Lufthansa Entscheidungstage für den Kranich

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Seit dieser Woche ist die Lufthansa nicht mehr im Dax gelistet. Das ist bitter genug – zugleich aber eine der geringeren Sorgen des Luftfahrtkonzerns. Kurz vor der Hauptversammlung wird die Situation immer dramatischer.

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Aus und vorbei nach knapp 32 Jahren: Die Lufthansa spielt seit heute nicht mehr in der ersten deutschen Börsenliga mit, wird ab jetzt im MDax der mittelgroßen Werte gelistet. Ihren Platz im Dax nimmt die Deutsche Wohnen ein.

Eigentlich ein einschneidendes Erlebnis für den wichtigsten deutschen Aktienindex und den größten Luftfahrtkonzern des Landes gleichermaßen. Weil der Zahlungsdienstleister Wirecard aktuell für eine der bizarrsten Entwicklungen der jüngeren Börsengeschichte sorgt, geht der Abschied vom Gründungsmitglied freilich ein bisschen unter. Für die Lufthansa ist er angesichts der anderen Probleme ohnehin fast schon eine Nebensächlichkeit.

Dem Konzern und seinem Lenker, Vorstandschef Carsten Spohr, steht eine nervenaufreibende Woche bevor, die am Donnerstag, dem 25. Juni, mit der außerordentlichen Hauptversammlung ihren vorläufigen Höhepunkt findet. Wie die Veranstaltung für die Kranich-Linie läuft, ist derzeit noch völlig offen.

Das Rettungspaket – und sein heftigster Kritiker

Denn während sich die Lufthansa am Montag in ihre ungewohnte Rolle als MDax-Wert einfinden musste, war Carsten Spohr von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) zum Krisengespräch mit Heinz Hermann Thiele geladen. Dem Mann, der viele Zukunftspläne zunichtemachen könnte. Das berichtet die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf drei Insider. Nach dem Gespräch im Finanzministerium gaben die Teilnehmer vor Journalisten keinen Kommentar ab. Dabei hat die Bundesregierung dem Lufthansa-Großaktionär Thiele offenbar keine Änderungen am staatlichen Rettungspaket für die Fluggesellschaft in Aussicht gestellt. „Die Bundesregierung hat das Hilfspaket erläutert“, sagte ein Regierungsvertreter am Montag der Nachrichtenagentur Reuters nach dem Gespräch.

Ein intensiver Austausch zwischen dem Lufthansa-Chef und Thiele war allerdings überfällig. Der 79-Jährige hat zuletzt seinen Lufthansa-Anteil auf mehr als 15 Prozent aufgestockt – und versetzt die Lufthansa-Führung seit einigen Tagen in helle Aufruhr. Die Airline fürchtet, dass er mit seiner Stimmmacht den staatlichen Rettungsplan blockieren könnte.

In ungewohnter Einigkeit hatten daher Konzernspitze und Lufthansa-Gewerkschaften in den vergangenen Tagen um rege Teilnahme von Kleinanlegern bei der Hauptversammlung gebeten – und um Zustimmung zu dem Deal. Offenbar vergeblich. „Seit heute Nacht wissen wir, dass unsere Aktionäre weniger als 38 Prozent des Kapitals für diese Hauptversammlung angemeldet haben“, heißt es in einem Brief von Lufthansa-Chef Spohr an die Mitarbeiter. Damit sei nun eine Zweidrittelmehrheit nötig, „die nach jüngsten Äußerungen von wichtigen Aktionären insbesondere zu den Konditionen der Kapitalerhöhung nicht sicher erscheint.“

Die Aktionäre sollten eigentlich am Donnerstag den Rettungsplan abnicken, den Spohr in den vergangenen Wochen mühevoll und mit viel Säbelgerassel ausgehandelt hatte. Runtergebrochen sieht der Deal wie folgt aus: Das Rettungspaket, das der Staat schnürt, setzt sich aus stillen Einlagen von insgesamt 5,7 Milliarden Euro, einem staatlich abgesicherten Kredit von bis zu drei Milliarden Euro und einer direkten Beteiligung an der Lufthansa in Höhe von 20 Prozent – 300 Millionen Euro – zusammen. Macht insgesamt neun Milliarden Euro. Dafür muss die Fluggesellschaft zwei Dutzend Start- und Landerechte auf den Flughäfen Frankfurt am Main und München an die Konkurrenz abgeben.

Der streitbare Thiele ist damit nicht zufrieden. „Ich bin der festen Überzeugung, dass der Staat nicht der beste Unternehmer ist“, so der Großaktionär in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Er moniert, dass Lufthansa-Chef Carsten Spohr nicht die mit dem Bund verhandelten Alternativen benannt habe. Die müsse der Vorstand auf den Tisch legen: „Ich glaube, man hätte intensiver verhandeln können.“

Mit seiner Kritik ist Thiele nicht allein. Viele Ökonomen warnen vor einer Abhängigkeit – und einer zu starken Einmischung. „Der Staat ist kein guter Unternehmer“, mahnte etwa auch der Wirtschaftshistoriker Werner Plumpe jüngst im Gespräch mit der WirtschaftsWoche.

Für Thiele kommt hinzu, dass der geplante Bundesanteil von 20 Prozent die Anteile der Altaktionäre verwässert. Dabei dürfte es ihm vor allem um die negativen Folgen für seine 15 Prozent gehen.

Dass Heinz Hermann Thiele zuletzt Aktien an dem Unternehmen Knorr-Bremse veräußerte – und wohl mehr als 700 Millionen Euro rausholte – heizt die Gerüchteküche weiter an: Was will er mit all dem Cash?

Zwar sagte der Großaktionär im Interview auch, die Aufstockung seines Anteils sei „kein Signal, auf der Hauptversammlung gegen irgendetwas zu stimmen“. Doch die Angst, dass ein Widerspruch Thieles zur Blockade führen wird, ist groß.

Was passiert, wenn das Rettungspaket nicht abgenickt wird, ist offen. Die Lufthansa-Führung selbst malt Schreckensbilder: „Das würde bedeuten, dass die Lufthansa möglicherweise zeitnah ein insolvenzrechtliches Schutzschirmverfahren beantragen muss“, heißt es in einer offiziellen Mitteilung aus der vergangenen Woche. Die Unsicherheit für den Konzern und seine Mitarbeiter würden um ein Vielfaches wachsen.

„Für den Fall, dass die Hauptversammlung keine Zustimmung für die Stabilisierungsmaßnahmen des Bundes erteilt, haben wir umfangreiche Vorbereitungen getroffen, unter anderem, um ein Grounding zu verhindern“, schreibt Spohr nun in dem Brief an die Mitarbeiter. „Auch würden wir die verbleibende Zeit bis zur Anmeldung einer Insolvenz nutzen, um mit der Bundesregierung Optionen zu besprechen.“

Manche Insider warnen derweil, Großaktionär Thiele könnte eine Insolvenz mit anschließender Zerschlagung der Lufthansa provozieren wollen, um selbst daraus Profit zu schlagen. Denn rechnet man die drückenden Schulden gegen den Wert von Flotte und Unternehmenstöchtern auf, läge diese Zahl noch immer deutlich über dem aktuellen Börsenwert der Linie. Aktionäre bekämen in diesem Gedankenspiel also im Vergleich zum derzeitigen Börsenwert mehr heraus. (Die vollständige Analyse dieses kühnen Kalküls finden Sie hier).

Aber selbst wenn es keine Querschläger gibt, der Deal mit der Regierung problemlos abgenickt wird – einfach oder gar angenehm werden die Hauptversammlung und die Zeit danach keinesfalls.

Der Sparplan – und ein enormer Stellenabbau

Vorstandschef Spohr will den Anteilseignern ein Sparkonzept präsentieren. Darin wird es um Kürzungen im Flugbetrieb gehen, um den Verkauf von Unternehmensteilen, um energisches Verhandeln mit Zulieferern, um Verzicht beim Flugzeugkauf – und um einen gigantischen Stellenabbau. Denn den rechnerischen Überhang in der Coronakrise beziffert der Konzern auf 22.000 Vollzeitstellen, die Hälfte entfalle auf Deutschland. Zur Erinnerung: Insgesamt beschäftigt der Konzern rund 138.000 Mitarbeiter weltweit. „Nach unseren aktuellen Annahmen über den Geschäftsverlauf der kommenden drei Jahre haben wir allein bei Lufthansa perspektivisch keine Beschäftigung für jeden siebten Piloten und jeden sechsten Flugbegleiter sowie zahlreiche Mitarbeiter am Boden“, sagte jüngst Personalvorstand Michael Niggemann. Lufthansa wolle aber möglichst viele Mitarbeiter halten und betriebsbedingte Kündigungen vermeiden.

Wie tief die Einschnitte wirklich ausfallen werden, wird derzeit mit der Vereinigung Cockpit (VC) für die Piloten, der Flugbegleitergewerkschaft UFO und der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi verhandelt. Ergebnisse sollen eigentlich am Montag vorliegen. Aber selbst bis zum Dienstagmittag zeichnete sich noch keine Einigung bei den noch laufenden Verhandlungen mit VC und UFO ab.

Dass der Ausgang der Verhandlung schmerzhaft sein wird, ist unausweichlich.

Die Lufthansa musste in der Coronakrise ihr Flugprogramm maximal minimieren, Millionen gebuchte Tickets erstatten und zeitweise Verluste von bis zu einer Million Euro verbuchen – pro Stunde. Ein beispielloser Absturz, der die Airline auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte belasten wird, egal wie hart die Sparmaßnahmen ausfallen werden. Denn die Zukunft sieht düster aus.

Natürlich: Corona hat alle Airlines weltweit unvorbereitet vom Himmel geholt. Viele Konkurrenten aber werden wohl deutlich besser und schneller wieder in die Luft kommen. Echte Höhenflüge wird es auf längere Sicht ohnehin nicht geben, zu hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Urlauber und besonders Geschäftsreisende nicht sofort in Scharen zurück an Bord wollen. Die besten Chancen haben nach einer großen Analyse der WirtschaftsWoche Billigflieger wie Ryanair, Easyjet und Wizz Air. „Sie werden mit der neuen Lage besser zurechtkommen“, glaubt etwa Daniel Roeska, Analyst des New Yorker Brokerhauses Bernstein. Sie seien von weniger Schulden belastet, arbeiteten effizienter, stünden nicht so stark unter dem Einfluss der Politik – und dürften sich daher schneller erholen.

Die Aufräumarbeiten nach dem Corona-Schock

Da hilft es wenig, dass die Kunden schon jetzt ungeduldig und zornig werden. Angesichts Tausender gestrichener Flüge und geplatzter Reisen haben die Beschwerden von Verbrauchern über Fluggesellschaften und die Deutsche Bahn in der Corona-Zeit deutlich zugenommen, berichtete am Wochenende das Handelsblatt. Besonders in der Kritik steht dabei natürlich die größte Linie Deutschlands – mit der Abwicklung der zahlreichen Beschwerden und Forderungen ist sie offenbar völlig überfordert.

„Von einem Unternehmen wie der Lufthansa, das eine Milliardenhilfe des Staates bekommen soll, erwarte ich, dass es seine Kunden nicht im Regen stehen lässt“, sagte der tourismuspolitische Sprecher der Union im Bundestag, Paul Lehrieder (CSU), dem Blatt. Tressel betonte, die Rückzahlung der Kundengelder müsse „eine Bedingung für jede staatliche Hilfe für Fluggesellschaften werden“. Der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv), Klaus Müller äußerte sich ähnlich.

Bis Donnerstag stehen der Lufthansa ereignisreiche Tage bevor. Danach fängt die Arbeit an.

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