Im Jahr 2011 gab es zum ersten Mal in Deutschland mehr Menschen über als unter 50 Jahren. Bis zum Jahr 2050 wird der Anteil der sogenannten Best Ager unter den Deutschen auf 50 Prozent anwachsen. Die Generation 50plus stellt in Deutschland also statistisch die Mehrheit. Im Alltag fällt das auch auf, nur in der Werbung ist diese Entwicklung anscheinend noch nicht angekommen. Dabei sind die Über-50-Jährigen eine wichtige Zielgruppe. Sie besitzen mit rund 2200 Milliarden Euro mehr als 60 Prozent des Vermögens aller Haushalte - und geben es mit vollen Händen aus. Laut einer entsprechenden Studie des Instituts für neue soziale Antworten (INSA) konsumiert diese Altersgruppe deutlich mehr als jüngere Generationen. Und bei den Produkten, für die diese Generation Geld ausgibt, handelt es sich keineswegs nur um Kukident und Kreuzworträtsel. So nimmt beispielsweise die Verbreitung von Smartphones bei Menschen jenseits der 50 immer weiter zu.
Einer Umfrage im Auftrag des Branchenverbandes Bitkom zufolge steigen die Älteren derzeit gezielt auf internetfähige Geräte um. In der Altersklasse der 50 bis 64-Jährigen ist der Anteil der Smartphone-Besitzer in den vergangenen sechs Monaten auf 39 Prozent gestiegen. Die beliebtesten Smartphone-Hersteller der Generation 50plus sind Samsung, Sony, HTC, Apple und Nokia. Und auch Apples iPad erfreut sich bei den Über-50-Jährigen einer großen Beliebtheit. Das geht zumindest aus dem BrandIndex 2013 des Marktforschungsinstituts Yougov hervor, der der WirtschaftsWoche exklusiv vorliegt.
"Smartphones werden bei älteren Menschen aus gutem Grund immer beliebter", beobachtet Erhard Hackler, geschäftsführender Vorstand der Deutschen Seniorenliga. Die Bildschirme sind leicht bedienbar, Texte gut lesbar und mit dem Smartphone lassen sich auch unterwegs Sachen nachschlagen oder Routen planen. Allerdings wird den Über-50-Jährigen laut der Bitkom-Umfrage der Kauf eines Smartphones eher erschwert. Statt vernünftiger Produktinformationen - Lesbarkeit, Helligkeit, Auflösung, leichter Internetzugang - gebe es aufwendige, aber nichtssagende Imagekampagnen. "Die Hersteller sollten im eigenen Interesse wesentliche Produktinformationen und Vorteile deutlicher kommunizieren", so Hackler: "Ein großes Potenzial interessierter und kaufkräftiger Best-Ager liegt bisher schlichtweg brach."
Am Kunden vorbei geworben
Auch Frank Leyhausen bestätigt: "Jungen Menschen reicht es, wenn sie wissen, wie viel Megapixel die Handykamera hat, Ältere brauchen Informationen zum Nutzen, den ihnen Technik bietet." Leyhausen ist Geschäftsführer des Beratungsunternehmens MedCom International, das sich auf zielgruppenspezifische Kommunikationsstrategien für Gesundheits- und Generationenmarketing 50plus spezialisiert hat. "Die meist jungen Verkäufer benutzen bei der Beratung zu viele Fachbegriffe oder setzen zu viel Wissen voraus." Die Beratung gehe so völlig am Kunden und dessen Bedürfnissen vorbei.
Selbst bei Pedelecs, die für die ältere Generation sehr sinnvoll seien, stünden bei der Beratung im Handel viel zu viele technische Details im Vordergrund, wie Leyhausen sagt. "Den Kunden geht es aber darum, ob das Fahrrad ein CE-Prüfzeichen hat oder ob es trotz seines Gewichts noch auf den Fahrradträger vom Auto darf. Also ganz lebensnahe Dinge." Wie sich die Trommelbremse zusammensetzt oder aus welchem Material die Feder in der Gabel besteht, sind keine Informationen, die wirklich zu einer Kaufentscheidung beitragen. Viele der kaufkräftigen Zielgruppe sagten sich dann: "Wenn ich das Produkt nicht verstehe, warum soll ich das Geld dafür ausgeben?", so Leyhausen. Sein Fazit: "Wenn man an den Kunden vorbei wirbt, nutzt eben die schönste Werbung nichts."
Wir fühlen uns jünger, als wir sind
Das Problem, dass die Werbung mit dieser Zielgruppe hat, ist aber nicht nur, dass sie deren Bedürfnisse offenbar oft verkennt - oder ignoriert. Es gebe einfach keine Generation 50plus, so Leyhausen. Genauso wenig, wie es eine Zielgruppe u50 gebe. Das ganze sei eine Erfindung von RTL, das die werberelevante Zielgruppe 14 bis 49 ins Leben gerufen habe. Auch Hermann Binkert, Leiter des Instituts für neue soziale Antworten, kommt nach Abschluss der Generationenstudie zu dem Ergebnis: Es gibt keine homogene Generation 50plus. Und Gabriele Bleibst, Professorin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Marketing, an der Fachhochschule Jena ist überzeugt: "Die Unterschiede in den Altersgruppen nehmen mit dem Alter zu, was uns veranlasst, von der „Vielfalt des Alterns“ zu sprechen. Mit zunehmendem Alter sagt die Anzahl der Lebensjahre immer weniger über Fähigkeiten, Fertigkeiten, Verhaltensweisen und Erlebniswelten aus." Tatsächlich weisen heutige Generationen älterer Menschen vielfach ein jüngeres Verhalten als frühere Generationen auf.
Oft erlebt Leyhausen auch, dass ältere Kunden gerade wenn es um Technik geht, nicht richtig ernst genommen werden. "Wir haben einmal bei einem Mystery Shopping einen Herrn, der über 70 war, aber jünger aussah, in einen Handyladen geschickt. Auf die Frage, ob es dort denn auch etwas für ihn als älteren Kunden gäbe, sagte der sehr junge Verkäufer: 'Tut mir leid, Trommeln verkaufen wir hier nicht.'", erzählt Leyhausen. "Viele Industrien scheuen den Aufwand, richtig zu werben und die Kunden auch am Point of Sale richtig zu beraten und zu informieren", sagt er. Es heiße zwar immer, dass die Unternehmen auch die ältere Generation ansprechen wolle, er habe aber nicht den Eindruck, dass sich da etwas tue. "Wenn Deutschland aber so weiter altert, wie vorausgesagt, wird sich etwas ändern müssen." Ältere sollten in den Entwicklungsprozess von Produkten aktiv eingebunden werden, findet Leyhausen. Das Forschungsprojekt Openisa beispielsweise habe das getan und das Innovationspotenzial und die Innovationsfähigkeit älterer Menschen deutlich gemacht.
Das Phänomen der falschen Zielgruppenansprache scheint sich durch viele Branchen zu ziehen. Beworben wird die junge Zielgruppe, auch Werbegesichter sind in der Regel jung. Sind die Models tatsächlich über 50, sind sie berühmt wie das Werbetestimonial George Clooney, oder sie werben in den öffentlich-rechtlichen Sendern für Mittel gegen Blasenschwäche oder Blähungen. So gibt es beispielsweise Werbung für Familienkutschen, für Kleinwagen für junge Singles, für Flitzer für junge Dynamische oder für dicke SUV für die 35-Jährige Zahnarztgattin - aber eben keine für den edlen Viersitzer mit optimaler Sitzhöhe für die älteren Semester. "Im Kfz-Bereich gibt es keine Marke, die explizit Ältere anspricht", bestätigt auch Holger Geißler von Yougov.
Das ist allerdings nicht die Schuld der Unternehmen, deren junge Marketingstrategen einfach die Realität nicht sehen wollen. "Wenn Sie schlau sind, sprechen Sie keinen auf Grund seiner Zugehörigkeit zur Altersgruppe Senioren an", weiß Leyhausen. "So wie Kinder keinen Kinderteller wollen, wollen Ältere keinen Seniorenteller." Außerdem fühle man sich immer jünger, als man tatsächlich sei. "Menschen um die 60 fühlen sich in der Blüte des Lebens", sagt auch Geißler. Der Zeitpunkt, an dem man sich alt fühle, komme immer später. "Im Schnitt fühlt man sich fünf bis zehn Jahre jünger, als man ist", weiß der Marktforschungsexperte. Wer also ein Produkt bei den Mitfünfzigern an den Mann bringen will, tut gut daran, Mitvierziger als Werbegesichter einzusetzen. Sonst findet schlicht keine Identifikation statt, "der Kunde fühlt sich nicht angesprochen", wie Geißler sagt.
Wen die Werbung zeigt
Mittlerweile seien allerdings im Reisebereich und bei Finanzdienstleistungen Modells jenseits der 50 immer mehr im Kommen, wie Leyhausen weiß. Das mag natürlich daran liegen, dass die Generation jenseits der 50 sowohl Geld als auch Zeit für Reisen hat und nicht nur einmal im Jahr an den Ballermann fliegt. Außerdem werden auch Finanzprodukte im Alter noch einmal interessant. Stichwort: Absicherung fürs Alter.
Natürlich gebe es auch Branchen, die ein besonders junges Image haben. Mode und Makeup ist jung, Fitness genauso wie Extremsportarten oder Fastfood. Das macht sich auch in der Beliebtheit der Marken nach Altersklassen bemerkbar: Während die Generation ab 50 Jahre aufwärts auf Modemarken wie Adidas, Jack Wolfskin, Nike und Levi's oder Textilhändler wie C&A und Peek & Cloppenburg schwört, kommen Marken wie Miss Sixty, Hollister, Abercrombie & Fitch oder Klamottendiscounter wie Primark, NKD, Takko Fashion, Zeeman und Kik überhaupt nicht gut an. Bei der Generation unter 30 sieht die Beliebtheit der Marken da schon wieder ganz anders aus. Auch bei Süßigkeiten gibt es Marken, auf die die ältere Generation schwört. Dazu gehören Haribo, Ritter Sport, Lindt und Milka, wogegen Kinder-Produkte wie Überraschungseier voll an der Zielgruppe vorbei gehen. Dementsprechend sind hier die Werbegesichter auch eher u10 als ü50. Gerade bei den Süßigkeiten dürfte allerdings auch Nostalgie eine große Rolle bei der Markentreue spielen. Wer als Kind Haribo-Gummibärchen genascht hat, steigt im Alter nicht unbedingt auf Milchschnitte oder Kinder Pingui um.
Außerdem kommen in der Werbung immer - unabhängig vom Produkt - bestimmte Typen vor. "Klassischerweise geht es in der Werbung um junge Menschen". Das gelte auch für Arzneimittelreklame. In der Regel zeige man attraktive Frauen zwischen Mitte 20 und Mitte 30 - weil sie die breite Masse ansprächen, wie Geißler von Yougov sagt. Hübsche, junge Frauen kämen sowohl bei Männern als auch bei Frauen gleich gut an, so das Ergebnis verschiedener Forschungen aus der Werbebranche. "Es geht nicht um ätherische Schönheiten, aber eben um sehr attraktive Durchschnittstypen", so Geißler. Die sähe man ständig. Ausnahmen seien Produkte, die sich an ganz spezielle Zielgruppen richten. So ist das Werbegesicht von Axe eben ein attraktiver junger Mann, dem die Frauen zu Füßen liegen und das der Granufink-Werbung ein älterer Herr, der nachts öfter raus muss.