Das soll nun anders werden. Doch wie jede Revolution stößt auch Spohrs Programm intern auf Widerstände. Vergleichbare Großprogramme hatten bei der Lufthansa bislang stets das Ziel, die Kosten zu senken.
Entsprechend schlecht ist ihr Ruf: „Solche Programme haben wir erst ein halbes Jahr diskutiert, dann präsentierte ein Stab von zig Leuten detaillierte Vorgaben, und nach einem weiteren halben Jahr lief dann die Umsetzung. Sind die Ziele erreicht, ist zwei Jahre Ruhe, und alle fallen ins Reformkoma, bis das Ganze von vorn losgeht“, lästert ein hochrangiger Lufthanseat. Den Umbau zum Alltag zu machen ist schwer.
Andrew Muirhead arbeitet daran. Dem Büro des Innovationschefs der Wartungstochter Lufthansa Technik in Hamburg fehlt der konzerntypische Ernst. Es ragt als gelber Würfel ins Treppenhaus des bumerangförmigen Innovationszentrums, zur Dekoration zählen Spielsachen wie rückstandslos fließender kinetischer Sand.
Die sechs größten Baustellen der Lufthansa
13 Mal haben die Piloten der Lufthansa in den vergangenen gut eineinhalb Jahren gestreikt. Die Vereinigung Cockpit sorgt sich, dass die Piloten unter anderem Abstriche Altersvorsorge hinnehmen müssen - und trotzdem immer mehr Jobs aus dem Tarifvertrag ausgelagert werden. Sie liefern dem Konzern deshalb den härteste Arbeitskampf in seiner Geschichte. Das ist nicht der einzige Knatsch mit dem Personal: Die Flugbegleiter von Ufo sind etwas moderater unterwegs, wollen aber auch ihre tariflichen Besitzstände verteidigen.
Carsten Spohr hat die Lufthansa auf eine Strategie mit zwei sehr unterschiedlichen Plattformen festgelegt, die jetzt gerade erst anlaufen. Die Kernmarke Lufthansa soll bei gleichzeitiger Kostensenkung zur ersten Fünf-Sterne-Airline des Westens aufgewertet werden - eine Luxus-Auszeichnung des Fachmagazins Skytrax, die bislang nur Airlines aus Asien und dem Mittleren Osten erreicht haben. Am anderen Ende der Skala steht künftig „Eurowings“, die nur noch als Plattform für die diversen und möglichst kostengünstigen Flugbetriebe des Lufthansa-Konzerns dienen soll. Die ersten Eurowings-Langstrecken ab Köln werden beispielsweise von der deutsch-türkischen Gesellschaft Sunexpress geflogen. Noch komplizierter wird das Angebot durch die Strategie, auf beiden Plattformen jeweils unterschiedliche Service-Pakete anzubieten.
So richtig gut läuft es für die Lufthansa mit ihrem schwierigen Heimatmarkt Zentraleuropa eigentlich nur in den Neben-Geschäftsbereichen Technik und Verpflegung. In ihrem Kerngeschäft der Passagier- und Frachtbeförderung fliegt die Lufthansa unter dem Strich Verluste ein. Spohrs Plan, Wachstum nur noch in kostengünstigen Segmenten stattfinden zu lassen, bedeutet eigentlich einen Schrumpfkurs für die Kerngesellschaft der Lufthansa Passage. Doch den Mitarbeitern wird Wachstum auch dort versprochen.
Sinkende Ticketpreise sind gut für die Passagiere, knabbern andererseits aber an den schmalen Margen der Fluggesellschaften. Bereits im vergangenen Jahr sind die Erlöse auf breiter Front um drei Prozent zurückgegangen. Der zuletzt stark gesunkene Kerosinpreis begünstigt derzeit Gesellschaften, die sich nicht gegen starke Preisschwankungen abgesichert haben. Lufthansa gehört nicht dazu, sondern hat einen Großteil ihres Spritbedarfs für die kommenden zwei Jahre bereits abgesichert und leidet zudem an der ungünstigen Währungsrelation zwischen Euro und Dollar. Um ihre Tickets zu verkaufen, muss sie aber die Kampfpreise der Konkurrenz halten.
In regelmäßigen Abständen verlangt Lufthansa politischen Schutz vor dem angeblich unfairen Wettbewerb durch Fluggesellschaften vom Arabischen Golf. Zuletzt stimmten auch die großen US-Gesellschaften in den Chor ein. Aber es bleibt dabei: Emirates, Qatar Airways und Etihad lenken mit immer größeren Flugzeugen tausende Fluggäste aus Europa über ihre Wüstendrehkreuze und haben bereits weite Teile des Verkehrs nach Südostasien und Ozeanien fest im Griff. Um streitbare Gewerkschaften, hohe Gebühren und Sozialabgaben oder Nachtflugverbote an ihren Heimatbasen müssen sich die Araber keine Gedanken machen. Zudem ändern die europäischen Billigflieger ihr Geschäftsmodell und werden für Geschäftsleute immer attraktiver. So folgt Ryanair dem Vorbild von Easyjet und verlässt die Provinz-Flughäfen. Am Eurowings-Drehkreuz Köln-Bonn treten die Iren demnächst sogar wieder mit Inlandsflügen nach Berlin an.
Auf Hilfe aus Berlin oder Brüssel hat die Lufthansa in den vergangenen Jahren meist vergeblich gewartet. Die nationale Luftverkehrssteuer verteuert Tickets für Flugreisen von deutschen Flughäfen. Sie bietet zudem der europäischen Konkurrenz Anreize, Umsteiger auf die eigenen Drehkreuze zu locken. Grenznah lebende Passagiere können gleich ganz auf ausländische Flughäfen und Airlines ausweichen. Den häufig angemahnten nationalen Luftverkehrsplan gibt es auch immer noch nicht. Dafür unsinnige Subventionen für Regionalflughäfen, die bislang das Geschäftsmodell der Billigflieger gestützt haben.
Vor der Tür hängt ein offenes Bierfass. Das ist kein Ansporn zu abendlichen Partys, sondern Basis für Innovationen bei Lufthansa Technik. Wer eine Idee hat, nimmt sich einen der neben dem Fass liegenden Bierdeckel und beschreibt auf einer Seite ein Problem. Auf der anderen Seite skizziert er dessen Lösung und sagt, wie die Lufthansa so Geld verdienen kann. „Mehr Platz gibt es nicht, so kommt jeder schnell auf den Punkt“, sagt Muirhead.
„Die Lösung ist ...“
Es soll auch an diesem einfachen Konzept liegen, dass die Lufthansa die Zahl neuer Patente in den vergangenen zehn Jahren fast verdoppelt hat.
Die wichtigsten Billigflieger in Deutschland
Transavia
Starts pro Woche: 64
Sitze: 9616
Strecken: 19
Vueling
Starts pro Woche: 67
Sitze: 12.160
Strecken: 11
Aer Lingus
Starts pro Woche: 71
Sitze: 12.354
Strecken: 8
Norwegian Air Shuttle
Starts pro Woche: 106
Sitze: 19.929
Strecken: 33
flybe
Starts pro Woche: 130
Sitze: 10.800
Strecken: 16
Wizz
Starts pro Woche: 208
Sitze: 38.590
Strecken: 73
Easyjet
Starts pro Woche: 531
Sitze: 86.868
Strecken: 90
Ryanair
Starts pro Woche: 1058
Sitze: 199.962
Strecken: 243
Euro-/Germanwings
Starts pro Woche: 2595
Sitze: 390.692
Strecken: 516
Muirhead hat die Abläufe auch jenseits des Bierfasses renoviert. In sein Team holte er neben in der Wolle gefärbten Flugzeugtechnikern auch Meeresbiologen. „Fachfremde trauen sich eher, jene vermeintlich dummen Fragen zu stellen, die uns weiterbringen“, sagt der gebürtige Australier.
Formulierungen wie „Das geht nicht“ oder „Das Problem ist ...“ sind bei Sitzungen verpönt, stattdessen sollen seine Leute lieber „Das geht, wenn ...“ oder „Die Lösung ist ...“ sagen. Meetings mit Tischen und Stühlen hat Muirhead durch Runden auf Sitzsäcken ersetzt.