Gong! Runde 13. Der Kampf zwischen Lufthansa und der Piloten-Gewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC) geht am Dienstag mit einer neuen Streikrunde weiter. Anders als beim Boxen wirkt auch nach dieser Dauer keine der Parteien müde. Zumindest der verbale Schlagabtausch wirkt aggressiver denn je. Leidtragende sind ohnehin vor allem die Passagiere - und andere Lufthansa-Mitarbeiter.
Der neue Streik ist ein Doppelschlag: Ab Dienstag den 8. September von acht bis Mitternacht werden die Piloten der Lufthansa auf Langstreckenflügen aus Deutschland heraus die Arbeit niederlegen. Zudem werden alle Abflüge der Frachtsparte LH Cargo bestreikt. Ein ähnlicher Streik auf der Langstrecke im März traf 18.000 Passagiere.
Piloten-Streiks bei der Lufthansa
Mit einem dreitägigen Streik legen Piloten die Lufthansa praktisch lahm. Schärfster Ausstand der Konzerngeschichte, rund 3800 Flugausfälle, 425.000 Fluggäste sind betroffen.
Streik bei der Lufthansa-Tochter Germanwings. Es fallen 116 Flüge aus, 15.000 Passagiere bekommen die Folgen zu spüren.
Piloten bestreiken Kurz- und Mittelstreckenflüge der Lufthansa von Frankfurt. Gut 200 Flüge und 25.000 Passagiere sind betroffen.
Die Pilotengewerkschaft streikt am Drehkreuz München. 140 Flüge fallen aus, mehr als 15.000 Passagiere haben Nachteile.
Cockpit bestreikt Langstreckenflüge am Drehkreuz Frankfurt. 50 Flüge werden gestrichen, 20.000 Passagiere trifft es.
Nun ist das Streikziel die Frachttochter Lufthansa Cargo. Der zweitägige Ausstand hat laut Unternehmen aber kaum Auswirkungen.
Germanwings wird deutschlandweit bestreikt. Bilanz: 100 Flüge finden nicht statt, es trifft 13.000 Fluggäste.
Ein Streik auf den Kurz- und Mittelstrecken wird einen Tag später auch auf die Langstrecken ausgeweitet. Lufthansa streicht an beiden Tagen über 1500 Flüge, 166.000 Fluggäste haben das Nachsehen.
Deutschlandweiter Streik trifft 1350 Flüge und rund 150.000 Passagiere.
Streik auf Langstrecken- und Frachtmaschinen der Lufthansa, 60 Flüge gestrichen, 12.000 Passagiere betroffen.
Zweitägiger Streik bei Germanwings. Es werden 338 Flüge gestrichen. Es trifft gut 30.000 Passagiere.
Streikaufruf in Etappen. Am ersten Tag sind bei Kurz- und Mittelstreckenflügen der Lufthansa rund 80.000 Passagiere betroffen, am zweiten Tag 18.000 Passagiere auf der Langstrecke sowie die Frachtflüge. Am dritten Tag erneut Mittel- und Langstreckenflüge.
Die Piloten erklären die im Mai begonnene Schlichtung für gescheitert. Drei Wochen später bieten sie dem Konzern Einsparungen von mehr als 400 Millionen Euro, um die Verlagerung von Arbeitsplätzen zu verhindern. Streiken wollen sie vorerst nicht.
Lufthansa-Chef Spohr bewertet die Vorschläge der Gewerkschaft positiv, die beiden Lager scheinen sich anzunähern.
Für die Pilotengewerkschaft sind die Gespräche gescheitert. Streiks sind wieder möglich.
Die Piloten der Lufthansa treten erneut in den Streik. Betroffen sind zunächst alle Langstreckenverbindungen aus Deutschland. Zusätzlich werden alle Abflüge der Lufthansa Cargo aus Deutschland bestreikt. Am Abend kündigt die Pilotengewerkschaft VC eine Verlängerung des Streikes an.
Diesmal wird von den Piloten auch der Kurz- und Mittelstreckenverkehr bestreikt. Hier ist die Zahl der Maschinen wesentlich höher als im Interkontinentalverkehr.
Lufthansa selbst hat sich bereits in den mittlerweile gut erprobten Streik-Modus begeben: Von den rund 170 Langstreckenflüge am Dienstag können nach Angaben des Konzerns 90 verkehren. 84 werden gestrichen. Schon am Montag müssen allerdings einzelne Interkontinentalflüge annuliert werden. "Fluggäste, deren Flug streikbedingt gestrichen wird, haben die Möglichkeit, ihren Flug kostenfrei umzubuchen oder den Flug kostenfrei zu stornieren", teilte das Unternehmen mit.
Nach Konzern-Angaben fällt am Dienstag zumindest kein Frachtflug aus. Die sieben Flugzeuge verkehrten wie geplant, sagte ein Sprecher der 100-prozentigen Lufthansa-Tochter am Montag in Frankfurt. Es sei dem Unternehmen gelungen, die notwendigen Ersatz-Crews zu finden.
Dass das Luftfahrt-Unternehmen den Forderungen der Piloten nicht einfach nachgeben wird, hatte dessen Chef bereits vergangene Woche klar gemacht. “Ich hoffe, es wird keine neuen Streiks geben”, sagte Carsten Spohr nach den ersten Drohungen der VC. “Aber wenn wir das durchstehen müssen, um das Unternehmen fit für die Zukunft zu machen, dann werden wir das tun", sagte er am Mittwoch, wissend, dass die zwölf Streikrunden seit April 2014 sein Unternehmen mehr als 330 Millionen Euro gekostet und dem Image geschadet haben.
Umfassendes Paket weckte Hoffnungen
Die Haltung der Geschäftsleitung sei unverständlich, "als die weitreichenden Zugeständnisse des Cockpitpersonals in die Zeit eines prognostizierten Rekordergebnisses von mehr als 1,75 Milliarden Euro im laufenden Geschäftsjahr und des wirtschaftlich besten Sommers in der Unternehmensgeschichte fallen", kontert derweil VC-Sprecher Markus Wahl.
Zwei Sätze, die deutlich machen, wie verhärtet die Fronten zwischen Unternehmen und Lufthansa noch immer sind - trotz wochenlanger Gespräche. Dabei waren die lange positiv gelaufen. Der Ansatz, alle Streitpunkte in einem umfassenden Paket zu klären, schien aufzugehen. Pilotengewerkschafter und Unternehmens-Vertreter freuten sich gleichermaßen über Fortschritte. Es gebe neue gemeinsame Schnittmengen, hieß es in der Branche.
Nach eigenen Angaben hat die Vereinigung Cockpit der Lufthansa “ein Gesamtpaket mit weitreichenden Zugeständnissen im Wert von über 500 Millionen Euro” angeboten. Bei dem Ringen um Personalkosten und Alterssicherung für die Piloten war eine Einigung offenbar so nahe wie lange nicht.
Welche Rechte Fluggäste bei Streik haben
Die Verbraucherzentrale NRW erklärt, welche Rechte betroffene Fluggäste haben.
Die Airline muss laut EU-Verordnung einen Ersatzflug zum nächstmöglichen Zeitpunkt anbieten. Alternativ können Fluggäste bei Annullierung des Flugs vom Luftbeförderungsvertrag zurücktreten und sich den Flugpreis erstatten lassen.
Bei Ausgleichszahlungen ist die Lage strittig. Nach bislang überwiegender Ansicht gelten Streiks als "außergewöhnliche Umstände", und dann braucht die Fluggesellschaft nicht zu zahlen.
Findet der Flug verspätet statt, sichert die europäische Fluggastrechte-Verordnung folgende Rechte zu: Anspruch auf kostenlose Betreuung besteht ab zwei Stunden Verzögerung bei Kurzstrecken (bis 1500 km), ab drei Stunden bei Mittelstrecken (bis 3500 km) und ab vier Stunden bei Langstrecken. Die Airline muss dann für Mahlzeiten, Erfrischungen, zwei Telefongespräche, Telexe, Faxe oder E-Mails sowie eventuell notwendige Hotelübernachtungen (falls sich der Flug um einen Tag verschiebt) samt Transfer sorgen.
Wollen die Fluggäste die Reise bei einer mehr als fünfstündigen Verspätung nicht mehr antreten, können sie ihr Geld zurückverlangen.
Der Reiseveranstalter ist der erste Ansprechpartner, wenn der ausfallende Flug Teil einer Pauschalreise ist. Auch der Veranstalter hat die Pflicht, schnellstmöglich für eine Ersatzbeförderung zu sorgen.
Erst, wenn der Flieger mehr als vier Stunden verspätet ist, kann je nach Flugstrecke ein Reisemangel vorliegen. Dann können für jede weitere Verspätungsstunde fünf Prozent des Tagesreisepreises vom Veranstalter zurückverlangt werden.
Wenn durch den Streik Reiseleistungen ausgefallen sind, haben Urlauber die Möglichkeit, nach ihrer Rückkehr den Preis der Reise zu mindern.
Doch der Kernkonflikt hat sich verschoben. Ein Stück weit weg von den Einzelschicksalen der Piloten, die vorzeitig in den Ruhestand gehen wollen, hin zum Ringen um die Grundausrichtung von Europas größter Airline.
Vor dem für Herbst anvisierten Start der Billigtochter Eurowings hat die Lufthansa begonnen, Flieger auszuflaggen - zum Beispiel nach Wien. Der Konzern verschiebt die Flugzeuge zur Low-Cost-Linie ins Ausland. Und mit ihnen die Arbeitsplätze der Piloten.
Das Problem aus VC-Sicht: Eurowings-Piloten werden deutlich schlechter bezahlt als die Lufthansa-Kapitäne. Kleines Rechenbeispiel: Ein Pilot der Lufthansa-Passage stieg bislang mit 136.000 Euro Grundgehalt ein, nach zehn Jahren stieg es auf 189.000 Euro. Bei Eurowings verdient ein Flugkapitän zunächst 78.000 Euro und nach sechs Jahren 102.000 Euro.
Vereinigung Cockpit in der Kritik
Und ganz grundsätzlich gilt bei Eurowings nicht mehr der - sehr gute - Lufthansa-Tarif. Und so erhebt die Vereinigung Cockpit den Konflikt denn auch zur Grundsatzdebatte über die Zukunft des Personals. "Lufthansa beherrscht als Fast-Monopolist den Arbeitsmarkt für Piloten in Deutschland, Österreich und der Schweiz", sagt VC-Sprecher Wahl. "Um nicht einem Tarifdiktat unterworfen zu sein, sind entsprechend starke Gewerkschaften notwendig."
Doch was die Vereinigung Cockpit als “aggressive Tarifflucht” bezeichnet, ist Kernbestandteil von Spohrs Strategie, die Lufthansa zukunftssicher zu machen. Obwohl der Lufthansa-Chef noch in der vergangenen Woche den "besten Sommer überhaupt" bejubelte, ist klar, dass er das Unternehmen neu aufstellen muss.
Die einst stolze Kranichlinie ist eingekeilt im Wettbewerb mit den Airlines vom Golf auf der Lang- und den Billigfliegern auf der Kurzstrecke. Einen aggressiven Preiskampf mit den Angreifern kann sich der Konzern kaum erlauben, unter anderem weil die Personalkosten höher sind.
An einem Sparkonzept - und dessen Weiterdreh, der Billigtochter Eurowings führt aus Spohrs Sicht kein Weg vorbei. "Es geht nicht anders", erklärte er noch vor wenigen Tagen. "Wir müssen, um die Führungsrolle zu erhalten und nicht von Low-Cost-Carriern verdrängt zu werden, unsere Kostensituation auf das Niveau der Wettbewerber bringen."
Die Personalkosten der Fluggesellschaften
Bei der deutschen Lufthansa machten die Personalkosten im Geschäftsjahr 2014 23 Prozent der Ausgaben aus: Sage und schreibe 7335 Millionen Euro investierte die Fluglinie in ihre Mitarbeiter.
Quelle: Handelsblatt
Stand: September 2015
Prozentual gibt Air France-KLM mehr Geld fürs Personal aus als Lufthansa: 29 Prozent der Gesamtausgaben fließen in die Bezahlung der Angestellten. In absoluten Zahlen sieht das etwas anders aus: Die Personalkosten betrugen im Geschäftsjahr 2014 7136 Millionen Euro.
IAG, zu der British Airways und Iberia gehören, gab 2014 rund 4325 Millionen Euro für Piloten, Servicepersonal und weitere Mitarbeiter aus. Anteilig an den Gesamtausgaben des Geschäftsjahrs genauso viel wie die Lufthansa: 23 Prozent.
Ohne die Service-Tochter Dnata gab die arabische Fluggesellschaft 2431 Millionen Euro für ihre Angestellten aus. Damit machten Lohnkosten u. ä. lediglich 14 Prozent der Gesamtausgaben des Geschäftsjahrs 2014 aus.
16 Prozent der Gesamtausgaben von Turkish Airlines waren im Geschäftsjahr 2014 Personalkosten. In absoluten Zahlen: 1275 Millionen Euro.
Air Berlin gab 2014 524 Millionen Euro fürs Personal aus - 12 Prozent der Gesamtausgaben.
Ryanair hat günstiges Personal: lediglich 11 Prozent der Gesamtausgaben wurden 2014 in die Mitarbeiter investiert. 502 Millionen Euro waren es aber immerhin.
Auch Easyjet hält die Personalkosten relativ gering: 594 Millionen Euro (12 Prozent der Gesamtausgaben) wurden 2014 in die Mitarbeiter investiert.
Die Äußerung lässt wenig Platz für Spielraum. Schon in der Vergangenheit hatte die Lufthansa kein Interesse daran gezeigt, das Konzept “Eurowings” mit der Gewerkschaft zu diskutieren. Das sei Unternehmensstrategie und nicht Teil der Tarifverhandlungen, hieß es stets ziemlich deutlich.
Dass die Lufthansa im Punkt Eurowings also nicht mit sich reden lassen wird, ist eigentlich klar. Die Gewerkschaft des Kabinenpersonals, UFO, hatte in der vergangenen Woche erklärt, dass man die Einstellung des Eurowings-Projekts als Bedingung für Verhandlungen "guten Gewissens als unrealistisch bezeichnen" könne.
UFO warf den Piloten vor, sogar vor mit ihren starren Forderungen und unnötigen Eskalationen Arbeitsplätze in Gefahr zu bringen. "Auch UFO hat die Erfahrung gemacht, dass es momentan schwierig ist, tragfähige und dauerhafte Ergebnisse mit der Lufthansa zu finden”, heißt es in einem Schreiben. Die Kabinengewerkschaft sei allerdings davon überzeugt, “dass der Versuch am Verhandlungstisch und nicht nur auf der Straße unternommen werden muss".