Wenn die Lufthansa derzeit eine Sache nicht brauchen kann, dann sind das zusätzliche Probleme. Nach dem Ende der Coronakrise gab es bereits mehrere Arbeitskämpfe und morgen folgt sogar ein fast kompletter Stillstand wegen Streiks. Dazu ruhte diese Woche der Flugverkehr bereits, weil ein Betonbohrer in Frankfurt eine für den ganzen Konzern wichtige Datenleitung durchtrennt hatte.
Kein Wunder, dass Konzernchef Carsten Spohr nun alles tut, um im kommenden Sommer weitere Probleme und vor allem eine Pannenserie wie im vergangenen Jahr zu verhindern. Nach Informationen der WirtschaftsWoche streicht die Fluglinie darum rund 34.000 Verbindungen allein bei der Marke Lufthansa für das kommende Sommerhalbjahr, gültig ab 26. März bis 29. Oktober 2023. Das entspricht allein bei der Hauptmarke der Airline bis zu gut 500 Flügen pro Tag sowie zehn Prozent des seit Monaten angebotenen Flugplans, weil die Linie ihr Angebot vor allem zu Stoßzeiten stutzt.
„Die Lufthansa hat den Sommerflugplan 2023 ab Frankfurt und München angepasst“, bestätigte ein Sprecher die Streichungen in einer Stellungnahme, will die Zahl von 34.000 Flügen aber nicht kommentieren. Der Umfang lasse sich nicht ohne Weiteres bestimmen, „da auch immer wieder weitere tagesaktuelle Streichungen hinzukommen können“, erklärte der Sprecher. Um möglichst wenigen Passagieren die Reise zu verderben, will die Lufthansa vor allem Flüge auf mehrfach täglich angebotenen Routen kürzen, wo sie zeitnah einen Ersatz anbieten kann.
Die Zahl könnte sogar noch wachsen. Denn die Streichungen bei Konzerntöchtern wie dem Billigflieger Eurowings, Brussels oder Swiss kämen noch dazu, heißt es im Unternehmen. Man bereinige zwar das Angebot kontinuierlich, heißt es bei Eurowings „aber die Planänderungen sind in deutlich geringerem Ausmaß."
Das Unternehmen begründet die vielen Streichungen mit Vorsicht und Gemeinsinn für den Rest der Branche. Die Industrie leide trotz aller Anstrengungen „insbesondere in Europa weiterhin unter Engpässen und Personalmangel“, erklärte der Sprecher. Dabei nennt er vor allem Flughäfen, Bodenverkehrsdienste und Flugsicherung, aber auch die Fluglinien. Die Absagen sollen jetzt die Arbeitslast verringern und „ein Mehr an Stabilität für das ganze System ermöglichen“.
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Die Kürzungen sind eine Art Armutszeugnis für die Branche, die eigentlich „ins kommende Jahr zumindest sehr viel besser vorbereitet reingehen“, wie Condor-Chef Ralf Teckentrup kommentierte. Wegen fehlender Mitarbeiter an Sicherheitskontrollen sowie beim Be- und Entladen der Maschinen mussten damals Passagiere an fast allen Airports stundenlang auf Kontrollen oder Koffer warten. Viele Tausend Urlauber verpassten deswegen ihre Flüge. Darum hatten die Airlines im Rahmen des Branchenverbands BDL mit Flughäfen und den Dienstleistern eine konzertierte Aktion gestartet. „Wir wollen gemeinsam ein Management-Handwerkszeug entwickeln, damit wir rechtzeitig erkennen und reagieren können, wenn sich Engpässe abzeichnen“, so Teckentrup noch im Dezember.
Doch daraus wurde offenbar leider nichts. Trotz teilweise deutlicher Gehaltsrunden, wie sie etwa der Berliner Arbeitgeberverband AWB abschloss mit Erhöhungen jeweils 1,90 Euro pro Stunde und weiteren Zuschlägen im kommenden Jahr, fehlen Mitarbeiter.
Nicht ganz schuldlos sind auch die Behörden. „Wer im Sicherheitsbereich und an Bord arbeiten will, braucht ein behördliches Zeugnis“, sagt der Münchner Flughafenchef Jost Lammers. Das auszustellen dauert Monate statt Wochen, weil auch die Verwaltungen unterbesetzt sind.
Ein Trost bleibt den Planern der Lufthansa: Es ist kein schlechtes Geschäft. So waren die gestrichenen Flüge offenbar noch nicht besonders gefragt. Laut Insidern hatte die Lufthansa hier im Schnitt nur rund zehn Tickets verkauft. Darum muss sie wohl nur 340.000 Reisende Kunden anderweitig befördern, rund ein Prozent der für das kommende Halbjahr erwarteten Kundschaft. Weil sie aber auf vergleichsweise wenigen der betroffenen Routen echten Wettbewerb hat, sorgen die Kürzungen für vollere Maschinen auf den verbliebenen Verbindungen und höhere Preise für die knapperen Restplätze. „Weniger Probleme und wahrscheinlich mehr Geld – das kann die Lufthansa gerade nach dieser Woche ganz gut brauchen“, so ein Konzerninsider.
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