
Über Nacht den Kontostand der Kunden quasi zu entwerten – wäre die Lufthansa eine Bank, wäre das sicher ein Betrug. Doch ganz so einfach wie es erboste Vielflieger mit ihrer Klage gegen die Lufthansa glauben machen wollen, ist die Angelegenheit nicht. Es ist sicher ein starkes Stück, was sich die Lufthansa da erlaubt hat. Zuerst hat sie Ende 2010 quasi über Nacht die Bedingungen in ihrem Vielfliegerprogramm Miles & More so verschärft, dass die Meilenkonten ihrer Kunden über Nacht einen großen Teil ihres Werts einbüßten. Und laut einer internen E-Mail, die dem Spiegel und der FTD vorliegen, hat die Lufthansa die Sache auch noch bewusst verschleiert „damit die Kunden nicht vorab noch viele Tickets mit den günstigeren Meilenwerten buchen“, wie Spiegel und FTD aus den Mails zitieren.





Aber ist es wirklich ein Verbrechen? Der Kaufkraftverlust durch die Inflation auf den Meilen ist am Ende eher begrenzt. Wenn etwa ein Business-Class-Flug in die USA nach einer mehrjährigen Phase stabiler Preise nun 105.000 Meilen statt 90.000 Meilen kostet ist das ein Sechstel mehr. Dazu trifft der Verlust nun auch keineswegs alle der 21 Millionen Mitglieder von Miles & More, sondern eben nur einen kleinen Teil, der genug fliegt um auf einen sechsstelligen Kontostand zu kommen. Und das sind bestenfalls ein Viertel der Mitglieder und von denen kann ein Gutteil die dienstlich erflogenen Meilen nicht privat verfliegen, weil sie die Guthaben dienstlich nutzen muss.
Der Rest hat am Ende so wenig auf dem Konto, dass es bestenfalls für einen Koffer oder einen Europaflug reicht – und der ist in der Regel mit einem Sonderangebot der Lufthansa oder einem bei einem Billigflieger günstiger. Denn zusätzlich zu den 20.000 bis 30.000 Meilen kassiert die Linie noch Steuern und Kerosinzuschläge von mehr als 100 Euro, wogegen ein Lufthansa-Flug bereits ab 99 Euro zu haben ist.
Gewerbsmäßige Dummheit
Die Meilen-Inflation an sich ist bitter nötig, gerade weil Miles & More so erfolgreich war. Das Programm soll ja im Grunde dafür sorgen, dass Reisende mehr Geld ausgeben als nötig, etwa in dem sie Lufthansa statt Billigflieger nutzen, möglichst spät buchen sowie in Business oder First Class statt Economy reisen, weil all das mehr Meilen bringt. Das Ganze natürlich möglichst auf Kosten des Arbeitgebers oder des Kunden.
Weil die Kunden bei alle dem eine besondere Schlauheit entwickelt haben, sitzt die Lufthansa auf mehr als 200 Milliarden ungenutzter Meilen in Wert von mehrere Milliarden Euro. Um den Betrag kontrolliert abzuschmelzen, arbeitet die Lufthansa wie alle Airlines länger mit Tricks. Sie erlaubt Meilenflüge möglichst nur zu unbeliebten Zeiten und Zielen und bietet den Skyshop genannten Meilenshop mit seinen Geschenken als Ventil. Doch weil das nicht reicht gibt es – wie bei hochverschuldeten Staaten, eben gelegentlich auch ein wenig Inflation.
Doch so wie die Lufthansa die Sache angefasst hat, war es am Ende weniger ein gewerbsmäßiger Betrug als gewerbsmäßige Dummheit. Denn die Lufthansa verärgert ausgerechnet ihre wertvollsten Kunden, die entweder ganz besonders oft fliegen oder besonders teure Tickets buchen. Das aber ist kein Verbrechen.
Nachholbedarf beim Nachzügler
Schlimmer. Es ist ein Fehler. Denn genau diese Klientel bringt der Lufthansa nicht nur den pro Kopf höchsten Umsatz. Es sind die Passagiere, die Lufthansa buchen, weil sie damit schneller am Ziel sind als mit den meist günstigeren Fluglinien vom persischen Golf wie Emirates aus Dubai, Etihad aus Abu Dhabi oder Qatar Airways. Und will die Lufthansa im Fluggeschäft weiter wachsen, muss sie nicht nur radikal die Kosten senken und ihr Produkt verbessern. Sie muss genau diese Gruppe mehr denn je halten und ausbauen – statt durch Maßnahmen wie einen schlechteren Service für Vielflieger ihren Konkurrenten wie Emirates oder British Airways eine Steilvorlage zu liefern.
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Dazu ist gerade das Vielfliegerprogramm ein wichtiges Mittel, wenn es die Lufthansa richtig einsetzt. Denn es lockt die Kunden nicht mit Freiflügen oder Gratisdingen aus dem Skyshop. Es zeigt die Wertschätzung über Privilegien wie Zugang zu Lounges oder besonderem Service in der Fremde. Doch so intelligent die Lufthansa auch in Bereichen wie dem möglichst effizienten Einsatz ihrer Maschinen und dem Management ihrer Preise agiert. In Sachen Kundenbindung zeigt sie so wenig Cleverness wie beim Service, wo sie etwa neue Sitze und Unterhaltungsangebote erst dann einführt, wenn es fast alle Konkurrenten bereits getan haben. Aber dazu müsste die Lufthansa ihre Kunden besser verstehen als sie es tut. Wie groß der Nachholbedarf da ist, zeigt gerade die Meileninflation. Offenbar liegen der Lufthansa und ihrer rationalen Kultur derartig emotionale Dinge nicht so recht.