
Im Sommer 2013 muss Carsten Spohr gedacht haben, sein Leben könne kaum besser werden. Sein damaliger Chef Christoph Franz wollte den Job als Vorstandsvorsitzender der Lufthansa früher als gedacht aufgeben, um Verwaltungsratspräsident beim Schweizer Pharma-Konzern Roche zu werden. Damit war der Weg an die Spitze von Europas größter Airline für Spohr endlich frei. Auf den Posten hat der heute 48-Jährige lange hingearbeitet, spätestens seit er 1995 Assistent beim damaligen Lufthansa-Chef Jürgen Weber wurde.
Im Frühjahr 2015 ist von Spohrs Sommerfreude wenig geblieben. Falls der für seinen kräftigen Humor und die Fähigkeit zum richtigen Wort gleichermaßen bekannte Sohn des Ruhrpotts am 1. Mai sein erstes Dienstjahr als Chef überhaupt feiert, dann bestenfalls verhalten.
Die wichtigsten Kennzahlen der Lufthansa
2015: 32,1 Mrd Euro
2014: 30,011 Mrd Euro
2013: 30,027 Mrd Euro
Quelle: Lufthansa
2015: 1,8 Mrd Euro
2014: 954 Mio Euro
2013: 699 Mio Euro
2015: 1,69 Mrd. Euro
2014: 55 Mio Euro
2013: 313 Mio Euro
2015: 107 Mio
2014: 106 Mio
2013: 104,6 Mio
Vergleichbare operative Marge:
2015: 5,2 %
2014: 3,7 %
2013: 3,0 %
2015: 119.559
2014: 118.973
2013: 117.414
Dafür sorgt natürlich vor allem der Absturz des Germanwings-Flugs 4U9525 im März, der den Airliner wie alle knapp 120.000 Lufthanseaten ins Mark traf. Keine Fluggesellschaft lebt so sehr eine im positiven Sinne fast paranoide Sicherheitskultur wie die Linie mit dem Kranich im Logo.
Doch den lebensfrohen Manager trifft es darüber hinaus, dass sein erstes Jahr im Traumjob auch ohne dieses Unglück in fast jeder Hinsicht anders gelaufen ist, als er es sich vorgestellt hat.
Bei seiner Berufung Anfang 2014 wusste der studierte Wirtschaftsingenieur zwar, dass er das Unternehmen entschlacken, den Reformstau lösen und den Gewinn verbessern musste. Und auch, dass dies schwer würde gegen den wachsenden Wettbewerb von Billigfliegern, Fluglinien vom persischen Golf wie Emirates und die grundsanierten Linien aus den USA.
Die sechs größten Baustellen der Lufthansa
13 Mal haben die Piloten der Lufthansa in den vergangenen gut eineinhalb Jahren gestreikt. Die Vereinigung Cockpit sorgt sich, dass die Piloten unter anderem Abstriche Altersvorsorge hinnehmen müssen - und trotzdem immer mehr Jobs aus dem Tarifvertrag ausgelagert werden. Sie liefern dem Konzern deshalb den härteste Arbeitskampf in seiner Geschichte. Das ist nicht der einzige Knatsch mit dem Personal: Die Flugbegleiter von Ufo sind etwas moderater unterwegs, wollen aber auch ihre tariflichen Besitzstände verteidigen.
Carsten Spohr hat die Lufthansa auf eine Strategie mit zwei sehr unterschiedlichen Plattformen festgelegt, die jetzt gerade erst anlaufen. Die Kernmarke Lufthansa soll bei gleichzeitiger Kostensenkung zur ersten Fünf-Sterne-Airline des Westens aufgewertet werden - eine Luxus-Auszeichnung des Fachmagazins Skytrax, die bislang nur Airlines aus Asien und dem Mittleren Osten erreicht haben. Am anderen Ende der Skala steht künftig „Eurowings“, die nur noch als Plattform für die diversen und möglichst kostengünstigen Flugbetriebe des Lufthansa-Konzerns dienen soll. Die ersten Eurowings-Langstrecken ab Köln werden beispielsweise von der deutsch-türkischen Gesellschaft Sunexpress geflogen. Noch komplizierter wird das Angebot durch die Strategie, auf beiden Plattformen jeweils unterschiedliche Service-Pakete anzubieten.
So richtig gut läuft es für die Lufthansa mit ihrem schwierigen Heimatmarkt Zentraleuropa eigentlich nur in den Neben-Geschäftsbereichen Technik und Verpflegung. In ihrem Kerngeschäft der Passagier- und Frachtbeförderung fliegt die Lufthansa unter dem Strich Verluste ein. Spohrs Plan, Wachstum nur noch in kostengünstigen Segmenten stattfinden zu lassen, bedeutet eigentlich einen Schrumpfkurs für die Kerngesellschaft der Lufthansa Passage. Doch den Mitarbeitern wird Wachstum auch dort versprochen.
Sinkende Ticketpreise sind gut für die Passagiere, knabbern andererseits aber an den schmalen Margen der Fluggesellschaften. Bereits im vergangenen Jahr sind die Erlöse auf breiter Front um drei Prozent zurückgegangen. Der zuletzt stark gesunkene Kerosinpreis begünstigt derzeit Gesellschaften, die sich nicht gegen starke Preisschwankungen abgesichert haben. Lufthansa gehört nicht dazu, sondern hat einen Großteil ihres Spritbedarfs für die kommenden zwei Jahre bereits abgesichert und leidet zudem an der ungünstigen Währungsrelation zwischen Euro und Dollar. Um ihre Tickets zu verkaufen, muss sie aber die Kampfpreise der Konkurrenz halten.
In regelmäßigen Abständen verlangt Lufthansa politischen Schutz vor dem angeblich unfairen Wettbewerb durch Fluggesellschaften vom Arabischen Golf. Zuletzt stimmten auch die großen US-Gesellschaften in den Chor ein. Aber es bleibt dabei: Emirates, Qatar Airways und Etihad lenken mit immer größeren Flugzeugen tausende Fluggäste aus Europa über ihre Wüstendrehkreuze und haben bereits weite Teile des Verkehrs nach Südostasien und Ozeanien fest im Griff. Um streitbare Gewerkschaften, hohe Gebühren und Sozialabgaben oder Nachtflugverbote an ihren Heimatbasen müssen sich die Araber keine Gedanken machen. Zudem ändern die europäischen Billigflieger ihr Geschäftsmodell und werden für Geschäftsleute immer attraktiver. So folgt Ryanair dem Vorbild von Easyjet und verlässt die Provinz-Flughäfen. Am Eurowings-Drehkreuz Köln-Bonn treten die Iren demnächst sogar wieder mit Inlandsflügen nach Berlin an.
Auf Hilfe aus Berlin oder Brüssel hat die Lufthansa in den vergangenen Jahren meist vergeblich gewartet. Die nationale Luftverkehrssteuer verteuert Tickets für Flugreisen von deutschen Flughäfen. Sie bietet zudem der europäischen Konkurrenz Anreize, Umsteiger auf die eigenen Drehkreuze zu locken. Grenznah lebende Passagiere können gleich ganz auf ausländische Flughäfen und Airlines ausweichen. Den häufig angemahnten nationalen Luftverkehrsplan gibt es auch immer noch nicht. Dafür unsinnige Subventionen für Regionalflughäfen, die bislang das Geschäftsmodell der Billigflieger gestützt haben.
Doch all das wirkte vor einem Jahr noch vergleichsweise leicht. Spohr hoffte, er könne den Schwung des von seinem Vorgänger Franz aufgesetzten Sparprogramms Score durch seine mitreißende Art beschleunigen. Er dachte, die angespannte Stimmung im Konzerninneren beruhigen und mit einer klaren Servicestrategie aus mehr Komfort für Premiumkunden und mehr Billigtickets für Schnäppchenjäger neue Kunden gewinnen zu können.
Das hat der Lufthansa-Chef leider bestenfalls im Ansatz erreicht. „Was immer sich Spohr auch - ganz entgegen seinem natürlichen Optimismus - als schlimmsten Fall vorgestellt hatte“, sagt ein führender Lufthanseat, „am Ende kam es fast in jeder Hinsicht schlimmer.“