Neben dem Zuckerbrot haben die Lufthansa-Lobbyisten auch gleich einer Peitsche im Gepäck. Wenn die EU die Übernahme untersage oder durch eine gründliche Prüfung zu lange verzögere, geht es nicht nur mit den höheren Flugpreisen noch eine ganz Zeit weiter. Es würde auch das Ende des Air-Berlin-Ferienfliegers Niki bedeuten.
Sollte Lufthansa den Zuschlag nicht bekommen, müsste sie die finanzielle Unterstützung sofort einstellen und Niki ginge sofort Pleite. Dann würden mehrere Tausend Reisende auch zur weihnachtlichen Reisezeit stranden. Dazu gingen direkt und indirekt deutlich mehr als 1000 Stellen verloren. Und das würde sich etwas hinziehen, weil auf die Schnelle kein anderes Unternehmen die Lücke schließen könne. „Will die EU wirklich daran schuld sein?“, fragt ein Lufthanseat.
Das halten die bei der Air-Berlin-Aufteilung leer ausgegangenen Wettbewerber Thomas Cook und die British-Airways-Mutter IAG für überzogen bis lachhaft. Aus ihrer Sicht bekäme Lufthansa durch die Übernahme ein bedrohliches Übergewicht. Laut einer Studie der Hamburger Beratung Prologis fliegen Lufthansa und ihre Tochter Eurowings dann 83 Prozent aller Flugsitze durch die Gegend. „Aber da Easyjet sicher nicht alle ehemaligen innerdeutschen Strecken von Air Berlin wieder aufnimmt, wären es wahrscheinlich sogar fast 90 Prozent“, sagt der Manager eines Wettbewerbers.
Dazu hätten die Insolvenzverwalter den Verkauf zumindest der Niki an Lufthansa aus Sicht der Wettbewerber gar nicht vorschlagen dürfen. Laut EU-Recht dürfe eine gescheiterte Gesellschaft nur dann von dem marktbeherrschenden Anbieter mit mehr als 40 Prozent Anteil übernommen werden, wenn es keine anderen Interessenten gebe. „Im Fall von Niki hat es bekanntermaßen mehrere Alternativen gegeben“, erklärte Thomas-Cook-Fluglinienchef Christoph Debus in der „FAZ“. Ein anderer Manager wird da deutlicher. „Allein aus dem Grund muss die EU den Niki-Deal abschießen.“
Zudem gibt es Kritik am vermeintlich überhasteten Verfahren. „In den weniger als acht Wochen zwischen Insolvenz und Ende des Bieterverfahrens war es praktisch unmöglich, ein Angebot abzugeben, das sich genauso fundiert las wie das der Lufthansa“, sagt einer der abgewiesenen Bieter.
Beide Argumente sind der EU wohl bewusst. In einer Mitteilung der EU vom Oktober listet sie in einem von juristischen Fachausdrücken durchsetzten Text die Szenarien - und verpflichtet die Lufthansa etwa, keine vollendeten Tatsachen beim Kauf von Air-Berlin-Flugzeugen zu schaffen.
Doch halten es Beobachter für überzogen, dass sich die EU-Kommission die Übernahme von Niki durch Lufthansa verbietet. „Das hat die Lufthansa zwar gestreut, aber das soll eher die Schuld bei einem Scheitern in Richtung EU schieben“, meint ein Kenner der Brüsseler Szene.
Am Ende gibt es wohl zwei Auswege. Die EU könnte die Übernahme stoppen, weil die Lufthansa hätte wissen können, dass sie Niki nicht übernehmen dürfe. Wahrscheinlicher ist aber eine Reihe von Auflagen - zum Beispiel, dass Lufthansa neue Wettbewerber holen und diese im Wettbewerb schonen muss. Denn auch wenn der Kauf nicht in Ordnung gewesen sei, habe es angesichts der knappen Zeit keine Alternative gegeben, bei der Beschäftigte und Passagiere nicht ungebührlich stark gelitten hätten, sagt der Brüssel-Kenner.
Schwer wird die Entscheidung auch dadurch, dass das Verfahren indirekt einen Einfluss auf das höchste politische Amt in Europa hat: die Nachfolge von Kommissions-Präsident Jean-Claude Juncker in 2019.
Wettbewerbskommissarin Vestager kann sich berechtigte Hoffnung auf das Amt machen.
Beobachter sehen sie im Fall Lufthansa jedoch vor einem Dilemma. In Berlin würde sie sich einerseits mit einem harten Durchgreifen unbeliebt machen. Andererseits kann Vestager die Übernahme auch nicht mit zu milden Auflagen durchwinken, weil die Sache dann vor den Europäischen Gerichtshof ginge - und scheitern dürfte.
Die Chronik von Air Berlin
Vor 38 Jahren hob der erste Air-Berlin-Flieger ab. Alles begann mit alliierten Sonderrechten zur Landung im geteilten Berlin. Nach der Wende wuchs Air Berlin zur Nummer Zwei am Himmel über Deutschland heran, doch dann folgte eine jahrelange Krise.
1978: Gründung als Chartergesellschaft durch den Ex-Pan-Am-Pilot Kim Lundgren. Erstflug am 28. April 1979 von Berlin-Tegel nach Mallorca. Die Flotte umfasst zwei Maschinen.
1991: Im April kauft der LTU-Manager Joachim Hunold die Mehrheit der Anteile. Es gibt kurz darauf 15 Flüge pro Tag. Air Berlin expandiert und stationiert zunehmend auch Flugzeuge auf Regionalflughäfen.
1998: Mit dem Mallorca Shuttle Einstieg ins Linienfluggeschäft.
Einstieg zu 25 Prozent bei der österreichischen Fluggesellschaft Niki des früheren Rennfahrers Niki Lauda.
Börsengang und Kauf der Fluggesellschaft dba.
Kauf des Ferienfliegers LTU, damit auch Interkontinentalflüge.
Air Berlin rutscht in die roten Zahlen, legt das erste Sparprogramm auf: Strecken fallen weg, Flugzeuge werden ausgemustert. Die Übernahme des Ferienfliegers Condor scheitert.
Air Berlin kündigt für 2012 den Eintritt in das Luftfahrtbündnis Oneworld an.
Hunold wirft das Handtuch, Hartmut Mehdorn übernimmt. Ein weiteres Sparprogramm soll das operative Ergebnis um 200 Millionen Euro verbessern. 18 der 170 Maschinen werden verkauft.
Die arabische Staatsairline Etihad erhöht ihren Anteil von knapp 3 auf 29,2 Prozent und stützt die Airline mit einem 255-Millionen-Dollar-Kredit. Ein neues Sparprogramm beginnt. Der Verkauf des Vielfliegerprogramms an Großaktionär Etihad bringt nur vorübergehend wieder schwarze Zahlen.
Wolfgang Prock-Schauer wird Vorstandschef und verschärft das von Mehdorn im Vorjahr aufgelegte neue Sparprogramm. Jeder zehnte Arbeitsplatz fällt weg, die Flotte schrumpft auf 142 Maschinen.
Im Februar löst Stefan Pichler den glücklosen Prock-Schauer ab. Air Berlin macht 447 Millionen Euro Verlust - so viel wie nie.
Nach einem juristischen Tauziehen kann Air Berlin den größten Teil der wichtigen Gemeinschaftsflüge mit Etihad weiter anbieten. Die Zahlen bessern sich nicht. Gespräche mit Lufthansa über einen Verkauf von Geschäftsteilen beginnen. Mit einem tiefgreifenden Umbau und der Streichung von bis zu 1200 Arbeitsplätzen will Air Berlin seine Krise überwinden.
Air Berlin bekommt einen neuen Chef. Der Lufthansa-Manager und früheren Germanwings-Chef Thomas Winkelmann wird Vorstandschef. Air Berlin führt ihren Flugbetrieb in zwei getrennten Geschäftsfeldern weiter: Langstreckenflüge und Städteverbindungen in Europa werden zusammengefasst, Urlaubsflüge unter der Marke Niki geführt. Lufthansa erklärt sich bereit, Air Berlin zu übernehmen, wenn der Großaktionär Etihad zuvor die Schulden übernähme.
Air Berlin meldet Insolvenz an. Zuvor hatte Etihad seine finanzielle Unterstützung eingestellt. Ein 150-Millionen-Euro-Kredit des Bundes soll den Flugbetrieb zunächst sichern.
Fast 40 Jahre nach dem Start der ersten Air-Berlin-Maschine in Berlin-Tegel landet am 27. Oktober 2017 um 23.45 Uhr der letzte Air-Berlin-Flieger dort. Die Zukunft der Angestellten und vieler Unternehmensteile ist zu diesem Zeitpunkt noch ungewiss.
Für Lufthansa-Chef Spohr ist das Risiko dagegen deutlich geringer. „So gern er alles hätte, er kann im schlimmsten Fall nicht wirklich viel verlieren“, so ein Manager eines Wettbewerbers. Bekommt er alle gewünschten Teile von Air Berlin mit milden Auflagen, kann Spohr jubeln.
„Und bekommt er Niki nicht, schmerzt es auch kaum“, so der Konkurrent. Denn dann bekommt Spohr mit den unstrittigen Teilen von Air Berlin sowie der Tochter LGW umgerechnet immer noch fast 60 Flugzeuge. „Und zwar nicht im hart umkämpften Ferienmarkt, sondern im normalen Liniengeschäft mit seinen vielen gut zahlenden Geschäftsreisenden“, so der Konkurrent.
Auch der durch den Niki-Verlust oder mögliche Auflagen verlorene Rest ist nicht ganz weg. Die Erwartung: Werden die wertvollen Startrechte frei, wird sich und Lufthansa mit allen Töchtern darum bewerben. Die Hälfte davon bekommt sie nach geltendem Recht ohnehin.
Auf den Rest hat sie eine gute Chance. „Denn Lufthansa hat sich sicher auch auf den Fall gründlich vorbereitet und wird schneller und gezielter neue Flüge auflegen als andere“, so der Konkurrent. „Und weil das dann nicht als Übernahme, sondern im Wettbewerb geschieht, muss sie nicht mal große Kartellauflagen befürchten.“