Lieferando-Deutschland-Chefin „Wir sind nicht bloß ein Wimpernschlag in einer Coronaphase“

Lieferando-Fahrer Quelle: PR

Viele Gastronomen warnen: Sie stünden kurz vor dem Ruin. Der Partner vieler Gastronomen, Lieferando, hingegen floriert. Deutschland-Chefin Katharina Hauke über die Aufstockung der eigenen Kurierflotte, wie die digitale Kantine für Homeoffice-Arbeitnehmer das Geschäft stimuliert und die Schwierigkeiten bei der Müllreduzierung.

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Die Online-Essensbestellplattform Lieferando gehört zum niederländischen, börsennotierten Konzern Justeat-Takeaway. Dank Corona konnte der seinen Umsatz im vergangenen Jahr um 50 Prozent auf rund 2,4 Milliarden Euro steigern. Deutschland ist für Justeat-Takeaway der zweitgrößte Markt, Lieferando ist hierzulande mit großem Abstand Marktführer und beschäftigt rund 900 Mitarbeiter plus festangestellte Kurierfahrer. Lieferando fährt allerdings nur sieben Prozent aller über die Plattform getätigten Bestellungen aus, den Großteil liefern die Restaurants selbst. Denn das Geschäft mit eigenen Kurierfahrern gilt für Lieferando als Verlustbringer.

Die 45-jährige Wienerin und studierte Betriebswirtin Katharina Hauke wechselte 2016 von Immoscout24 zu Lieferando, seit Oktober 2020 verantwortet sie die Geschäfte in Deutschland und Österreich. Im Jahr 2020 wuchs die Anzahl der aktiven Nutzer in Deutschland um 28 Prozent gegenüber 2019 auf nunmehr 12 Millionen. Diese haben über Lieferando Essen im Wert von 2,5 Milliarden Euro bestellt – eine Steigerung um 75 Prozent gegenüber 2019.

Frau Hauke, vergangenes Jahr hieß es noch, Lieferando wolle weniger selbst ausliefern, weil Sie damit Verluste machen. Nun wollen Sie das Geschäft mit der eigenen Flotte ausbauen – was denn nun?
Unsere eigene Auslieferung ist seit Jahren essentieller Bestandteil unseres Geschäftsmodells und wir werden auch weiterhin stark in diesen Bereich investieren. Rund 93 Prozent aller Bestellungen, die wir über unseren Marktplatz vermitteln, liefern die Restaurants selbst aus. 7 Prozent bedienen wir mit unseren mittlerweile rund 10.000 Fahrerinnen und Fahrern. Diese Logistik bezuschussen wir zugunsten der Restaurants, weil wir damit in ein nachhaltiges Geschäftsmodell investieren. 

Katharina Hauke Quelle: PR

Wie nachhaltig ist es wirklich?
Just Eat Takeaway gibt es schon seit mehr als 20 Jahren, wir sind nicht bloß ein Wimpernschlag in einer Coronaphase. Indem wir unseren Logistikservice in neue Märkte bringen, wie jetzt nach Duisburg oder in den nächsten Monaten in viele andere deutsche Städte, erleichtern wir insbesondere klassischen Bewirtungsrestaurants den Einstieg ins Liefergeschäft. Viele davon haben sich mit Onlinebestellungen bislang kaum befasst, bieten aber ein breites Spektrum an attraktiven Speisen: gesund, vegan, vielfältiger. Das erweitert die Auswahl für Konsumenten, führt zu mehr Bestellungen insgesamt. Davon profitieren die Restaurants, und wir mit.

Ist denn absehbar, dass aus dem bezuschussten irgendwann mal ein profitables Geschäft wird?
Unsere Lieferlogistik ist ein lohnendes Investment. Wir spielen nicht in der Gig-Economy, haben keine Solo-Selbständigen. Sondern wir sind stolz darauf, dass alle unsere Fahrer regulär angestellt und entsprechend abgesichert sind, mit Urlaubsentgelt, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und einer umfassenden Versicherung. Das kostet zwar, doch es verbessert unseren Service für Restaurants und Kunden. Unsere Logistik ist eine Einstiegshilfe für Gastronomen in den Online-Bestellmarkt, der für viele nach wie vor neu ist. Es geht auch darum, herauszufinden: Welche Speisen kann ich wie liefern? Frühstück, Mittagessen, Abendessen? Welche Uhrzeiten, welche Einzugsgebiete sind attraktiv? Viele Restaurants bauen später eine eigene Lieferlogistik auf – mit dem Vorteil, diese selbst planen und steuern zu können.

Zu Ihren mehr als 10.000 Fahrern in Deutschland kommen nun zum Start in Duisburg 40 neue Fahrer hinzu. Wie viele Lieferando-Fahrer sollen es Ende des Jahres insgesamt werden?
Wir haben die Anzahl der Fahrer im letzten Jahr etwa verdoppelt, und auch in diesem Jahr werden wir mehrere tausend zusätzliche Arbeitsplätze schaffen.

Wie viele Städte kommen neu hinzu?
Aktuell bieten wir unseren Logistikservice in 39 Städten an, haben die Kapazitäten innerhalb dieser weiter ausgebaut. Bis Ende 2021 planen wir ihn für eine zweistellige Anzahl weiterer Städte.

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In Deutschland hat Lieferando den Wert aller Bestellungen 2020 um 75 Prozent gegenüber 2019 gesteigert auf 2,5 Milliarden Euro. Ist solch eine Steigerung in diesem Jahr wieder möglich?
Bereinigt um die Akquisition von Delivery Hero in Deutschland sind die Bestellungen 39 Prozent gestiegen. Dieses Wachstum basiert auf mehreren Faktoren. Zunächst ist die Anzahl bestellender Konsumenten von 10 auf 12 Millionen gestiegen. Auch der durchschnittlichen Bestellwert ist gewachsen, von 20 Euro auf über 22 Euro. Homeoffice- mit Homeschooling haben das Wachstum sicher beschleunigt, denn viele Menschen bestellen nun für mehrere Personen, für die Familie, oder auch gleich etwas mit für den nächsten Tag. Die Anzahl der Konsumenten wird aber nicht zurückgehen.

Warum glauben Sie das?
Die Konsumenten haben Online-Bestellungen im vergangenen Jahr vermehrt ausprobiert und schätzen gelernt, dass man nicht nur das Abendessen, sondern auch ein Mittagessen über uns bestellen kann. Und wir haben die Palette noch ums Frühstück erweitert. Rund 80 Prozent der Deutschen bestellen ein Mal im Jahr Essen nach Hause, davon 17 Prozent über uns. Das zeigt das Potenzial. Die Bestellfrequenz wird weiter steigen. Zudem nutzen immer mehr Unternehmen unsere digitale Kantine für ihre Angestellten im Homeoffice. Auch der Trend zum Homeoffice dürfte nicht einfach wieder verschwinden.

„Auch darauf werden wir gut vorbereitet sein“

Wie funktioniert die digitale Kantine?
In Deutschland haben wir „Takeaway Pay“ im Februar 2020 eingeführt. Der Service richtet sich an Unternehmen, die ihren Mitarbeitern mit Essensbestellungen den Arbeitsalltag erleichtern möchten. Wie eine klassische Kantine, nur ohne Investitionskosten und mit einer weit größeren Auswahl, bundesweit. Wir sehen, dass über diesen Service nicht nur einmal pro Monat bestellt wird, sondern bis zu sieben Mal. Das hat natürlich auch positive Effekte für die Restaurants im größeren Umfeld dieser Firmen und Homeoffice-Arbeitnehmer.

Zum Beispiel?
Das reicht von Großkonzernen über Start-ups bis hin zu dezentralen Organisationen. Beispielsweise Beispielsweise DHL Global Forwarding, die Innovationsberatung die Agilen oder Klarna in Österreich. Der Service ist besonders von Vorteil für Unternehmen, die sich keine eigene Kantine leisten, viele kleine Standorte betreiben oder Mitarbeiter rein digital zusammenbringen. Nicht nur zu Weihnachten, sondern auch zu regulären Meetings, bei Conventions oder Panel-Veranstaltungen. In Deutschland haben wir mittels Takeaway Pay schon Veranstaltungen mit deutschlandweit 2500 Teilnehmern gleichzeitig verköstigt. Die Teilnehmer genießen ihr Mittagessen oder Dinner dann einfach gemeinsam vor ihren Bildschirmen.

Wie viel trägt die digitale Kantine zum Gesamtumsatz von Lieferando bei?
Unser digitales Kantinengeschäft wächst schnell, getrieben durch eine schnell zunehmende Nachfrage. Dennoch ist der Anteil am Gesamtgeschäft noch gering.


Die Europäische Union plant nun, bestimmte Verpackungsmaterialen zu verbieten, um Müll zu vermeiden. Wie wollen Sie den enormen Verpackungsmüll reduzieren, der bei Essenslieferungen anfällt?
Unsere Gastronomen können in unserem Webshop eine Vielzahl von Produkten des gastronomischen Bedarfs kaufen. Menüschalen, Pastaboxen, aber auch unsere Ausstattung für Fahrer oder Pizza-Öfen. Seit mehr als zwei Jahren bieten wir ausschließlich recyclebare und biologisch abbaubare Verpackungen an. Das sind noch keine Mehrwegbehälter, die ab 2023 verpflichtend werden. Aber auch darauf werden wir gut vorbereitet sein.
Es gibt ja mit Recup, Vytal und Recircle bereits einige Mehrweg-Anbieter in Deutschland, und Lieferando kooperiert in einzelnen Restaurants auch mit Vytal. Bauen Sie solche Zusammenarbeiten aus?
Für uns ist eine skalierbare Lösung wichtig, wir müssten die Restaurants dafür gewinnen und möchten ihnen über Deutschland hinaus Vorteile bieten. Man muss sich klarmachen: Lieferando verpackt ja nicht selbst. Selbst die 7 Prozent der Bestellungen, die Lieferando-Fahrer ausliefern, sind bei Abholung bereits durch das Restaurant verpackt.

Aber die Bestellung läuft über Ihre Plattform.
Nur wird sie immer vom Restaurant verpackt und meist auch von dessen Fahrern ausgeliefert. Für uns geht es daher zunächst darum, um welche Produkte und Lösungen wir unseren Webshop erweitern können. Darauf bereiten wir uns vor und sind mit mehreren Anbietern in Gesprächen. Auch wenn Corona das Wiederverwendbare etwas ausgebremst hat. In den vergangenen zwölf Monaten waren kontaktlose Lieferungen, bargeldlose Zahlungen und unsere digitale Trinkgeldfunktion stark gefragt. Aber wie gesagt: Das Einwegverpackungsverbot ab 2023 haben wir auf dem Schirm und arbeiten an frühzeitigen Lösungen.

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Was spricht denn noch dagegen, dass Sie künftig im Lieferando-Shop nur wiederverwendbare Essensboxen verkaufen?
Beim Kreislauf-System stehen wir vor verschiedenen Fragen. Wir müssen unterscheiden zwischen Restaurants, die selbst ausliefern, und denen, für die wir ausliefern. Müssen die Pizzakartons einer Pizzeria auch zu konkret dieser Pizzeria wieder zurück – oder können sie auch zu jeder anderen? Oder zumindest zu allen teilnehmenden Restaurants? Der Konsument will die Verpackung einfach, zeitnah und möglichst überall zurückgeben können, wie bei Pfandflaschen. Wer im Schnitt einmal pro Monat bestellt, möchte einen gebrauchten Pizzakarton nicht vier Wochen lang bei sich zu Hause lagern. Eine Rückführung sollte möglich sein, ohne wieder bei dem selben Restaurant zu bestellen. Und angenommen, ein Fahrer holt die benutzte Pizza-Mehrwegverpackung ab, fährt den Rest des Tages aber zu asiatischen oder griechischen Restaurants – die freuen sich nicht unbedingt über gebrauchte Pizzabehälter. Also: Machbar ist es – aber man muss dieses standardisierte Kreislaufsystem gut durchdenken, gemeinsam mit der Gastronomie und gegebenenfalls weiteren Partnern.

Mehr zum Thema: Essenslieferdienste boomen, verursachen aber jede Menge Verpackungsmüll. Die deutschen Start-ups Recup und Vytal wollen das Problem mit Mehrwegverpackungen lösen – und kämpfen dabei gegen die Bequemlichkeit der Nutzer.

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