Lieferdienst Jetzt muss Delivery-Hero-Chef Niklas Östberg endlich liefern

Quelle: imago images

Dax-Abstieg, Kurssturz, rote Zahlen: Auf der Hauptversammlung müssen die Manager der Berliner Lieferdienstplattform Delivery Hero kritische Fragen beantworten.

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Niklas Östberg ist in Berlin. Das ist insofern bemerkenswert, als der Mitgründer und Vorstandsvorsitzender der Lieferdienstplattform Delivery Hero seit Beginn der Coronapandemie vorzugsweise von seinem Zuhause in Zürich aus arbeitet. Dort leben auch seine Kinder. Weil er aber auch dann beharrlich im trauten Heim verweilte, als die Infektionsschutzbeschränkungen größtenteils aufgehoben wurden und sein Unternehmen mehr und mehr Gegenwind verspürte, regte sich vermehrt Unmut unter den knapp 1.000 Angestellten in der Berliner Firmenzentrale. Einige sollen gar schon eine Art Stellvertreter-CEO gefordert haben, der im Tagesgeschäft für sie ansprechbar ist.

Nach WirtschaftsWoche-Informationen sollte die Hauptversammlung auf ausdrücklichen Wunsch Östbergs virtuell abgehalten werden. Wie in den beiden Jahren zuvor hätte er sich wie gewohnt aus Zürich zuschalten können.

Hätte. Denn am Montag verkündete Östberg überraschend via Twitter: „Es ist ein tolles Gefühl, nach einem Monat auf Reisen in Kuwait, Spanien, Davos, Dubai und Singapur wieder eine ganze Woche im Berliner Büro zu verbringen.“ Woher kommt dieser Sinneswandel? Und plant der Chef nun wieder regelmäßigere Bürotage in Berlin einzulegen? Auf Nachfrage antwortet Delivery Hero bloß: „Niklas ist in Berlin und wird persönlich an der Jahreshauptversammlung teilnehmen.“

Die Debatte um die An- oder Abwesenheit des CEOs mag wie eine Petitesse daherkommen. Und doch stellt sich die Frage, ob ein Vorstandschef es sich dauerhaft leisten kann, lauter werdende Kritik aus seinen eigenen Reihen niedriger zu priorisieren als seine persönliche Freiheit – zumal wenn das Unternehmen gerade eine schwierige Phase durchlebt. Gewiss hat Delivery Hero derzeit ausreichend Probleme, um einen Vorstandschef voll auszulasten.

Erkennbar manifestiert sich das im Dax-Abstieg: Nach rund zwei Jahren wird Delivery Hero den deutschen Leitindex kommende Woche wieder verlassen und in den M-Dax absteigen. Das Papier hat in seiner Dax-Zeit rund 66 Prozent an Wert eingebüßt. Am Donnerstag ging es noch mal rund fünf Prozent nach unten. Den Platz wird Nivea-Hersteller Beiersdorf aus Hamburg einnehmen. Und mindestens in den kommenden zwei Jahren wird Delivery Hero der Wiederaufstieg in die erste Börsenliga auch nicht gelingen können: Denn seit einer Reform im September 2021 müssen neue Dax-Mitglieder mindestens zwei Jahre in Folge Gewinn erwirtschaftet haben. Anleger wollten im Moment Sicherheit, und Profitabilität sei ihnen am wichtigsten, sagte Östberg zu dem Absturz des Anteilsscheins. Durch den Dax-Abstieg ändere sich nichts am Geschäftsmodell, sagte Finanzchef Emmanuel Thomassin auf der Hauptversammlung. Dies beinhaltet auch den Verzicht auf eine Dividende. Wenn Delivery Hero Gewinne erziele, würden diese in das Wachstum reinvestiert oder zum Abbau der Schulden genutzt, stellte der Finanzchef in Aussicht.

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von Melanie Bergermann, Stephan Knieps

In seiner elfjährigen Geschichte hat Delivery Hero noch nie schwarze Zahlen geschrieben. Lange konnte Östberg das als Nebensächlichkeit abtun. Solange Investoren weiterhin große Summen überwiesen und sein Wachstum finanzierten, war das tatsächlich kein großes Problem. Schließlich machte auch kein Wettbewerber Gewinn. Doch als (noch-)Dax-Konzern steht Delivery Hero nun seit fast zwei Jahren unter intensiverer Beobachtung. Die Fragen nach der Zukunftstauglichkeit des Geschäftsmodells werden damit drängender. Der Aktienkurs hat schon länger den Kontakt nach oben. Auch wenn die jüngsten Wochen einen leichten positiven Trend verzeichnen, verloren die Papiere des Lieferdienstes innerhalb der vergangenen zwölf Monate rund 71 Prozent an Wert.

Mittlerweile scheint auch Östberg mehr Verständnis dafür aufzubringen, dass die Profitabilität bei Dax-Mitgliedern hohe Priorität hat. Im April stellte er in Aussicht, dass sein Unternehmen 2023 Gewinn erzielen könnte. Geld benötigt er weiterhin vor allem für Beteiligungen und Übernahmen. Auch davon gab es im vergangenen Jahr wieder einige. Am Berliner Schnelllieferdienst Gorillas etwa beteiligte sich Delivery Hero mit rund acht Prozent. Und am 31. Dezember 2021 unterzeichnete Delivery Hero eine Vereinbarung, um die Mehrheit am spanischen Lieferdienst Glovo komplett zu übernehmen. Glovo, mit Hauptsitz in Barcelona, ist in 25 Ländern aktiv, neben Spanien, Portugal auch in Zentralasien und einigen afrikanischen Ländern. 2021 machte das Unternehmen laut Delivery Hero 590,9 Millionen Euro Umsatz.

Wer solche Unternehmen übernimmt, steigert wenig überraschend auch den eigenen Gesamtumsatz. Im ersten Quartal dieses Jahres vermeldete Delivery Hero ein Erlöswachstum von 52 Prozent. In diesem Jahr, so stellt es Östberg in Aussicht, soll der Gesamtumsatz zwischen 9,5 Milliarden und 10,5 Milliarden Euro liegen. Das entspräche einem Plus von mindestens 44 Prozent gegenüber dem Vorjahr (6,6 Milliarden Euro).

Auf der Hauptversammlung des Berliner Unternehmens sagt Östberg, dass er trotz der steigenden Inflation und der geopolitischen Unsicherheiten weiterhin im kommenden Jahr in die schwarzen Zahlen kommen will: „Wir sind sehr gut unterwegs bei unserem Weg in die Profitabilität“. Um einen Betriebsgewinn auf Konzernebene zu erzielen, muss Delivery Hero noch einige Steine aus dem Weg räumen: 2021 stand ein Verlust von knapp 1,1 Milliarden Euro in der Bilanz.

„Umsatzwachstum alleine reicht uns schon länger nicht mehr, es müssen endlich Gewinne eingefahren werden“, forderte Nachhaltigkeitsspezialistin Cornelia Zimmermann vom Delivery-Hero-Investor Deka Investment. Es sei an verschiedenen Stellschrauben gedreht worden, um dieses Ziel zu erreichen, sagte Finanzchef Thomassin. Dazu gehörten Mindestbestellmengen und dynamische Liefergebühren abhängig von Wetter und Nachfrage sowie eine bessere Auslastung der Lieferflotte.

Nach Abschluss der Glovo-Übernahme wird Delivery Hero in 74 Ländern aktiv sein. In 54 von ihnen befinde man sich in marktführender Position, erklärte Östberg in der letzten Quartalsmitteilung. Vor allem auf das sogenannte Quick-Commerce-Geschäft setzt er große Hoffnungen. Die Schnelllieferungen von Supermarktartikeln hat Delivery Hero schon seit ein paar Jahren im Programm, bevor das Geschäft durch die Coronapandemie rasant an Bedeutung gewann und auch in Deutschland schnell wachsende Start-ups wie Gorillas und Flink hervorbrachte. Zum Jahresende 2021 verfügte Östberg weltweit über insgesamt 1.074 Lagerhäuser, aus denen heraus seine Kurierfahrer die Bestellungen an die Kunden bringen. Damit dürften die Berliner weltweit führend sein. Für das erste Quartal durfte Delivery Hero in diesem Segment ein Umsatzwachstum von 106 Prozent vermelden – bei allmählich sinkenden Investitionen.

Während Gorillas zuletzt die Entlassung von 300 Beschäftigen einräumen musste, sind größere Einschnitte bei Delivery Hero wohl vorerst nicht geplant. Allerdings arbeitet das Unternehmen offenbar an einem Sparprogramm. Der Vorstandschef kann also – Dax-Abstieg hin oder her – verkünden, dass er verstanden hat. Wenn er dies nun von der Firmenzentrale in Berlin aus tut, ist das sicher kein Nachteil.

Mit Material von Reuters.

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