom Billig-Image will Aldi auch in Australien und hübscht deshalb seine Filialen auf. Fast 440 sind es inzwischen. Pro Jahr sind weitere 100 Märkte geplant. Über einen Lidl-Einstieg in dem Land wird spekuliert, seit das Unternehmen sich 2015 eine Reihe hauseigener Markennamen schützen ließ. Allerdings berichtete der „Sydney Morning Herald“ gerade, Lidl sei der australische Markt nun zu klein für einen baldigen Einstieg. Dagegen treibt Lidl seine Pläne für die USA voran. Über seine Webseite sucht der Discounter bereits aktiv nach Personal.