Bei seinem ersten großen Auftritt in diesem Jahr hätte Jens Ritter entspannt und ein wenig stolz sein können. Der Chef der Marke Lufthansa konnte Anfang der Woche nicht nur einen deutlich besseren Bordservice verkünden. In jedem Gespräch mit Kunden und Journalisten wies der 49-Jährige darauf hin, dass in dieser Woche auch neue umweltfreundliche Flugzeuge bestellt würden und sich Europas größte Airline-Gruppe nach drei Jahren Pandemie auch finanziell wieder in guter Form präsentieren würde. Trotzdem wirkte der Ingenieur mit dem Pilotenschein ein wenig nervös bei der Großveranstaltung in einem ehemaligen Kraftwerk, etwa durch ein paar kleine Versprecher oder leichte Unsicherheiten bei den Service-Neuerungen.
Kein Wunder. Denn die Neuerungen sind nicht nur tragender Teil der wohl größten Innnovationswelle des Kranichkonzerns. Treiber und Initiator ist Ritters Vorstandschef Carsten Spohr, der in dieser Woche den Vertrag für eine letzte Amtszeit bekam.
Auf beiden Männern lastet die Verantwortung, der Lufthansa-Gruppe ihren Platz unter den bestimmenden Unternehmen der Flugbranche zu sichern. Derzeit wichtigster Baustein, um dieses Ziel zu erreichen, ist die mit Milliarden geförderte „Passage“, besser bekannt als „Kranich-Airline“, der Teil des Lufthansa-Konzerns, der mit dem gelben Kranich-Logo unter dem Markennamen Lufthansa fliegt. Denn: „Trotz Eurowings, Frachtgeschäft oder Wartung: Der wirtschaftliche Erfolg des Konzerns hängt an der Passage“, zitieren Vertraute Konzernchef Spohr.
Ihre Führungsposition hatte Lufthansa in der Coronakrise abgeben müssen. In der Pandemie hat das Passagiergeschäft nicht nur einen großen Teil seines wichtigsten Klientel verloren, die Geschäftsreisenden auf der Langstrecke. Im Urlaubsverkehr haben sich Wettbewerber wie Europas Billigflieger oder die großen US-Linien Marktanteile gesichert. Dass der Konzern noch am Leben ist, verdankt er dem Geld, das er sich von seinen Heimatländern gegen Zinsen lieh und welches auch nach der Rückzahlung als private Schulden von trotz aller Verbesserungen noch immer fast sieben Milliarden Euro weiterlebt; und dem überraschend starken Frachtgeschäft, das zuletzt gut eine Milliarde abwarf.
Bei Spohrs Rückeroberung stimmten auf den ersten Blick die Zutaten. Den deutlichsten Fortschritt verzeichnet die Lufthansa bei den Zahlen für 2022. Mit rund 33 Milliarden Euro Umsatz und gut 1,5 Milliarden Euro Gewinn vor Steuern und Zinsen (EBIT) landet die Lufthansa in Sichtweite des letzten Geschäftsjahrs vor der Pandemie. Der Cashflow genannte Zufluss flüssiger Geldmittel ist mit 2,5 Milliarden sogar auf Rekordhöhe.
Das Geld erlaubt wieder große Investitionen. Da sind zum einen die 22 neuen Langstreckenflugzeuge von Airbus und Boeing – darunter erstmals das Airbus-Topmodell A350-1000 für bis zu 400 Passagiere. Die neuen Flieger kosten trotz aller Rabatte unterm Strich wahrscheinlich gut fünf Milliarden Euro und bieten der Lufthansa zwei Vorteile im Wettbewerb: Zum einen drücken sie den durchschnittlichen Kerosinverbrauch im Vergleich zu ihren Vorgängermodellen um rund 30 Prozent – und die Betriebskosten insgesamt um rund 20 Prozent. Zum anderen lassen sie das Umwelt-Image des Konzerns weniger schlimm wirken – besonders im Vergleich zu Wettbewerbern mit günstigeren Flugpreisen.
Mehr Komfort soll Kunden von Lufthansa überzeugen
Ab 2024 soll zudem der neue Service an Bord sichtbar werden: „Die Lufthansa Reiseklassen von Economy, über Premium Economy, Business und First Class erhalten ein neues Spitzenprodukt, das durch die Sitzvielfalt im Markt seinesgleichen sucht“, lobt CEO Ritter. Der Hintergedanke: Der bessere Komfort soll die Kunden überzeugen, Lufthansa zu buchen, auch wenn sie woanders billiger ans Ziel kämen. „Wir müssen mindestens soviel besser sein, wie wir aufgrund unserer höheren Kosten teurer sein müssen“, so Spohrs Vorgabe.
Das war bisher nicht der Fall. Vor allem die vor rund zehn Jahren eingeführten Sitze in der Business Class sind nicht mehr konkurrenzfähig – wenn sie es je waren. Hier müssen Kunden mit Fensterplatz trotz mehrerer Tausend Euro für ein Ticket über ihren Nachbarn steigen, während andere Fluggesellschaften schon lange ausschließlich Abteile und Sitze mit direktem Zugang zum Gang haben. Dafür gesorgt hat eine Mischung aus Sparsamkeit und Pech.
Spohrs Vorgänger hatten zu sehr mit Innovationen gegeizt – im Vertrauen darauf, dass vor allem Vielflieger aus Heimatverbundenheit und der Gier nach den Privilegien des Bonusprogramms Miles & More trotz der Komfortmängel Lufthansa buchen. Als Spohr dann 2019 eine neue Kabine entwickeln ließ, verspäteten sich die dafür vorgesehenen Flugzeuge von Boeing. Dann kam die Coronazeit – und das Unternehmen konnte sich neue Sitze schlichtweg nicht leisten.
Bis 2026 neue Einrichtung für alle Langstrecken-Flieger
Jetzt soll die Innovation aber endlich kommen. Unter dem Kunstnamen Allegris erneuern Spohr und Ritter nun für rund 2,5 Milliarden Euro auf der Langstrecke alle vier Serviceklassen gleichzeitig. Bis spätestens 2026 sollen alle gut 100 Jets die neue Einrichtung haben. Überall soll die Kundschaft mehr Freiheiten bekommen. Die größten gibt es in der First Class. Statt der bislang relativ offen stehenden Schlafsessel gibt es nun bis zu fünf Quadratmeter große Kabinen, wo sich die Nobelkundschaft hinter eine fast zwei Meter hohe Tür im dunklen Holzfurnier zurückziehen kann. Eine der Kabinen hat neben Garderobe, eigener Klimaanlage und Riesenfernseher gar ein Doppelbett. Das lässt den ansonsten eher nüchternen Lufthansa-CEO Ritter schwärmen. „Man kann zusammen essen oder zusammen einen Film schauen. Oder stellen Sie sich vor, Sie sind auf Hochzeitsreise.“
Ein Doppelbett, wenn auch hinter nur schulterhohen Wänden, hat auch die neue Business Class. Dazu kommen sechs weitere Sitzvarianten: Wer eine bestimmte will, zahlt extra. Zur Wahl stehen besonders abgeschirmte Plätze, die intern Thron genannten Fauteuils mit viel Ablagefläche und Miniabteile mit einem auf 2,20 Meter ausfahrbaren Bett. Alle Plätze sind mit Minibar, Schränkchen und Polstern ausgestattet, die Passagiere bei Bedarf wärmen oder abkühlen können.
Auch im hinteren Teil des Fliegers bieten die Premium Economy und die Economy mehr Raum, bessere Bildschirme und die Möglichkeit das Handy aufzuladen. In der Holzklasse können die Kunden künftig eine komplette Sitzreihe buchen und diese durch Verlängerung der Sitzfläche zum Schlafsofa machen.
Ob das Kalkül aufgeht, mit den Neuerungen die Erträge zu verbessern, bleibt eine Wette. Sicher sind nur die Einspareffekte durch die neuen Flugzeuge. Wie weit der bessere Service Früchte trägt, bleibt offen. Denn die von Ritter und Spohr versprochenen „neuen Maßstäbe bei Komfort und Individualität“ schafft das neue Interieur nur begrenzt. An die Ausstattung vor allem von Konkurrenten wie Qatar Airways oder Singapore Airlines kommt Allegris nicht heran.
Durch den Mangel an Flugzeugen, um den Flugverkehr während des Umbauprozesses stabil aufrecht halten zu können, besteht zudem das Risiko, dass der Einbau ins Schleppen geraten könnte. Der Lufthansa fehlen laut Insidern bereits jetzt rund ein Dutzend Langstreckenflieger. Zudem wurde jüngst bekannt, dass es neue Probleme mit den bereits mit Allegris eingeplanten neuen Boeing-Maschinen gibt, was die Einführung ebenfalls noch verzögern könnte. Die Lufthansa muss also notgedrungen auf unbestimmte Zeit viele ältere Jets wie den Superjumbo A380 im Betrieb nehmen. Allerdings lohnt bei diesen alten Fliegern die Umrüstung nicht mehr.
Nichtsdestotrotz ist zumindest bei vielen Beschäftigten die Freude über die nun zu Ende gehende Woche der Veränderungen groß: „Nicht nur, dass wir nun endlich eine Kabine bekommen, die zu unserem Premiumanspruch passt“, so ein Flugbegleiter. „Allein, dass wir das Geld haben, die neuen Sitze in einer so aufwändigen Sause vorzustellen, zeigt, dass es uns wieder besser geht.“
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