Luftfahrt-Branche „Jetzt ist die Party vorbei“

Quelle: dpa

2017 lief für viele Airlines und Flugzeug-Hersteller großartig. Das neue Jahr wird wohl deutlich schwieriger – und für Passagiere teurer.

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Hätte sich Carsten Spohr ein ideales Jahr wünschen dürfen, es wäre wahrscheinlich ungefähr so geworden wie 2017. Die vergangenen 12 Monate bescherten dem Lufthansa-Chef neben einem Rekordgewinn einen gewaltigen Sprung der Aktie, die überfällige Einigung mit seinen Piloten und das Aus des wichtigsten Wettbewerbers Air Berlin. Die Pleite konnte Spohr gleich nutzen, um den eigenen Konzern mit Fliegern und Strecken zu stärken. Als zusätzliches Geschenk außerdem unter dem Weihnachtsbaum: Streiks beim Erzrivalen Ryanair

Nicht nur Spohr, sondern viele andere Airline-Chefs dürften ein positives Fazit ziehen. Große Krisen gab es wenige, überdurchschnittliches Wachstum häufig. „2017 war das bequemste Jahr, das die Luftfahrt jemals hatte“, sagt Peter Harbison, Chef des auf die Flugbranche spezialisierten Beratungshauses CAPA aus Sydney. Doch er hat eine schlechte Botschaft: „Jetzt ist die Party mal vorbei.“

Diese fünf Punkte verderben die Stimmung in der Luftfahrt-Branche:

1. Schmerzhafte Spritpreise

Den ersten Vorgeschmack auf 2018 liefert bereits der höhere Benzinpreis. Der „Brent Crude“ genannte wichtige Maßstab für den Treibstoff liegt gerade bei knapp 70 Dollar pro Fass. Der Preis ist seit dem Frühsommer um fast die Hälfte gestiegen und liegt bereits rund zehn Prozent über dem Wert, den der Weltluftfahrtverband IATA als Durchschnitt für das kommende Jahr annimmt. „Nach Lage der Dinge könnten es auch deutlich mehr als 70 Dollar werden“, glaubt Thomas Jaeger, Chef des Datenanalysten CH-Aviation.

Das trifft die Branche empfindlich. Treibstoff ist der größte Kostenblock mit einem Anteil von rund einem Viertel. Bei Billigfliegern macht er sogar bis zu 40 Prozent der Ausgaben aus. Und die Fluglinien können sich gegen eine Änderung fast nicht wehren. Sie sind ausgeliefert. Als der Spritpreis nach 2010 von 100 Dollar pro Fass auf 30 fiel, war das gut. Nun ist es schmerzhaft.

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Nicht nur, dass die Fluglinien bereits viele Tickets im Voraus verkauft haben, als sie noch mit einem Preis unter 60 Dollar pro Fass kalkulierten. Viele haben im Vertrauen auf das billige Öl den Kauf neuer sparsamer Jets verschoben, weil sie für die Anschaffung mehr hätten zahlen müssen als die Ökojets bei den Betriebskosten einsparen. Die Wette rächt sich jetzt.

Zwar haben sich viele Airlines gegen höhere Benzinpreise abgesichert. Doch weil diese „Hedging“ genannten Verträge meist nur gut ein Jahr laufen, ebbt der positive Effekt im Laufe des Jahres schrittweise ab. „Spätestens zum Jahresende spüren fast alle Airlines den höheren Preis deutlich in ihrer Rechnung“, prophezeit Harbison.

Nullzinsen und Tugend

2. Ende der Nullzinsen

Auch wenn es die Inhaber von deutschen Staatsanleihen noch nicht so recht merken: Weltweit beginnen die Zinsen zu steigen. Das trifft die Fluglinien gleich doppelt. Zum einen müssen sie dann mehr für ihre Schulden bezahlen und auch ihre Leasingraten steigen. Schlimmer für die Linien ist eine indirekte Folge. Das schrittweise Ende des Nullzinses dämpft die wirtschaftliche Entwicklung, weil nun auch andere Unternehmen mehr in den Kapitaldienst stecken müssen – und weniger Geld zum Reisen haben.

Das wäre schon in normalen Jahren unangenehm. Die Erfahrung zeigt, dass sich die Flugnachfrage ungefähr doppelt so stark entwickelt wie die Wirtschaftsleistung. Ändert sich das Wachstum der Volkswirtschaft von plus ein Prozent auf minus ein Prozent, wird für die Airlines aus zwei Prozent Wachstum ein zweiprozentiger Rückgang.

Nun dürfte der Umschwung noch stärker sein. „Das Wachstum war in manchen Märkten in den vergangenen 18 Monaten das Fünffache der Wirtschaftsleistung und damit unnatürlich hoch“, so CAPA-Analyst Harbison. Die Kombination aus Preisen, die wegen der Spritkosten steigen, und gebremster Konjunktur dürfte noch unangenehmer werden als sonst. Bereits wenn die Nachfrage wieder vom Mehrfachen auf das normale Doppelte des Wirtschaftswachstums sinkt, könnte der Flugmarkt schrumpfen, obwohl ein Land ökonomisch wächst.

3. Die Last der Tugend

Für das Rekordwachstum der Luftfahrt-Branche in den vergangenen Monaten sorgten nicht zuletzt die vielen Effizienzmaßnahmen der Unternehmen. Um im Preiswettbewerb bestehen zu können, haben die Fluglinien nicht nur Kosten abgebaut. Sie haben auch durch Marketing und Kampfpreise ihre Flieger besser gefüllt als je zuvor.

Nun passen nicht nur fast keine zusätzlichen Passagiere mehr an Bord. Fliegen wurde gerade in Asien auch für ärmere Kunden erschwinglich. Doch die können nun oft keine höheren Preise mehr zahlen, weiß Kamudin Meranun, Chef des malaysischen Billigfliegers Air Asia X. „Vielen Kunden sind schon die drei Dollar für ein Essen an Bord zu viel“, so der Manager.

von Nadia Abdallah, Melanie Bergermann, Henryk Hielscher, Rüdiger Kiani-Kreß, Jürgen Salz, Martin Seiwert, Peter Steinkirchner, Claudia Tödtmann, Cornelius Welp

Die Tugend bringt die Airlines nun auf gleich zwei Weisen in die Bredouille. Das System ist so effizient, dass weitere Kostensteigerungen etwa durch das Benzin kaum noch aufzufangen sind. Gleichzeitig wird es schwer, ohne niedrigere Preise weitere Kunden zu gewinnen.

Das wiederum könnte eine Abwärtsspirale in Bewegung setzen. Viele Linien haben ihre Kosten nicht zuletzt dadurch gesenkt, dass sie ihr Angebot schneller hochgefahren haben als die Zahl ihrer Beschäftigten. Dazu haben sie neue Jobs vor allem an weniger gut bezahlte Neulinge gegeben. Damit sanken am Ende die Kosten pro Passagier, weil sich die fixen Ausgaben für Verwaltung und Marketing auf immer mehr Kunden verteilen ließen.

Das wird jedoch mit weniger großen Wachstumsraten deutlich schwerer und dürfte zu steigenden Durchschnittskosten führen.

Genesung und Unruhe

4. Die Genesung der Kranken

Die Erfolge der großen Linien aus Europa und Asien in diesem Jahr liegen auch in der der Schwäche ihrer Angstgegner von Golf und Bosporus begründet. Der niedrige Ölpreises und politische Probleme in ihren Heimatländern haben sowohl Emirates, Etihad und Qatar als auch Turkish Airlines in den vergangenen anderthalb Jahren das Geschäft verdorben. Das zwang die Linien zu größeren Umbauten und Anpassungen gerade bei ihrem Umsteigeverkehr über ihre Drehkreuze.

Diese Zeit ist vorbei. Die Gobos genannten Linien von Golf und Bosporus sind gesund. Emirates und Turkish, die einzigen Linien mit einer aussagekräftigen Bilanz, melden bereits wieder bessere Zahlen und höheres Wachstum. Das bringt sie in Angriffslaune. Beide sind nun wieder aktiver in Deutschland und investieren kräftig in besseren Service.

Das wird die Traditionslinien zwar nicht in echte Probleme stürzen, aber doch das Gleichgewicht wieder zu ihren Ungunsten verschieben. Die Folge werden geringere Gewinne auf der Langstrecke sein.

5. Mehr Unruhe bei den Herstellern

Verantwortlich für den Boom bei den Airlines waren auch die guten Konditionen der Flugzeughersteller. Airbus und Boeing überboten sich förmlich mit günstigen Angeboten, um den anderen – und auch die kleineren Wettbewerber wie Embraer aus Brasilien und Bombardier aus Kanada – auszustechen.

Das Spiel dürfte künftig etwas anders laufen. Zum einen nimmt die Konkurrenz unter den großen vier ab. Airbus hat sich bereits Bombardiers Erfolgsmodell C-Serie gesichert. Im Gegenzug will nun Boeing mit dem Kauf von Embraer nachziehen.

Dazu haben die großen zwei neben der Integration der Zukäufe auch eine Menge eigener Probleme. Beide müssen nun erstmal den aktuellen Auftragsberg abbauen und dafür die Produktion auf ein neues Rekordniveau treiben.

Das fällt gerade Airbus derzeit schwer. Denn besonders vom Bestseller A320neo stehen noch eine zweistellige Zahl in den Hauptwerken Toulouse und Hamburg auf dem Hof, weil die neuen Triebwerke auch nach gut einem Jahr noch nicht wie geplant funktionieren.

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Dazu dürfte sich das Airbus-Management noch eine Weile mit sich selbst beschäftigen. Nach einem längeren Machtkampf müssen sowohl Airbus-Zivil-Chef Fabrice Brégier als auch – wenn auch später und als Sieger – Konzernlenker Tom Enders das Unternehmen verlassen. Außerdem braucht Airbus in den kommenden 15 Monaten einen neuen Innovationsvorstand, einen Verkaufschef, einen Strategievorstand, einen neuer Leiter des Hubschraubergeschäfts und wohl einen neuen Vorsitzender des Verwaltungsrats. Und das sind nur die Posten auf der obersten Ebene.

Parallel will der scheidende Enders noch den Umbau in Richtung Internationalisierung und korrekte Unternehmensführung durchziehen. „Das wird es garantiert reichlich Unruhe und gute Geschichten für die Medien geben“, vermutet der Hamburger Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt. 

Immerhin einen Trost haben Experten wie CAPA-Chef Harbison. Auch wenn 2018 schwerer werde als 2017, „je schneller die Branche lernt, sich an das neue Umfeld bei Kosten und Wettbewerb anzupassen, desto besser wird das neue Jahr.“

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