WirtschaftsWoche: Frau Mair-Huydts, im Buchhandel stehen Reiseführer regalmeterweise, aber braucht man heutzutage wirklich noch gedrucktes Material, wenn man wegfährt?
Mair-Huydts: Offenbar mehr denn je. Wir haben selbst den Markt vor fünf Jahren nicht so optimistisch eingeschätzt. Aber in diesem Zeitraum gab es im Printbereich nach Angaben von Media Control jährliche Marktzuwächse von sechs Prozent.
Wie erklären Sie sich das?
Apps, Bücher, Internet – der Leser nutzt alle Wege, sich zu informieren, und nimmt am Ende immer noch was Gedrucktes mit.
Wie wird sich der Markt in Deutschland in den kommenden fünf Jahren entwickeln?
Der Reiseführermarkt Print wächst weiter moderat. Momentan haben wir mehr als 50 Prozent Marktanteil und streben 60 Prozent an. Der digitale Markt ist schwerer abzugrenzen, da spielt MairDuMont auf dem gleichen Terrain wie Google, Tripadvisor und andere internationale Player. Wir wollen unseren Digitalumsatz mit E-Books, Apps, Mediaumsätzen, E-Commerce und Inhalte-Vertrieb stark ausbauen.
Wie verändert das Internet Ihr Geschäft?
Es ist durch den technischen Wandel vielfältiger, aber auch komplexer geworden.
Zur Person
Mair-Huydts, 51, ist Enkelin von Gründer Kurt Mair und seit 2010 Sprecherin der Geschäftsführung von MairDuMont. Der Marktführer für deutschsprachige Reiseführer mit Sitz in Ostfildern bei Stuttgart setzt mit 400 Mitarbeitern 100 Millionen Euro um. Zu den Marken zählen Marco Polo, Baedeker, Falk und DuMont. Die promovierte Ökonomin ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Inwiefern?
Wir müssen uns zum Medienhaus wandeln. In den vergangenen fünf Jahren haben wir für die Vernetzung von Print und Online technische Strukturen und Datenbanken aufgebaut und dafür einen siebenstelligen Betrag investiert. Aber die Technik nützt nichts, wenn nicht auch die Mitarbeiter vernetzt denken. Wenn wir etwa in einem Reiseführer einen Aussichtspunkt auf einem Berg in China beschreiben, müssen Mitarbeiter und Autor im Kopf haben, dass dieser auch geocodiert werden muss – nicht leicht ohne genaue Adresse. Auch die Öffnungs-Angabe zu einer Kirche in Griechenland „den Schlüssel können Sie im Sommer bis Sonnenuntergang in der Taverne gegenüber abholen“ ist nicht ganz einfach in eine Datenbankstruktur zu übersetzen.
Amazon hat angekündigt, ein eigenes Verlagsgeschäft aufzubauen. Macht Ihnen diese Ankündigung Angst?
Nein. In unserem Segment Reiseinformation geht es nur zu einem ganz kleinen Teil darum, Informationen digital und online verfügbar zu machen. Unser Know-how liegt darin, die richtige Mischung aus Text, Bildern, Karten und Grafiken für den Reisenden zusammenzustellen, und dies immer aktuell zu vielen Destinationen.
Wo sehen Sie denn negative Tendenzen und Herausforderungen?
Der Bereich Kartografie ist rückläufig, auch wenn wir jedes Jahr immer noch fünf Millionen Karten verkaufen. Aber die Leute kaufen heute kaum mehr einen Shell Autoatlas, wie wir ihn auch verlegen, sondern verlassen sich auf das Navigationsgerät. Das ist zwar ein Fehler, wenn man sich verfährt (lacht), aber das ist Fakt. In diesem Bereich, der unsere Keimzelle war, mussten wir leider in den vergangenen Jahren Stellen streichen. Zu besten Zeiten hatten wir 100 Kartografen, heute sind es noch 22. Wir müssen uns dem schrumpfenden Markt anpassen.
"Mit dem Kontrollverlust leben lernen"
Und wo wollen Sie stattdessen wachsen?
In Deutschland wird das Erobern weiterer Marktanteile schwieriger. Darum sind wir vor drei Jahren nach England gegangen. Es ist nicht so einfach, Fuß zu fassen in einem Markt ohne Buchpreisbindung, dominiert von Lonely Planet und Dorling Kindersley. Aber wir haben es dort mit unserer Marke Marco Polo auf Platz drei geschafft. Unser neuestes Abenteuer heißt China. Das stellt uns vor ganz spezielle Herausforderungen.
Vor welche denn?
Wir machen im Rahmen eines Joint Ventures mit der Beijing Publishing Group Reisebücher von Chinesen für Chinesen auf Chinesisch – da muss man lernen, mit Kontrollverlust zu leben. Zudem setzen die Chinesen beim Reisen andere Schwerpunkte. Shopping interessiert sie sehr. Drei warme Mahlzeiten am Tag sind wichtiger als das Hotelzimmer. Und bei Besichtigungen gibt es andere Ziele: So pilgern Chinesen gern zum Schweizer Berg Titlis. Auf dem hatte der Turner Donghua Li die Eingebung, bei Olympia in Atlanta 1996 Gold zu gewinnen. Er hatte im Fels die Konturen einer sitzenden Buddha-Statue erkannt – und siegte tatsächlich. Deutsche Touristen interessiert das eher weniger.
Aber wenn das alles in China auf Chinesisch stattfindet, wofür brauchen die Chinesen MairDuMont?
Weil wir das Know-how haben für den Aufbau von Datenbanken, die Konzeption von Reiseführern und den Aufbau einer Marke. Wir hoffen auch auf Geschäfte mit chinesischen Tourismusämtern, die ihre Destination für europäische Kunden promoten wollen. Wir können helfen, die richtigen Wege und Produkte zu finden und zu gestalten. Auf den Web-Sites mit unseren deutsch- und englischsprachigen Produkten können wir etwa das „chinesische Hawaii“, die Insel Hainan, europäischen Touristen näher bringen. Diesen Marktzugang bietet ein chinesischer Anbieter nicht.
Was raten Sie jungen Frauen, die Karriere machen wollen?
Auch mit Kindern möglichst voll weiterzuarbeiten. Ich habe nach den Geburten meiner Kinder kaum pausiert. Der typische Halbtagsjob ist schwierig für die Karriere.
Wohin fahren Sie, wenn Sie privat reisen, und recherchieren Sie dabei auch?
Ja, ich mache mir Notizen, aber die bleiben privat. Mit der Familie fahren wir jedes Jahr an die Nordküste der Bretagne. Große Wellen, raues Wetter, viel Wind und Hummer zu kleinen Preisen, das finde ich klasse. Ich mag aber auch Fernreisen mit meinem Mann. Dieses Jahr sind wir nach Angola zu unserem Entwicklungshilfeprojekt Joint Aid Management gefahren. Wir haben einen Brunnen eingeweiht, und als ich die jubelnden Kinder mit Wasser nass gespritzt habe, war das einer der schönsten Momente meines Lebens – ganz ohne Reiseführer.