Die Kabinengewerkschaft Ufo verzichte nach einer Annäherung in dem Tarifkonflikt vorerst auf einen Ausstand, sagte deren Chef Nicoley Baublies in der Nacht auf Dienstag. Die Gewerkschaft werde nun in weitere Gespräche mit dem Management und auch dem Konzernvorstand eintreten, „um zu gucken, wie wir das Ganze vertieft kriegen“. Wenn dies nicht erfolgreich verlaufe, „das wird sich Mitte Juli zeigen, dann kann es danach auch tatsächlich wieder zu Arbeitskämpfen kommen“.
Die Lufthansa begrüßte die Rückkehr an den Verhandlungstisch. Man habe ein neues Angebot vorgelegt, dessen Inhalt in der Nacht zu Dienstag ausgehandelt worden sei, sagte ein Unternehmenssprecher.
Die Sparprogramme der Lufthansa
Nach dem Golfkrieg Anfang der neunziger Jahre brach der Luftverkehr ein und die Lufthansa rutschte wegen zu hoher Kosten und Überkapazitäten an den Rand der Pleite. So startete der 1991 zum Vorstandschef gewählte Jürgen Webers sein erstes Sparprogramm, bei dem er mit Zustimmung der Gewerkschaften 8000 Stellen abbaute. Das Programm war ein Erfolg, nicht zuletzt, weil es die Lufthansa zur Schicksalsgemeinschaft machte und die Arbeit im Sparteam die späteren Konzernchefs Wolfgang Mayrhuber und Christoph Franz zu engen Vertrauten machte.
Trotz der Erfolge der Sanierung knickte der Lufthansa-Gewinn 1996 wieder ein. Die nach wie vor zu hohen Kosten sollte das Programm 15 drücken, von 17 Pfennigen um einen Passagier einen Kilometer weit zu transportieren auf höchstens 15, was einer Einsparung von einer Milliarde Mark oder fünf Prozent des Umsatzes entsprach. Das Programm erreichte das Sparziel eine Milliarde, doch am Ende scheiterte es, weil andere Kosten die Lufthansa wieder zu einem der teuersten Anbieter der Branche machte.
Trotz boomender Wirtschaft sanken Ende der neunziger Jahre die Lufthansa-Gewinne, nicht zuletzt wegen der wachsenden Konkurrenz durch Billigflieger. Darum sollte Operational Excellence nicht nur die Kosten senken, sondern auch die Qualität und besonders die Pünktlichkeit steigern, damit die Lufthansa ihre höheren Preise rechtfertigen konnte. In Sachen Pünktlichkeit half das Programm. Doch zum Qualitätsführer machte es Lufthansa nicht, nicht zuletzt, weil der Bordservice trotz hoher Investitionen unter dem Branchenstandard blieb.
Noch vor dem Ende des New Economy-Booms sackte 2000 der Lufthansa-Gewinn. Weil bisherige Sparprogramme kaum langfristig wirkten, wollte Konzernchef-Jürgen Weber mit D-Check – benannt nach der Generalüberholung eines Flugzeugs – die Arbeitsweise des Unternehmen verändern und die Kosten nachhaltig um eine Milliarde Euro senken. Nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 kam D-Check akut und wurde dank Streckenstreichungen und Lohnzugeständnissen von gut 200 Millionen Euro mit fast 1,5 Milliarden Euro Ersparnis das einzige erfolgreiche Sparprogramm des Jahrzehnts.
Kaum im Amt musste der neue Konzernchef Wolfgang Mayrhuber nach Krisen wie dem Nachfrageeinbruch durch die Lungenseuche Sars in China für das Jahr 2003 einen erneuten Gewinneinbruch verkünden und wollte mit dem Aktionsplan die Kosten um 1,2 Milliarden Euro senken. Parallel dazu versuchte die Lufthansa ihren Europaverkehr im Rahmen von „Zukunft Kont“ neu und effizienter zu organisieren. Am Ende fehlte dem Programm die klare Linie und weil Flughäfen und anderen Lieferanten kaum Sparbeiträge lieferten, blieb es unter den Erwartungen.
Nach dem wenig erfolgreichen Aktionsplan rückte die Lufthansa in der nächsten Effizienzrunde wieder die Qualitätsverbesserung nach vorne. Doch das komplette „Upgrade to Industrie Leadership“ genannte Programm verpuffte, nicht zuletzt, weil in der 2008 beginnenden Finanzkrise den Kunden und besonders Geschäftsreisenden Qualität weniger wichtig war als ein guter Preis. Darunter litt besonders die Lufthansa, deren Service besonders im Vergleich zu Wettbewerbern wie Emirates eher dürftig ausfällt.
Nach dem Misserfolg des Qualitätsprogramm Upgrade startete Christoph Franz seine Zeit als Chef das Fluggeschäfts mit einem klassischen Sparprogramm. Auch weil es erstmals Entlassungen androhte und einen – Hochverrats verdächtigen - Umbau der Europaflüge in Richtung der Billigflieger vorschlug, musste Franz zurück rudern. Doch weil der Spardruck bleib und der Versuch den Einkauf im Konzern zu zentralisieren, grandios scheiterte, bleib am Ende eine magere Ersparnis von gut 600 Millionen - und an der unzeitgemäß aufwändigen Arbeitsweise änderte sich nichts.
Kaum Konzernchef, kündigte Christoph Franz den in drei wirkungslosen Sparrunden vermiedenen Komplettumbau an: mit zuvor unvorstellbaren Dingen wie Entlassungen, Entmachtung der Konzerntöchter zu Gunsten der Zentrale und dem Übergang der tiefroten Europafliegerei zur Billigtochter Germanwings. Die Aussichten sind gut, weil Franz Erfolge vorsichtig feiert, die Führung durch konzernfremde Manager ergänzte, der ganze Vorstand in Workshops für das Programm wirbt - und Franz beim Umbau der Tochter Austrian zeigte, dass er noch radikalere Dinge wie ein Ausflaggen nicht fürchtet.
Grund für die Absage: Die Lufthansa sei Ufo in allen wichtigen Punkten so weit entgegengekommen, dass Tarifverhandlungen wieder aufgenommen werden könnten. Zudem habe sich Konzernchef Carsten Spohr wie von den Arbeitnehmervertretern lange gefordert mit an den Verhandlungstisch gesetzt, erklärte Ufo. Die Lufthansa bestätigte die vorläufige Einigung auf weitere Gespräche.
Ufo und Lufthansa hatten sich bis Dienstagmorgen (9 Uhr) Zeit gegeben, um eine Annäherung zu erzielen. Dann sollte die Entscheidung über Arbeitsniederlegungen der Flugbegleiter fallen, das Unternehmen wollte gegebenenfalls einen Sonderflugplan aufstellen. Die Gewerkschaft hatte zuletzt mit immer wieder aufflammenden Streiks von Mittwoch bis weit in den September gedroht.
Das Unternehmen und Ufo hatten am Montag intensive Sondierungsgespräche bestätigt, um zu einer neuen Verhandlungsgrundlage zu kommen. Die Lufthansa habe ein „deutlich verbessertes Angebot abgegeben“, sagte Baublies. „Wir müssen jetzt dann in den Verhandlungen in den nächsten Wochen gucken, ob es dann wirklich auch so weit trägt, dass etwas unterschrieben werden kann, was tatsächlich ein Tarifvertrag ist, der dauerhaft die Streiks abwendet.“ Zu den konkreten Inhalten will sich Ufo am Dienstagmittag äußern.
Welche Rechte Fluggäste bei Streik haben
Die Verbraucherzentrale NRW erklärt, welche Rechte betroffene Fluggäste haben.
Die Airline muss laut EU-Verordnung einen Ersatzflug zum nächstmöglichen Zeitpunkt anbieten. Alternativ können Fluggäste bei Annullierung des Flugs vom Luftbeförderungsvertrag zurücktreten und sich den Flugpreis erstatten lassen.
Bei Ausgleichszahlungen ist die Lage strittig. Nach bislang überwiegender Ansicht gelten Streiks als "außergewöhnliche Umstände", und dann braucht die Fluggesellschaft nicht zu zahlen.
Findet der Flug verspätet statt, sichert die europäische Fluggastrechte-Verordnung folgende Rechte zu: Anspruch auf kostenlose Betreuung besteht ab zwei Stunden Verzögerung bei Kurzstrecken (bis 1500 km), ab drei Stunden bei Mittelstrecken (bis 3500 km) und ab vier Stunden bei Langstrecken. Die Airline muss dann für Mahlzeiten, Erfrischungen, zwei Telefongespräche, Telexe, Faxe oder E-Mails sowie eventuell notwendige Hotelübernachtungen (falls sich der Flug um einen Tag verschiebt) samt Transfer sorgen.
Wollen die Fluggäste die Reise bei einer mehr als fünfstündigen Verspätung nicht mehr antreten, können sie ihr Geld zurückverlangen.
Der Reiseveranstalter ist der erste Ansprechpartner, wenn der ausfallende Flug Teil einer Pauschalreise ist. Auch der Veranstalter hat die Pflicht, schnellstmöglich für eine Ersatzbeförderung zu sorgen.
Erst, wenn der Flieger mehr als vier Stunden verspätet ist, kann je nach Flugstrecke ein Reisemangel vorliegen. Dann können für jede weitere Verspätungsstunde fünf Prozent des Tagesreisepreises vom Veranstalter zurückverlangt werden.
Wenn durch den Streik Reiseleistungen ausgefallen sind, haben Urlauber die Möglichkeit, nach ihrer Rückkehr den Preis der Reise zu mindern.
Beigelegt ist der Tarifclinch damit aus Ufo-Sicht aber noch nicht: Erst wenn es belastbare Fortschritte in den Verhandlungen gebe, könnten Streiks endgültig ausgeschlossen werden.
Die Gewerkschaft, die 19.000 Lufthansa-Flugbegleiter vertritt, kämpft für die Beibehaltung der bisherigen Betriebsrente. Die Verhandlungen über einen neuen Tarifvertrag wurden erst kürzlich nach einem Jahr abgebrochen. Gleichzeitig drohte Ufo mit einer massiven Streikwelle in der Hauptreisezeit im Sommer.
Ufo lieferte der Lufthansa zuletzt vor knapp drei Jahren einen Arbeitskampf. Im jetzigen Konflikt geht es um die Strategie des Dax-Konzerns und um die Tarifverträge für die Altersversorgung der Flugbegleiter - letztere kündigte die Lufthansa Ende 2013. Dem Unternehmen zufolge ist das bisherige System wegen der niedrigen Zinsen an den Kapitalmärkten und längeren Rentenzeiten nicht mehr bezahlbar. Eingeführt werden soll deshalb eine Vorsorge, bei der die Mitarbeiter stärker in die Finanzierung eingebunden sind.
Konzernchef Spohr will zudem, dass Flugbegleiter, die bereits mit 55 Jahren in Vorruhestand gehen wollen, künftig weniger Geld erhalten. Die Lufthansa gab voriges Jahr rund 3,7 Milliarden Euro aus, um die Renten der Kabinenmitarbeiter zu finanzieren. Neben der Altersversorgung pocht Ufo auf acht Prozent mehr Lohn für zwei Jahre. Die Lufthansa bietet ein Gehaltsplus von 2,5 Prozent über zweieinhalb Jahre.