Lieferdienst-Warenlager in Frankreich vor dem Aus Dieses neue Gesetz stellt Gorillas und Flink vor Probleme in Frankreich

Werden in Frankreich die sog.

Eine neue Verordnung in Frankreich wird zur Gefahr für Gorillas und Flink: Bürgermeister können künftig die Warenlager der Schnelllieferdienste in den Großstädten einfach schließen lassen. Kippt so das Geschäftsmodell?

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Es mag für Außenstehende bloß wie ein Federstrich aussehen, eine kleine Formalie im regulierungsfreundlichen Frankreich – doch die Wirkung könnte existenzielle Folgen haben für zwei deutsche Milliarden-Start-ups: In Frankreich werden die sogenannten Dark Stores von Schnelllieferdiensten künftig nicht mehr als Geschäfte klassifiziert, sondern als Lagerhäuser. Das ist das Ergebnis eines Zusammentreffens von Abgeordneten französischer Großstädte mit Olivia Grégoire, beigeordneter Ministerin beim französischen Wirtschafts- und Finanzminister. Grégoire ist im Ministerium zuständig für kleine und mittlere Unternehmen, Handel, Handwerk und Tourismus. Und in dieser Funktion hat sie ein Ohr für die Sorgen der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, die wiederum vom Unmut ihrer Bürgerinnen und Bürger erzählten – Unmut über die Dark Stores.

Diese dunklen Geschäfte in den besten Innenstadtlagen heißen so, weil die Scheiben der Räumlichkeiten zumeist zugeklebt sind. Drinnen lagern und stapeln sich auf engstem Raum mehrere hundert bis eintausend Supermarktartikel. Laufkundschaft hat hier keinen Zutritt, sondern nur die Kurierfahrer. Die hier gelagerten Artikel kann man nur kaufen, indem man sie beim jeweiligen Dark-Store-Betreiber online ordert und sich liefern lässt. Allein in Paris soll es rund 100 Dark Stores geben. Zu den großen Unternehmen in Frankreich zählen mit Gorillas und Flink auch zwei deutsche Unternehmen.

Kurierfahrer würden „Gras rauchen und auf die Straße urinieren“

Doch weil sich diese Lager nahezu immer in leerstehenden Räumlichkeiten von mehrgeschossigen Wohngebäuden breitgemacht haben, mitten in den Innenstädten, kommt es mehr und mehr zu unmittelbaren Konflikten mit den Anwohnern. Diese würden sich laut einem BBC-Bericht etwa an dem Lärm der frühmorgendlichen Lastwagen und Roller stören, aber auch an diversen Kurierfahrern, „die bis ein Uhr nachts draußen herumhängen, Gras rauchen und auf die Straße urinieren“ würden. So erzählte es eine Frau der BBC, die im 17. Arrondissement von Paris in einem Haus wohnt, in dessen Erdgeschoss ein Dark Store betrieben wird.

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Was also tun? Bürgermeister in Frankreich können ein Geschäft nicht einfach so schließen. Allerdings gibt es einen Trick: Für Lagerräume und für Geschäfte gelten unterschiedliche Anforderungen. Die nun erfolgte Neuklassifizierung gebe den Bürgermeistern „die Macht, Quick-Commerce-Unternehmen zu zwingen, ihre Läden zu verlegen, sofern sie illegal in den Städten errichtet wurden“, erklärt ein Sprecher von Gorillas Frankreich. Denn im Unterschied zu Supermärkten dürfen Lagerhäuser nicht im Erdgeschoss von Wohngebäuden errichtet werden, das verbieten die lokalen Bebauungspläne, sagt der Sprecher. Dies sei aber „bei fast allen Dark Stores der Fall“.

Die Ministerin bezeichnete den Erlass als „Werkzeug für die lokalen Gebietskörperschaften und Bürgermeister, damit sie regulieren, verbieten oder nicht verbieten können, je nach ihren Wünschen“. Und der erste stellvertretende Bürgermeister von Paris, Emmanuel Grégoire, twitterte: Egal ob in Paris, Lyon oder Nizza, die „Schäden“ der Dark Stores für Anwohner seien überall dieselben. „Es ist an der Zeit, dass die Belästigungen aufhören.“ Allein in Paris, erklärte er ferner, gebe es Dutzende von illegal errichteten Dark Stores; hier sehe er „die Notwendigkeit ihrer sofortigen Schließung“.

Gorillas und Flink setzen auf Frankreich

Für Gorillas und Flink sind das schlechte Neuigkeiten. Denn für beide Unternehmen sind nach dem rasanten Aufstieg zu sogenannten Einhörnern (Start-ups, die mit mindestens einer Milliarde Euro bewertet werden) harte Zeiten angebrochen: Die Inflation lässt Verbraucher sparen, gewünschte neue Finanzierungen lassen auf sich warten oder fallen ganz aus, Fahrer streiken, und bestehende Investoren fordern Profitabilität. Auf dem Weg zur Gewinnschwelle setzen beide Berliner Jungfirmen auf Frankreich. Erst im März hatte Gorillas den französischen Lebensmittellieferdienst Frichti übernommen. Das 2015 in Paris gegründete Unternehmen liefert vor allem verzehrfertige Mahlzeiten und hatte laut eigenen Angaben zum Zeitpunkt der Übernahme mehr als 450.000 Kunden. Und als Gorillas-Chef Kagan Sümer Ende Mai die Entlassung von 300 Angestellten bekannt geben musste, kommunizierte er auch, sich fortan nur noch auf fünf Kernmärkte fokussieren zu wollen, die für 90 Prozent des Umsatzes stehen, darunter: Frankreich. Im Juni vermeldete Gorillas zudem, die Partnerschaft mit dem französischen Einzelhandelskonzern Casino ausbauen zu wollen.

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Doch auch der schärfste Gorillas-Widersacher Flink baut auf Frankreich. Im Mai vermeldete das Berliner Jungunternehmen ebenfalls eine Übernahme eines französischen Wettbewerbers: für rund 100 Millionen Euro schluckte Flink den kleineren Konkurrenten Cajoo. Gleichzeitig wurde die französische Supermarktkette Carrefour, die Anteile an Cajoo hielt, Aktionär bei Flink. Durch diese Übernahme bezeichnete sich Flink als Marktführer in Frankreich in der Disziplin der Schnelllieferdienste. Gorillas widerspricht und verweist auf eine Analyse des Marktforschungsunternehmens IRI, laut der Gorillas im Sommer mit 61 Prozent Marktanteil Marktführer in Frankreich ist, vor Flink.

So oder so: die beiden deutschen Lieferdienste sind im Nachbarland präsent. Laut eigener Webseite ist Gorillas in fünf Großstädten aktiv: neben Paris auch in Lille, Lyon, Nizza und Bordeaux. Flink liefert sogar in neun Städten: zusätzlich zu den Gorillas-Standorten auch noch in Marseille, Nantes, Toulouse und Montpellier.

Und auch wenn sie zuletzt schmerzhafte Einschnitte und Rückschläge hinnehmen mussten, sehen beide Kontrahenten mit ihrem grundsätzlichen Geschäftsmodell langfristig eine Perspektive. Sie dürften sich bestätigt fühlen durch Studien, wie sie gerade erst wieder die Strategieberatung Strategy&, die zu PWC gehört, durchgeführt hat. Laut jener Studie soll der Anteil online bestellter Lebensmittel bis zum Jahr 2030 in Deutschland auf elf Prozent anwachsen, im Nachbarland Frankreich gar auf 23 Prozent.

Alleinstellungsmerkmal in Gefahr

Sollte der neue Erlass der französischen Regierung tatsächlich dazu führen, dass die Bürgermeister jener Metropolen den Großteil der Dark Stores schließen lassen, stünde das Geschäftsmodell von Gorillas, Flink und Co. auf dem Spiel. Denn ihr Versprechen, Lebensmittel binnen rund 15 Minuten an die Haustüre zu liefern, funktioniert ja vor allem deshalb, weil sie die Lebensmittel in zentralen Warenhäusern in den Innenstädten lagern können. Diese schnelle Lieferung war bislang das Alleinstellungsmerkmal jener Anbieter – beziehungsweise „das Herz des Geschäftsmodells“, wie Jens Langkammer von Strategy& es ausdrückt. Es würde wegfallen, wenn die Lieferdienste künftig ihre Dark Stores in Gewerbe- oder Industriegebieten am Rande oder gar außerhalb der Metropolen betreiben müssten. Langkammer verweist auch auf andere Metropolen, die ebenfalls rechtliche Schritte unternommen haben gegen Schnelllieferdienste, etwa Amsterdam, Rotterdam und Madrid. Anfang 2022 haben etwa in den Niederlanden einzelne Städteabgeordnete entschieden, dass zunächst für die Dauer von zwölf Monaten keine neuen Dark Stores mehr eröffnen dürfen.

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Gorillas übermittelt auf WirtschaftsWoche-Anfrage ein Statement: Leider seien Schnelllieferdienste „zum Symbol für alle Missstände in der städtischen Zustellung geworden“. Dabei sei Gorillas weder ein Zustelldienst noch ein klassischer Supermarkt, „obwohl es Merkmale von beiden aufweist“. Wie jedes Unternehmen bringe Gorillas „wirtschaftliche Dynamik in die Stadtzentren, vor allem in Form von Arbeitsplätzen, aber auch in Form von neuen Absatzmöglichkeiten für lokale Handwerker und Geschäfte“. Bevor man Entscheidungen bezüglich der Dark Stores in Frankreich treffe, warte man „den weiteren Austausch mit den Ministerien und den Inhalt der endgültigen Erlasse und Verordnungen ab“. Ein Flink-Sprecher sagte, man warte erst einmal ab, was nun tatsächlich passiere. „Wir erwarten in den nächsten Tagen konkretere Aussagen von der französischen Politik. Vorher werden wir keine Entscheidung fällen.“

Jens Langkammer von Strategy& befindet, Quick-Commerce-Anbieter müssten künftig enger mit Städten zusammenarbeiten sowie ein nachhaltigeres Konzept für ihren Betrieb entwickeln, „wenn sie ihren Geschäftskern aufrechterhalten und weiter Wachstumsmöglichkeiten realisieren wollen“. Zum Beispiel: größere Flächen, Aufenthaltsräume für Fahrer, Parkmöglichkeiten für Fahrräder und allgemein bessere Rahmenbedingungen für Kuriere. Allerdings, schränkt er ein, erhöhe dies im Umkehrschluss natürlich auch die Kosten und steigere den Profitabilitätsdruck weiter. Und das ist für die Schnelllieferdienste ja auch jetzt schon ein Problem.

Lesen Sie auch: Absturz der Lieferdienste: Das Überlebensspiel von Gorillas

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