Wer bislang nach Innovationen für Flugpassagiere suchte, fing damit besser nicht bei der Lufthansa an. Ob clevere Werbung oder besserer Service: „Bei Neuerungen haben wir gewartet, bis es in Europa alle hatten - außer notorischen Nachzüglern wie Alitalia“, lästert ein führender Lufthanseat.
Geht es nach Carsten Spohr, wird davon in ein paar Jahren keine Rede mehr sein. Dafür steckt der Lufthansa-Chef nicht nur 100 Millionen Euro pro Jahr in Projekte wie das eigenen Innovationsbüro in Berlin und einen Preis für neue Ideen.
Dafür bricht Spohr auch das tiefste Tabu: Eurowings darf endlich ein echter Billigflieger sein und machen, was ein Billigflieger so macht: schnell neue Ideen ausprobieren (und sie notfalls noch schneller wieder beerdigen), für Extras Geld kassieren und nicht zuletzt Fehler machen.
So erprobt ein Team um Produktchefin Katrin Flöther gerade eine Reihe von Neuerungen. Dazu gehören vor allem kostenpflichtige Extras. Wer einen günstigen Flugpreis sieht, kann sich den für bis zu 48 Stunden sichern – und in der Zeit in Ruhe nach Mitreisenden suchen oder sich weitere Reiseteile wie Hotels, Ferienhäuser oder Mietwagen forschen.
Wie es bei der Lufthansa besser werden soll
Service: | andere sind besser |
Lösung: | mehr und besser maßgeschneiderte Angebote |
Kosten: | sind zu hoch |
Lösung: | schlankere Abläufe und neue Ansätze |
Veränderungen: | dauern viel zu lange |
Lösung: | Probierkultur statt perfekt geplanter Programme |
Wartungstochter: | Technologievorsprung bröckelt |
Lösung: | neue Geschäftsfelder mit anspruchsvolleren Produkten |
Fracht: | wachsende Billigkonkurrenz |
Lösung: | automatisierte Abfertigung und neuer Hightechservice |
Geplant ist die Möglichkeit, sich einen freien Nachbarsitz zu sichern oder für weniger als den üblichen Aufpreis in die „Best“-Reihen vorrücken zu dürfen.
Gleichzeitig sollen die Teile und der Preis des bislang auf jedem Flug gleichen „Smart“-Pakets stärker variieren. Auf kürzeren Strecken wird das Bündel aus Freigepäck und Snack billiger als die bislang üblichen 22 Euro. Auf längeren Routen soll das Paket mehr kosten.
Bereits im Sommer soll auf allen Fliegern die hauseigene „Entertain“-App laufen. Sie soll auch auf der Kurzstrecke über ein flugzeuginternes Datennetz auf einem mitgebrachten Mobilgerät Filme, Musik aus dem Streamingdienst Napster und jede Menge Spiele bieten. Voraussichtlicher Preis: Vier Euro. Ab Oktober schließlich sollen die ersten Eurowingsflieger Internet an Bord bieten.
Die größte Neuerung aber steht der Lufthansa-Tochter noch bevor.
Das kühnste Franchisesystem der Branche
Eurowings startet das kühnste Franchisesystem der Branche. Dabei sollen Fluglinien aus Europa künftig mit dem gleichen Service sowie in Jets in der Eurowings-Bemalung fliegen.
Organisiert wird das unter dem Dach einer neu gegründeten Eurowings Aviation Holding (EAH) mit Sitz in Düsseldorf. Sie organisiert Zentralfunktionen wie Marketing, Verkauf, Flugplanung oder die IT. Dazu verhandelt die EAH zentral für alle Mitglieder die Preise für Sprit oder die Flughafengebühren.
Auf der Ebene darunter stehen die einzelnen Fluglinien, die sich dann auf den reinen Flugbetrieb sowie kleine Verwaltungsjobs konzentrieren. Bislang stehen hier die heutige Germanwings, das für den Langstreckenverkehr zuständige Joint Venture mit Turkish Airlines, Sun Express, die Eurowings Deutschland und Eurowings Europe mit Sitz in Wien.
Die sechs größten Baustellen der Lufthansa
13 Mal haben die Piloten der Lufthansa in den vergangenen gut eineinhalb Jahren gestreikt. Die Vereinigung Cockpit sorgt sich, dass die Piloten unter anderem Abstriche Altersvorsorge hinnehmen müssen - und trotzdem immer mehr Jobs aus dem Tarifvertrag ausgelagert werden. Sie liefern dem Konzern deshalb den härteste Arbeitskampf in seiner Geschichte. Das ist nicht der einzige Knatsch mit dem Personal: Die Flugbegleiter von Ufo sind etwas moderater unterwegs, wollen aber auch ihre tariflichen Besitzstände verteidigen.
Carsten Spohr hat die Lufthansa auf eine Strategie mit zwei sehr unterschiedlichen Plattformen festgelegt, die jetzt gerade erst anlaufen. Die Kernmarke Lufthansa soll bei gleichzeitiger Kostensenkung zur ersten Fünf-Sterne-Airline des Westens aufgewertet werden - eine Luxus-Auszeichnung des Fachmagazins Skytrax, die bislang nur Airlines aus Asien und dem Mittleren Osten erreicht haben. Am anderen Ende der Skala steht künftig „Eurowings“, die nur noch als Plattform für die diversen und möglichst kostengünstigen Flugbetriebe des Lufthansa-Konzerns dienen soll. Die ersten Eurowings-Langstrecken ab Köln werden beispielsweise von der deutsch-türkischen Gesellschaft Sunexpress geflogen. Noch komplizierter wird das Angebot durch die Strategie, auf beiden Plattformen jeweils unterschiedliche Service-Pakete anzubieten.
So richtig gut läuft es für die Lufthansa mit ihrem schwierigen Heimatmarkt Zentraleuropa eigentlich nur in den Neben-Geschäftsbereichen Technik und Verpflegung. In ihrem Kerngeschäft der Passagier- und Frachtbeförderung fliegt die Lufthansa unter dem Strich Verluste ein. Spohrs Plan, Wachstum nur noch in kostengünstigen Segmenten stattfinden zu lassen, bedeutet eigentlich einen Schrumpfkurs für die Kerngesellschaft der Lufthansa Passage. Doch den Mitarbeitern wird Wachstum auch dort versprochen.
Sinkende Ticketpreise sind gut für die Passagiere, knabbern andererseits aber an den schmalen Margen der Fluggesellschaften. Bereits im vergangenen Jahr sind die Erlöse auf breiter Front um drei Prozent zurückgegangen. Der zuletzt stark gesunkene Kerosinpreis begünstigt derzeit Gesellschaften, die sich nicht gegen starke Preisschwankungen abgesichert haben. Lufthansa gehört nicht dazu, sondern hat einen Großteil ihres Spritbedarfs für die kommenden zwei Jahre bereits abgesichert und leidet zudem an der ungünstigen Währungsrelation zwischen Euro und Dollar. Um ihre Tickets zu verkaufen, muss sie aber die Kampfpreise der Konkurrenz halten.
In regelmäßigen Abständen verlangt Lufthansa politischen Schutz vor dem angeblich unfairen Wettbewerb durch Fluggesellschaften vom Arabischen Golf. Zuletzt stimmten auch die großen US-Gesellschaften in den Chor ein. Aber es bleibt dabei: Emirates, Qatar Airways und Etihad lenken mit immer größeren Flugzeugen tausende Fluggäste aus Europa über ihre Wüstendrehkreuze und haben bereits weite Teile des Verkehrs nach Südostasien und Ozeanien fest im Griff. Um streitbare Gewerkschaften, hohe Gebühren und Sozialabgaben oder Nachtflugverbote an ihren Heimatbasen müssen sich die Araber keine Gedanken machen. Zudem ändern die europäischen Billigflieger ihr Geschäftsmodell und werden für Geschäftsleute immer attraktiver. So folgt Ryanair dem Vorbild von Easyjet und verlässt die Provinz-Flughäfen. Am Eurowings-Drehkreuz Köln-Bonn treten die Iren demnächst sogar wieder mit Inlandsflügen nach Berlin an.
Auf Hilfe aus Berlin oder Brüssel hat die Lufthansa in den vergangenen Jahren meist vergeblich gewartet. Die nationale Luftverkehrssteuer verteuert Tickets für Flugreisen von deutschen Flughäfen. Sie bietet zudem der europäischen Konkurrenz Anreize, Umsteiger auf die eigenen Drehkreuze zu locken. Grenznah lebende Passagiere können gleich ganz auf ausländische Flughäfen und Airlines ausweichen. Den häufig angemahnten nationalen Luftverkehrsplan gibt es auch immer noch nicht. Dafür unsinnige Subventionen für Regionalflughäfen, die bislang das Geschäftsmodell der Billigflieger gestützt haben.
Wie die Airlines unter dem Dach arbeiten, bestimmt ein strenges Regelbuch für die neuen Partner, das am Ende bis zu 300 Seiten haben dürfte. Der sichtbarste Teil sind die Vorschriften für den Service. „Alles, womit der Kunde in Berührung kommt, soll gleich sein“, sagt Karl Garnadt, im Lufthansa-Vorstand für Eurowings verantwortlich.
Alle Partner sollen, wie Eurowings, die Kabine teilen in die drei Klassen „Basic“ mit engerem Sitzabstand, „Smart“ mit etwas mehr Platz und einer „Best“ genannten Billigflieger-Version der Business Class. Die Eurowingsfibel listet selbst die Farbtöne der Essensbeutel für Smart-Kunden, das Design von Sitzen oder Uniformen und die Regeln am Flughafen auf. Weitere Regeln dürften folgen.
Die Vorschriften enden nicht beim Service. Wie die künftigen Auftragsfluglinien mit Eurowings hinter den Kulissen zusammenarbeiten, führt Garnadts Partnerfibel in nicht weniger 30 Punkten auf. Dazu zählt auch, wie die künftigen Auftragsflieger ihre IT stricken müssen, damit die zur Eurowings-EDV passt.
Die wichtigsten Billigflieger in Deutschland
Transavia
Starts pro Woche: 64
Sitze: 9616
Strecken: 19
Vueling
Starts pro Woche: 67
Sitze: 12.160
Strecken: 11
Aer Lingus
Starts pro Woche: 71
Sitze: 12.354
Strecken: 8
Norwegian Air Shuttle
Starts pro Woche: 106
Sitze: 19.929
Strecken: 33
flybe
Starts pro Woche: 130
Sitze: 10.800
Strecken: 16
Wizz
Starts pro Woche: 208
Sitze: 38.590
Strecken: 73
Easyjet
Starts pro Woche: 531
Sitze: 86.868
Strecken: 90
Ryanair
Starts pro Woche: 1058
Sitze: 199.962
Strecken: 243
Euro-/Germanwings
Starts pro Woche: 2595
Sitze: 390.692
Strecken: 516
Mehr Spielraum lässt Garnadt den Neulingen bei der Frage, wie viel finanzielles Risiko die Partner tragen wollen. Galt bisher ein Franchisesystem, bei dem der Partner zumindest einen Teil des Geschäftsrisikos trägt, als Maß aller Dinge, ist nun eine Palette an Kooperationsmodellen möglich.
Hinzugekommen ist das reine Auftragsfliegen, bei dem Eurowings die Partner quasi nach Flugstunde bezahlt und das komplette Risiko trägt. Ebenfalls ein Novum ist die intern „Eurowings Shareholder“ genannte Variante, bei der sich die Lufthansa an der Partnerlinie beteiligen kann - und umgekehrt.
Die Zukunft von Eurowings
Wer am Ende für Eurowings fliegt, will Garnadt noch nicht preisgeben. Klar ist nur, die Linien sollen finanziell noch gut genug dastehen, um zuverlässig zu arbeiten. Trotzdem muss sie den Wettbewerb von Billigfliegern so sehr spüren, dass sie mit Eurowings kooperieren will.
Als erste Wahl gilt die belgische Lufthansa-Beteiligung Brussels. Deren Chef Bernard Gustin legte Spohr in den vergangenen Monaten immer wieder die Aufnahme in die Eurowings 2.0 ans Herz. Branchenkenner halten auch Lot aus Polen sowie Condor oder Germania aus Deutschland für mögliche Kandidaten. Infrage kommen auch kleinere Linien wie Croatia Airlines aus Kroatien oder Adria Airways aus Slowenien.
Ob das klappt, bleibt abzuwarten. Zwar haben laut Spohr und Garnadt bereits rund ein Dutzend Linien angeklopft. Doch mit der Zusage tun sich viele schwer. „So interessant das Angebot angesichts der wachsenden Konkurrenz durch Billigflieger auch ist, wir müssten als Eurowings-Partner die eigene Marke fast vollständig aufgeben“, so ein Vorstand einer kleinen europäischen Linie. „Das ist bei aller Not für uns derzeit noch ein zu großes Wagnis.“
Diese Haltung, glauben viele bei der Lufthansa, werden sich die Linien auf Dauer nicht leisten können. Am Ende haben die meisten Airlines nur die Wahl, sich entweder langsam zu Tode zu schrumpfen oder unter dem Dach der Eurowings zu überleben, heißt es auf Vorstandsebene.
Allerdings hat sich die Kranichlinie schon beim Start des neuen Franchisesystems verschätzt. Den hatte Spohr mal für den Herbst angekündigt. Doch es wird wohl später werden. Beim Umbau der Eurowings knirscht es gleich an mehreren Punkten vernehmlich.
So musste Eurowings seit Mai eine dreistellige Zahl von Flügen vorsorglich abgesagt werden, weil die Linie der an vielen Stellen das Personal fehlt. „Wir machen an der Vision null Abstriche“, sagt Karl Garnadt vorsichtig. „Doch bevor wir expandieren, müssen wir zuerst unsere Basis wetterfest machen. Wenn es erst im nächsten Sommer losgehen sollte, wäre das auch wunderbar.“