Lufthansa Der unvermeidliche Streik

Wegen des Verdi-Warnstreiks hat die Lufthansa für Mittwoch nahezu ihren kompletten Flugplan abgesagt. Quelle: dpa

Der ungewöhnlich große Verdi-Ausstand bei der Lufthansa wirkt unverantwortlich, ist aber keine Überraschung. Denn die Gewerkschaft konnte kaum anders – nicht zuletzt wegen der ungeschickten Personalpolitik der Lufthansa.

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Wer dieser Tage mit Funktionären der Gewerkschaft Verdi über den Lufthansastreik am Mittwoch redet, stößt auf kräftigen Kampfgeist. „Im Idealfall wird kein einziges Flugzeug abheben“, erklärte Emilio Rezzonico, zuständiger Verdi-Sekretär am Frankfurter Flughafen, der „Frankfurter Rundschau“ voller Vorfreude. Wenn diese Woche rund 20.000 Beschäftigte aus der Wartung, dem Betrieb der Flugzeugschlepper oder der Abfertigung die Arbeit niederlegen, kann praktisch keine Maschine mehr starten. Prompt sagte die Lufthansa in Frankfurt und München gut 1000 Flüge ab. Auch in anderen deutschen Städten wie Berlin, Düsseldorf und Hamburg fallen Flüge aus. Damit ist der als Warnstreik deklarierte erste Ausstand in der aktuellen Tarifrunde der Lufthansa deutlich umfangreicher als in anderen Auseinandersetzungen.

Doch wer hinter die Kulissen blickt, hört fast eine Art Entschuldigung. „Einen so großen Ausstand inmitten einer solchen Krise, das will bei uns eigentlich keiner so richtig“, gesteht ein Arbeitnehmervertreter. „Aber wir konnten am Ende nicht anders.“ Denn auch wenn es Verdi bei seiner geforderten Lohnerhöhung von 9,5 Prozent offiziell nur um einen Inflationsausgleich geht: Der wahre Antrieb des Ausstands ist es, die explosive Stimmung in der Lufthansabelegschaft einzufangen, die vor allem die ungeschickte bis verkorkste Personalpolitik des Konzerns ausgelöst hat. Durch die, so Claudia Brosche vom Fluggastrechtsportal Flightright, „sind die verbliebenen Mitarbeiter:innen so gestresst und unzufrieden, dass sie nun streiken müssen.“ Der starke Beginn des Arbeitskampfes könnte dafür sorgen, dass es statt der befürchteten langen Auseinandersetzung eine schnelle Einigung bis Mitte August gibt. Dann, so die Hoffnung, könnten ohne viel Getöse die weiteren offenen Tarifabschlüsse folgen.

Auf den ersten Blick wirkt es wie eine unverantwortliche Eskalation, wenn Verdi ersten Ausstand der Tarifauseinandersetzung auf 26 Stunden ansetzt – anstatt der sonst üblichen drei bis vier Stunden. Das beeinträchtigt bei der gebeutelten Lufthansa an vier Tagen den Betrieb, obwohl die Linie noch unter der Coronakrise und den vielen Flugausfällen durch den Personalmangel in allen Bereichen des Fluggeschäfts leidet. „Verdi hat nach nur zwei Verhandlungstagen einen Streik angekündigt, den man aufgrund der Breite über alle Standorte hinweg und der Dauer kaum noch als Warnstreik bezeichnen kann“, sagt Lufthansa-Personalvorstand Michael Niggemann zu Recht und beklagt „massive operative Auswirkungen“ sowie zusätzliche starke Belastungen für „unsere Mitarbeitenden in einer ohnehin schwierigen Phase des Luftverkehrs“. Bereits am Tag vor dem Streik habe man „rund 45 nahezu ausgebuchte“ Langstreckenflüge streichen müssen. Bis der Verkehr wieder rundläuft, kann es Freitag werden. Die Kosten schätzen Insider auf mehr als 100 Millionen Euro.

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Die „Keule als Auftakt“ hält ein Kenner des Tarifgeschäfts für eine gute Chance auf eine schnelle Einigung: „Alle sind danach wegen der hohen Kosten entsetzt und drängen auf einen Kompromiss.“ Das gelte sowohl für die Gewerkschaften, die radikalere Arbeitnehmer mit dem Hinweis auf die Mehrbelastung für die Kollegen von einem neuen Ausstand abbringe, als auch für die Unternehmensführung, die ihre Investoren mit dem Hinweis einfangen könne, dass der rasche Abschluss zwar teurer sei als erhofft, aber immer noch billiger als ein langer Arbeitskampf, wie ihn laut Unternehmenskennern einige Anteilseigner fordern.

Dazu sorge ein Abschluss nach einem härteren Streik für bessere Stimmung in der Belegschaft, meint ein Vorstand einer anderen Gewerkschaft. „Es ist fester Teil der Gewerkschaftsfolklore, dass ein Abschluss nur dann etwas wert ist, wenn er möglichst hart erkämpft wurde.“ Da gelten sieben Prozent Gehaltssteigerung nach einem spektakulären Streik mehr, als friedlich ertrotzte acht Prozent. „Und bei der gegenwärtigen Stimmung in der Lufthansa-Belegschaft zählt das umso mehr“, weiß ein Konzernkenner.

Für das ungewöhnlich harte Vorgehen der Gewerkschaft sorgt vor allem die Personalpolitik der Lufthansa der vergangenen zwei Jahre. Im Sommer 2020 standen die Zeichen bei der Lufthansa noch auf Harmonie – es herrschte der Glaube vor, dass die Konzernführung das Unternehmen nur gemeinsam mit der Belegschaft retten könne.

Doch der Geist kippte bald. „Anstatt die Krise der gesamten Luftfahrtbranche als Chance zu sehen, mit vereinten Kräften einen gemeinsamen Weg durch die Pandemie zu finden, sah der Konzernvorstand darin offensichtlich vielmehr die Gelegenheit, langfristig tarifliche und betriebliche (Kosten-) Strukturen abzusenken“, heißt es in einem gemeinsamen Brief der Betriebsräte an den Aufsichtsrat. Sie beklagten, Konzernchef Carsten Spohr und Personalchef Michael Niggemann würden „ein gegenseitiges Ausspielen der Beschäftigtengruppen“ forcieren, „immer neue Keile in Beschäftigungsgruppen“ treiben und „durch bewusst geschürte Existenzängste der Mitarbeiter*innen nachhaltige Zugeständnisse erzwingen“ wollen.

Diesen Weg beschritten Spohr und Niggemann aus guten Gründen: Angesichts der Milliardenschulden aus der Coronazeit mussten die Lufthansavorstände die im Branchenvergleich hohen Personalkosten senken und sich jede Investition in einen Ausbau gut überlegen. Wie alle in der Branche hatte auch die Kranichlinie mehrmals auf einen Reiseboom gesetzt – und musste dann reihenweise Reisen absagen, als es doch einen neuen Lockdown gab. „Weil wir dafür teils heftig kritisiert wurden, haben wir uns auch 2022 trotz vieler Buchungen beim Kapazitätsaufbau erstmal zurückgehalten, bis der ab Ende März praktisch sicher war“, erläutert ein führender Lufthanseat. „Das war unterm Strich zu knapp, doch hinterher ist man immer schlauer.“

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von Christian Schlesiger

Dabei setzte die Lufthansaführung weiter auf Entlassungen und niedrigere Gehälter, sogar als Konkurrenten bereits wieder einstellten, weil sich für den Sommer 2022 eine Erholung des Geschäfts fast auf das Niveau des Vorkrisenjahres 2019 abzeichnete. „Es wurde vom Konzernvorstand vielmehr dem Personal noch bis Februar 2022 suggeriert, man müsse Lufthansa massiv redimensionieren und Personal freistellen“, steht in einem Betriebsräteschreiben. Dazu kündigte der Konzern ohne Not Tarifverträge mit den Piloten, schloss die Bremer Verkehrsfliegerschule, entließ das Cockpitpersonal der Germanwings und gründete mit einer intern „Cityline 2“ genannten Regionallinie nach dem Ferienflieger Eurowings Discover innerhalb eines Jahres die zweite Fluglinie ohne Tarifbindung. „Mehr Konfrontation und Eskalation gegen das eigene Personal ist wohl kaum vorstellbar“, monieren die Betriebsräte.

Erst Ende Juni gestand die Lufthansa ein, an den aktuellen Problemen nicht ganz schuldlos zu sein – und gemeinsam mit der Belegschaft gegensteuern zu wollen. „Zu viele Mitarbeitende und Ressourcen fehlen noch, nicht nur bei unseren Partnern, sondern auch in einigen Bereichen bei uns“, heißt es in einer E-Mail des Lufthansa-Vorstands an die Belegschaft. Doch da war es bereits zu spät, um die Stimmung in der Belegschaft noch in Richtung positiv zu drehen.



Spohr und Niggemann unterlieben zwei Fehler: Zum einen unterschätzten sie die Stimmung in der Belegschaft. „Das allgemeine Gefühl ist, als die Lufthansaführung in der Krise am längeren Hebel saß, hat sie alle vors Knie getreten und Jobs abgebaut und jetzt, wo sie den Bogen überspannt hat, beschwört sie den familiären Geist des Unternehmens“, sagt Marcel Gröls, oberster Tarifpolitiker der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC). Ein anderer Arbeitnehmervertreter ergänzt: „Die Stimmung bei vielen ist extrem gereizt, weil die Kollegen das Gefühl haben, mehr oder weniger bewusst überlastet zu werden.“ 

Spohr und Niggemeier hatten die Chance verpasst, rechtzeitig bevor die Stimmung kippte neue Tarifvereinbarungen zu treffen. Das gelang zwar im Frühjahr mit der Gewerkschaft UFO für Teile des fliegenden Personals. Andere Verträge hätten bereits ab 2020 neu vereinbart werden können. „Doch das wurde vom Unternehmen wegen der Unsicherheit durch die Pandemie immer wieder auf die lange Bank geschoben“, klagt ein Arbeitnehmervertreter. 

Zum anderen unterschätzten sie die Folgen für Lufthansa aufgrund der generellen Situation auf dem deutschen Arbeitsmarkt: Angesichts des allgemeinen Fachkräftemangels, ist anders als in früheren Arbeitskämpfen, die Angst gering, durch einen teuren Tarifabschluss den Job bei der Lufthansa zu verlieren. „Die Krise hat doch gezeigt: Für uns Lufthanseaten gibt es genug Jobs, in der Branche und erst recht außerhalb“, kommentiert ein Beschäftigter.

Mit dem Streik könnte sich auch hier das Gefüge verändern: „Bei vielen ist jetzt die Stimmung ‚nun haben wir es denen mal richtig gezeigt‘ und dass die Führung vielleicht was draus lernt“, hofft ein Arbeitnehmervertreter. Das wäre auch bitter nötig. Denn neben den Tarifverhandlungen mit dem Bodenpersonal sind bereits ein halbes Dutzend Gesprächsrunden gelaufen mit den Beschäftigten in der Kabine und der Vereinigung Cockpit (VC). Und beide wollen nicht nur ebenfalls höhere Gehälter und bessere Arbeitsbedingungen. Sie sind auch bereit, zu streiken. Die VC hat hierfür bereits eine Urabstimmung angesetzt. „Wenn die Kollegen am Boden das schaffen, sollte die Konzernführung nicht glauben, dass wir uns nicht trauen“, so ein Arbeitnehmervertreter. 

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Käme es dank des ungewöhnlich großen ersten Warnstreiks zu einer schnellen Einigung mit den Bodendiensten, stiege auch der Druck, die anderen Tarifverträge schnell und ohne Arbeitskämpfe abzuschließen. „Und das könnte am Ende das Kalkül von Verdi gewesen sein“, so ein Tarifexperte. „Und die Lufthansa hat sich dem wahrscheinlich gern angeschlossen.“

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