Von den führenden Lufthansa-Managern könnte sich Peter Gerber noch am ehesten zurücklehnen. In seinem ersten Jahr als Chef des Cargo genannten Frachtgeschäfts meldete er für 2014 und das erste Quartal 2015 steigende Gewinne.
Tatsächlich aber hat der 51-Jährige den wohl kniffligsten Job in der Lufthansa-Führung, der auch seine Erfahrung als Schach-Profi auf Bundesliganiveau fordert. Der rotblonde Hesse muss seine Strategie ständig nach unerwarteten Zügen der Gegner anpassen. Das gilt nicht zuletzt auch für die eigene Muttergesellschaft, die Gerber etwa über einen Investitionsstopp seine wichtigsten Spielfiguren vom Brett genommen hat.
Die sechs größten Baustellen der Lufthansa
13 Mal haben die Piloten der Lufthansa in den vergangenen gut eineinhalb Jahren gestreikt. Die Vereinigung Cockpit sorgt sich, dass die Piloten unter anderem Abstriche Altersvorsorge hinnehmen müssen - und trotzdem immer mehr Jobs aus dem Tarifvertrag ausgelagert werden. Sie liefern dem Konzern deshalb den härteste Arbeitskampf in seiner Geschichte. Das ist nicht der einzige Knatsch mit dem Personal: Die Flugbegleiter von Ufo sind etwas moderater unterwegs, wollen aber auch ihre tariflichen Besitzstände verteidigen.
Carsten Spohr hat die Lufthansa auf eine Strategie mit zwei sehr unterschiedlichen Plattformen festgelegt, die jetzt gerade erst anlaufen. Die Kernmarke Lufthansa soll bei gleichzeitiger Kostensenkung zur ersten Fünf-Sterne-Airline des Westens aufgewertet werden - eine Luxus-Auszeichnung des Fachmagazins Skytrax, die bislang nur Airlines aus Asien und dem Mittleren Osten erreicht haben. Am anderen Ende der Skala steht künftig „Eurowings“, die nur noch als Plattform für die diversen und möglichst kostengünstigen Flugbetriebe des Lufthansa-Konzerns dienen soll. Die ersten Eurowings-Langstrecken ab Köln werden beispielsweise von der deutsch-türkischen Gesellschaft Sunexpress geflogen. Noch komplizierter wird das Angebot durch die Strategie, auf beiden Plattformen jeweils unterschiedliche Service-Pakete anzubieten.
So richtig gut läuft es für die Lufthansa mit ihrem schwierigen Heimatmarkt Zentraleuropa eigentlich nur in den Neben-Geschäftsbereichen Technik und Verpflegung. In ihrem Kerngeschäft der Passagier- und Frachtbeförderung fliegt die Lufthansa unter dem Strich Verluste ein. Spohrs Plan, Wachstum nur noch in kostengünstigen Segmenten stattfinden zu lassen, bedeutet eigentlich einen Schrumpfkurs für die Kerngesellschaft der Lufthansa Passage. Doch den Mitarbeitern wird Wachstum auch dort versprochen.
Sinkende Ticketpreise sind gut für die Passagiere, knabbern andererseits aber an den schmalen Margen der Fluggesellschaften. Bereits im vergangenen Jahr sind die Erlöse auf breiter Front um drei Prozent zurückgegangen. Der zuletzt stark gesunkene Kerosinpreis begünstigt derzeit Gesellschaften, die sich nicht gegen starke Preisschwankungen abgesichert haben. Lufthansa gehört nicht dazu, sondern hat einen Großteil ihres Spritbedarfs für die kommenden zwei Jahre bereits abgesichert und leidet zudem an der ungünstigen Währungsrelation zwischen Euro und Dollar. Um ihre Tickets zu verkaufen, muss sie aber die Kampfpreise der Konkurrenz halten.
In regelmäßigen Abständen verlangt Lufthansa politischen Schutz vor dem angeblich unfairen Wettbewerb durch Fluggesellschaften vom Arabischen Golf. Zuletzt stimmten auch die großen US-Gesellschaften in den Chor ein. Aber es bleibt dabei: Emirates, Qatar Airways und Etihad lenken mit immer größeren Flugzeugen tausende Fluggäste aus Europa über ihre Wüstendrehkreuze und haben bereits weite Teile des Verkehrs nach Südostasien und Ozeanien fest im Griff. Um streitbare Gewerkschaften, hohe Gebühren und Sozialabgaben oder Nachtflugverbote an ihren Heimatbasen müssen sich die Araber keine Gedanken machen. Zudem ändern die europäischen Billigflieger ihr Geschäftsmodell und werden für Geschäftsleute immer attraktiver. So folgt Ryanair dem Vorbild von Easyjet und verlässt die Provinz-Flughäfen. Am Eurowings-Drehkreuz Köln-Bonn treten die Iren demnächst sogar wieder mit Inlandsflügen nach Berlin an.
Auf Hilfe aus Berlin oder Brüssel hat die Lufthansa in den vergangenen Jahren meist vergeblich gewartet. Die nationale Luftverkehrssteuer verteuert Tickets für Flugreisen von deutschen Flughäfen. Sie bietet zudem der europäischen Konkurrenz Anreize, Umsteiger auf die eigenen Drehkreuze zu locken. Grenznah lebende Passagiere können gleich ganz auf ausländische Flughäfen und Airlines ausweichen. Den häufig angemahnten nationalen Luftverkehrsplan gibt es auch immer noch nicht. Dafür unsinnige Subventionen für Regionalflughäfen, die bislang das Geschäftsmodell der Billigflieger gestützt haben.
Anders als das Passagiergeschäft kämpft die Flug-Logistik der Lufthansa (LH) trotz aktueller Erfolge um nicht weniger als ihre Zukunft. „Die Luftfracht ist ein undankbares Geschäft und extrem abhängig von der Konjunktur“, sagt Unternehmensberater Richard Vahrenkamp, der auch als Professor an der Universität Kassel über die Branche forschte. „Die Konkurrenz ist stärker, die Erträge kleiner und die Wachstumsaussichten sind schlechter als bei der Passage“, sagt Rene Steinhaus, Branchenspezialist der Beratung A.T. Kearney mit Sitz in Berlin.
Top 10 Fluglinien nach der Anzahl der Passagiere weltweit
Air China
Anzahl der Passagiere im Jahr 2014: 54,58 Millionen
Quelle: IATA / STATISTA
Lufthansa
Anzahl der Passagiere im Jahr 2014: 59,85 Millionen
Easyjet
Anzahl der Passagiere im Jahr 2014: 62,31 Millionen
China Eastern Airlines
Anzahl der Passagiere im Jahr 2014: 66,17 Millionen
Ryanair
Anzahl der Passagiere im Jahr 2013: 86,37 Millionen
American Airlines
Anzahl der Passagiere im Jahr 2014: 87,83 Millionen
United Airlines
Anzahl der Passagiere im Jahr 2014: 90,44 Millionen
China Southern Airlines
Anzahl der Passagiere im Jahr 2014: 100,68 Millionen
Southwest Airlines
Anzahl der Passagiere im Jahr 2014: 129,09 Millionen
Delta Air Lines
Anzahl der Passagiere im Jahr 2014: 129,43 Millionen
Für Druck sorgen wie im Passagierverkehr die LH-intern „GoBo“ abgekürzten Golf-Bosporus-Linien wie Emirates, Etihad, Qatar Airways und Turkish Airlines. Sie haben mit bald 60 reinen Frachtfliegern nicht nur mehr als alle europäischen Airlines zu ihren besten Zeiten zusammen.
Auch ihre fast 800 Passagierjets – weitere 500 sind bestellt – sind in der Regel größer als die der europäischen Airlines und bieten damit massig Platz für Paletten. Platz, den sie dank niedriger Kosten billiger anbieten als LH und Co.
Und weil ihre Flughäfen rund um die Uhr offen sind, liefern sie eilige Ware trotz Zwischenstopps am Golf fast genauso schnell von Europa nach Asien wie die Lufthansa, deren Frachter wegen der Nachtflugverbote nicht nach dem Ende der Spätschicht in den Fabriken starten können. „Hieß es früher am Airport: ,Die Nacht gehört der Fracht‘, gilt jetzt: ,Die Nacht sinkt über die Fracht‘“, übt sich ein Lufthanseat in Galgenhumor.