Lufthansa, Ryanair, Air Berlin & Co. Expansionswahn erweist sich als Fehler für alle

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Hinzu kommen Überkapazitäten. Die vier größten Linien Europas haben 200 neue Jets bestellt – aus Angst, im scheinbar endlosen Aufschwung nicht genug neue Maschinen zu bekommen. Weil die Kaufverträge, anders als bei US-Linien, ein Verschieben der Auslieferung kaum zulassen, vergrößern sie die Flotten, obwohl sie die alten Flieger schon nicht voll bekommen.

Dazu wächst das Angebot, weil die neuen Maschinen in der Regel größer sind als die alten. So lässt die Lufthansa-Billigtochter Eurowings die Zahl der Flieger zwar gleich. Doch sie ersetzt ihre Bombardier-Regionaljets mit bis zu 100 Plätzen durch Airbus-Maschinen mit gut 150 Sitzen, die für viele kleinere Routen wie Düsseldorf–Birmingham oder Hamburg–Oslo zu groß sind, um sie profitabel zu füllen.

Zu guter Letzt plagt die Branche ein Herdentrieb. So setzen derzeit alle Linien auf Billigflieger. Kaum einer sucht nach Nischen wie Air Baltic aus Lettland, der mit einem breiten Angebot längerer Strecken und der Möglichkeit, schnell im Baltikum umzusteigen, eine unerwartete Wiedergeburt gelang.

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Wie im Gleichschritt reagierte die Branche auch auf den Nachfragerückgang nach der Entscheidung der Briten, aus der EU auszusteigen, der die Buchungen etwa bei Easyjet um zehn Prozent sinken ließ. Statt ihre Expansion zu stoppen, bauen sie ihre Kapazitäten aus und schicken ihre Flieger einfach vermehrt nach Mitteleuropa und besonders nach Deutschland, wo sie mangels Nachfrage nicht profitabel gefüllt werden können.

Wie der Brexit den Luftverkehr durcheinander wirbelt
Was bedeutet der Brexit für die einzelnen Beteiligten?Britische Touristen spüren schon in diesem Sommer die Folgen des vorerst nur angekündigten EU-Austritts: Mit ihrem abgewerteten Pfund erhalten sie in Europas Feriengebieten weniger fürs Geld – und die Flugreisen werden wegen des ungünstigen Verhältnisses zur Ölwährung Dollar auch gleich teurer. Die längerfristigen Folgen eines Brexit für die Luftfahrtbranche und damit auch für Passagiere in ganz Europa sind hingegen noch schwer absehbar. Billigfliegern dürfte der Preiskampf künftig schwerer fallen. Quelle: AP
Die BrancheGroßbritannien steht nach Einschätzung des Weltairline-Verbandes IATA vor einem wirtschaftlichen Abschwung, der zusammen mit der Pfund-Abwertung die Zahl der Fluggäste von der und auf die Insel jährlich um 3 bis 5 Prozent schmälern wird. Im Vergleich zum US-Dollar werten Pfund und Euro in der Folge des Brexit eher ab, was zu höheren Belastungen durch die Kerosinrechnung führt. Quelle: REUTERS
Die PassagiereDie wirtschaftlichen Probleme in Großbritannien verringern grundsätzlich den Spielraum der großen Billigflieger für weitere Kampfpreise. Ihr Wachstumskurs wie auch der wettbewerbsbedingte Preisverfall bei den Tickets dürften daher gebremst werden. Doch auch das ist nicht sicher: Ryanair und Co. müssen bei einer schwächeren Nachfrage auf der Insel notgedrungen Flugzeuge auf den Kontinent verlegen, was auch an abgelegenen Zielen für mehr Konkurrenz und sinkende Preise sorgen würde. Die Lufthansa würde mit ihrem Billigableger Eurowings gegenhalten. Deutschland ist aktuell der wichtigste Expansionsmarkt, hat Ryanair-Chef Michael O'Leary betont. 2017 sei es sehr unwahrscheinlich, dass auch nur eines der 50 neuen Flugzeuge in Großbritannien stationiert werde, sagte der Airline-Chef dem „Wall Street Journal“. „Wir werden all unser Wachstum in die Europäische Union umleiten.“ Quelle: AP
Die JuristenAuch im Luftverkehr müssen die rechtlichen Beziehungen neu geordnet werden. Experten stellen in Frage, ob das innerhalb von zwei Jahren erreichbar ist. Das Vereinigte Königreich ist bislang Vollmitglied im weitgehend liberalisierten und vereinheitlichten Luftverkehrsmarkt Europa. Ob britische Gesellschaften auch nach einem Brexit überall in Europa starten und landen dürfen, ist zumindest fraglich. Weltweit üblicher sind Abkommen auf Gegenseitigkeit, die zwischen den EU-Staaten und Großbritannien neu ausgehandelt werden müssten. Die EU hat zudem mit Drittstaaten Luftverkehrsabkommen geschlossen, die für die Briten nicht mehr gelten würden und ebenfalls neu ausgehandelt werden müssten. Ökonomisch wichtig ist hier insbesondere der „Open-Skies“-Vertrag mit den USA. Quelle: REUTERS
Die BilligfliegerKräftige Kursabschläge und die Easyjet-Gewinnwarnung machen klar: Zu den großen Verlierern des Brexit gehören von der ersten Minute an die beiden großen Billigflieger Ryanair und Easyjet, die nach Zahlen des Airline-Verbandes IATA 36 beziehungsweise 49 Prozent ihrer Kapazitäten im Großbritannien-Verkehr einsetzen. Ihre sehr preissensiblen Privatkunden dürften künftig weniger Geld für Flugtickets übrig haben als bislang. Der Chef des weltgrößten Reisekonzerns Tui, Fritz Joussen, bezweifelt jedoch, dass sich die Briten ihre „sehr ausgeprägte Reiselust“ so schnell nehmen lassen. Quelle: DPA
Die BilligfliegerDie Billigflieger haben bislang wie niemand sonst vom einheitlichen europäischen Luftverkehrsmarkt profitiert, in dem sie ohne Einschränkungen in der EU Direktverbindungen etwa von Deutschland nach Spanien angeboten haben. Das wird sich für die irische Ryanair nicht ändern, die britische Easyjet könnte hingegen massive Probleme wegen fehlender Luftverkehrsrechte bekommen. Easyjet müsste sich in Berlin, Brüssel oder Amsterdam möglicherweise auf Flüge von und nach Großbritannien beschränken, statt wie bislang von vielen Städten auf dem Kontinent aus zu Zielen in ganz Europa zu starten. Easyjet-Chefin Carolyn McCall prüft laut Berichten daher die Einrichtung eigener Flugbetriebe (AOC) in anderen EU-Staaten außerhalb Großbritanniens. Quelle: REUTERS
Die FlughäfenBei einem Ausscheiden Großbritanniens drohen nicht nur britischen Airports einschneidende Veränderungen. Während in Deutschland die Drehkreuze Frankfurt und München auf leicht positive Verlagerungseffekte aus London hoffen dürfen, sind beispielsweise Hamburg, Köln oder Berlin auf Ryanair und Easyjet als Kundschaft angewiesen. Der Hauptgeschäftsführer des deutschen Flughafenverbandes ADV, Ralph Beisel, forderte die britischen Airlines im Gespräch mit dem Branchenportal airliners.de bereits auf, „möglichst schnell eine Lösung zu finden“, sofern sie Flughäfen in Deutschland anfliegen. Quelle: DPA

Ein schnelles Ende der Krise ist nicht in Sicht. Zwar richten erste Linien zaghaft ihr Netz neu aus. Norwegian will einige ihrer gut 200 bestellten Flugzeuge außerhalb Europas bei einer neuen Billigtochter auf den niederländischen und französischen Karibikinseln fliegen lassen.

Doch das ist zu wenig. „Die Wende zum Besseren kommt garantiert nicht in ein paar Wochen“, so Analyst Lobbenberg – und rät daher seinen Kunden, alle europäischen Airline-Aktien zu verkaufen.

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