Wer sich Luxus leisten kann, lebt ihn - mal offen, immer häufiger aber versteckt. In den vergangenen Jahren hat sich die Vorstellung von Luxus verändert. Was früher als luxuriös galt, verliert an Ansehen. Dinge, die nie als Luxus betrachtet wurden, können heute als solcher gelten. Woher dieser Wandel so kommt und weshalb Luxus für die Menschen unverzichtbar ist, beschreibt Kreativberater und Autor Mario Pricken im Gespräch mit der WirtschaftsWoche Online.
WirtschaftsWoche Online: Herr Pricken, weshalb brauchen Menschen Luxus?
Mario Pricken: Sobald drei Menschen einen Raum betreten, tritt das Phänomen der Hierarchiebildung ein. Das bedeutet, es muss Status erzeugt werden, um klarzustellen, wer in der Hierarchie höher steht und welche Rolle wir spielen. Luxusprodukte stellten bereits seit Jahrhunderten genau solche Objekte dar – etwa königliche Insignien. Das wird immer die Grundfunktion des Luxus bleiben, die er heute hat. Er ändert sein Gesicht, aber sicher nicht seine Funktion.
Zur Person
Mario Pricken ist Berater für Innovation und Kreativität. Vorher arbeitete er über viele Jahre hinweg in der Marketing- und Werbebranche. In seinem Buch „Die Aura des Wertvollen“ beschäftigt er sich mit der Frage, was wertvolle Produkte überhaupt erst wertvoll macht. In dem Buch fällt übrigens nur zwei Mal das Wort „Luxus“, denn das sagt für Pricken eigentlich nicht direkt etwas über den Wert aus – sondern nur über die Wahrnehmung.
Was macht Luxus denn aus?
Nicht alles, was Wertvoll ist, ist Luxus. Und nicht alles, was Luxus ist, ist wertvoll. Wenn man beispielsweise die Firma Svarowski betrachtet, die sich gerne im Luxussegment positioniert. Eigentlich handelt es sich um simples Glas. Luxus ist aber nicht mehr nur Bling-Bling. Heute wird kein Mensch mehr mit Boa-Federn oder schwer behängt mit Gold über die Straße flanieren. Ein Korkenzieher, in kleiner Auflage vom Star-Designer Philippe Starck entworfen, mit nachhaltigen Materialien in aufwändiger Handarbeit hergestellt und so haltbar, dass man ihn seinen Enkeln vererben kann, ist aus meiner Sicht ein Beispiel für Luxus jenseits von Bling-Bling.
Ist dabei denn der Wert eines Objekts an den Preis gebunden oder gibt es da einen Unterschied?
Häufig geht es Hand in Hand, dass sich der Wert eines Objektes in seinem Preis ausgedrückt. Doch manchmal wird der Preis auch zu einer übersteigerten Wertbehauptung, die das Produkt in Wahrheit gar nicht einlösen kann. Das heißt besonders teure Objekte versuchen über ihren Preis etwas über ihren Wert auszusagen.
Das sind die wertvollsten Luxusmarken
Deutsche High-End-Mode hat international einen schweren Stand. Unter den wertvollsten Luxusmarken tummeln sich vor allem französische und italienische Modehäuser und Juweliere. Eine Rangliste hat 2013 die Beratung Interbrand veröffentlicht.
Markenwert: 4,58 Milliarden US-Dollar
Markenwert: 5,19 Milliarden US-Dollar
Markenwert: 5,44 Milliarden US-Dollar
Markenwert: 5,57 Milliarden US-Dollar
Markenwert: 6,9 Milliarden US-Dollar
Markenwert: 7,62 Milliarden US-Dollar
Markenwert: 10,15 Milliarden US-Dollar
Markenwert: 24,89 Milliarden US-Dollar
Zudem gibt es in unserer Gesellschaft viele Dinge, denen wir nicht ansehen, was sie wert sind. Deshalb nutzen sie unterschiedliche Zeichen, an dem wir erkennen können, dass wir es mit wertvollen Dingen zu tun haben. Nehmen Sie beispielweise ein Weinregal. Wenn Sie nicht gerade ein Weinkenner sind, dann fällt es Ihnen in der Regel recht schwer herauszufinden, welcher der Weine der Beste ist. Um zu erkennen, welcher Wein außergewöhnlich wertvoll ist, hilft Ihnen als Erkennungsmerkmal zunächst einmal der Preis.
Könnte ich den Wert eines Produkts also direkt dadurch erhöhen, indem ich den Preis hochtreibe?
Viele Unternehmen machen genau das. Aber ganz so einfach ist es natürlich nicht. Einige Marken haben es geschafft, die Begehrlichkeit und ihr Image so zu steigern, dass sie genau das verlangen können, obwohl ihre Produkte den Wert eigentlich nicht besitzen, den man als Preis für sie zahlt.
Der wahre Wert ist entscheidend
Wie gelingt es denn den Wert eines Produkts zu steigern?
Die meisten Produkte folgen einem einfachen Prinzip: Das Produkt wird möglichst kostengünstig hergestellt und kurz bevor es auf den Markt geht, fragt sich das Marketing in welche Geschichte man es hüllen könnte, damit es etwas Einzigartiges oder Besonderes zu erzählen hat. Die Wahrheit ist, dass wir die Entstehungsgeschichte vieler Produkte gar nicht wissen wollen, da sie eher langweilig und manchmal sogar destruktiv ist.
Das ist meiner Meinung nach keine zukunftsträchtige Herangehensweise, um ein Luxusprodukt zu entwickeln. Wertvolle Dinge besitzen immer eine faszinierende Biografie, die mit einer außergewöhnlichen Geburt beginnt und mit einem faszinierenden Ende schließt. Es sind Entstehungsmythen, seltene Materialien, begrenzte Stückzahlen, Gerüchte, geheime Formeln, Rekorde, Pioniertaten oder auch Exotik, Einzigartigkeit und Handwerkskunst, die eine solche werthaltige Biografie schreiben. Es reicht heute nicht, wenn man die Braut schmückt, damit sie gut aussieht. Die Schönheit einer Braut liegt in ihrem Erbgut.
Wie funktioniert das?
Genau betrachtet reicht es nicht einmal mehr wertstiftenden Faktoren wie begrenzten Stückzahlen oder innovative Materialien zu nutzen. Wirklich wertvolle Dinge entstehen aus herausragenden Pionierleistungen, sie sind absolut einzigartig oder stellen noch nie dagewesene Rekorde auf. Diese Faktoren sind wichtig, denn nur wenn ein Produkt einen dieser Parameter erfüllt, entstehen Geschichten, die wir gerne weitererzählen. Je mehr solcher authentischen Geschichten ein Produkt in sich trägt, desto weniger benötigt es später die erfundenen Geschichten und Lobhudeleien der Werbeindustrie.
Was kann diesen Glanz von Luxus gefährden?
Viele Produkte leiden heute unter der Transparenz, die das Internet fördert. Wenn ich möchte, kann ich problemlos die Umstände, unter denen ein Produkt hergestellt wurde, nachvollziehen und offenlegen. Das es hier oft Dinge zu sehen gibt, die mit den hübschen Bilderwelten aus den Fotostudios auf brutalste Weise kollidieren, ahnen die meisten bereits. Aus dieser Transparenz heraus entsteht künftig eine ernsthafte Verpflichtung bis ins Innerste zu zeigen, dass das Produkt wahrhaftig und werthaltig ist. Das ist die größte Herausforderung der Luxusbranche.
Wie halten Marken ihren Luxusstatus?
Das Wertvolle führt, es folgt nicht. Wer sich an diese einfache Formel hält, der verpflichtet sich nicht nur dazu permanent neue Rekorde anzustreben. Er hat kein Problem damit offen zu zeigen, dass seine Produkte auf eine glaubhafte Art und Weise mit Wert aufgeladen wurden. Ihre Frage ist auch insofern interessant, als dass sie unsere Denkweise klar zeigt.
Werfen wir einen Blick auf die Alchemie. Diese Wissenschaft hat in der Geschichte eigentlich nie Erfolg gehabt – außer zwischen 1960 und 2010. In dieser Zeit hat man mittelmäßige Produkte durch Kommunikation wertvoller gemacht hat. Etwa Computer und andere technische Geräte erlebten einen Hype, der sie sozusagen vergoldete. Das Aufsehen verlieh ihnen einen Glanz , einen scheinbaren Wert, den sie nicht innehatten. Dieser Versuch ist in meinen Augen reine Alchemie. Denn es ist durch Marken, Kommunikation und gezielte Inszenierung gelungen, in Menschen eine Wertwahrnehmung zu erzeugen, von der im Produkt selbst oft nichts vorhanden ist.
Luxus spricht nicht über sich selbst
Hat unsere moderne Kommunikation Luxus also verändert?
Luxus tut heute etwas, was vor vierzig Jahren noch absolut tabu war: Luxus spricht über sich selbst. Luxus hat früher nie über sich selbst erzählt, wie großartig er ist. Luxus ließ über sich sprechen – ein wesentlicher Unterschied. Aber der Druck der Konzerne, die zum Luxussegment zählen, ist inzwischen dermaßen hoch, dass man begonnen hat, Luxusprodukte durch massiven Werbedruck in die Märkte zu pressen. Vor einiger Zeit noch unvorstellbar.
Hinzu kommt, wer wachsen will, muss höhere Stückzahlen absetzen. Ein Dilemma, denn was Luxus ausmacht, ist ja die Beschränkung und nicht die unendliche Verfügbarkeit. Alles, was unendlich verfügbar ist, wird nicht mehr als Luxus wahrgenommen.
Wie sich unser Verständnis von Luxus verändert
Nur wenige Begriffe werden so inflationär und so unterschiedlich verwendet, wie der Luxus-Begriff. Die Vorstellung von Luxus ist nicht nur individuell unterschiedlich, sie unterliegt auch einem gesellschaftlichen Wandel. In einem idealtypischen Modell beschriebt das Schweizer Gottlieb Duttweiler Institut vier Phasen, die den Wandel des nachvollziehbar machen. Das Modell beschreibt einen Reifeprozess, der sich an den Lebensphasen orientiert;
Quelle: Gottlieb-Duttweiler-Institut. „Der nächste Luxus. Was uns in Zukunft lieb und teuer wird.“
Die erste Phase der Luxusentwicklung ist geprägt durch einen großen Konsumhunger, der mit dem was angeboten wird, befriedigt wird. Das vorherrschende Prinzip: „Mehr ist Mehr“. Dies ist vor allem auf aufstrebenden Märkten zu beobachten. Hier herrschen Nachholbedarf und das Verlangen aufzusteigen. Gleichzeitig gibt es ein Defizit.
Sie setzt Solvenz voraus, wird aber dominiert von einem verstärkten Wettbewerbsdruck. Der Traum von einem weiterem Aufstieg weicht der Angst vor einem Abstieg. Nun wird das „Mehr“ zum „Muss“. Güter mit Signalwirkung gewinnen an Bedeutung: Mein Haus, mein Auto, mein Diamantring.
Eine erste Luxusmüdigkeit setzt ein. Die Phase ist geprägt vom abnehmenden Grenznutzen. Die Erkenntnis, dass das Glücksfühl beim Erwerb eines Produkts abnimmt, je öfter und hindernisloser dieser möglich ist, stellt sich ein. Der Luxuskonsum verschiebt sich von der Produkt- auf die Erlebnisebene.
Die Ästhetik des neuen Luxus lässt sich für die Forscher des GDI auf den Begriff der Verschlichterung bringen. Luxuskonsumenten demonstrieren bewusst den Verzicht. Die Fähigkeiten, dass Reduzierte und Essentielle leben, aber lesen zu können rückt in den Vordergrund. Nur wer über materiellen Besitz verfügt, wird sich die Fähigkeiten aneignen können, um die Codes des neuen Luxus zu entziffern.
Also ruiniert sich Luxus selbst, wenn man der hohen Nachfrage nachkommt.
Auf jeden Fall. Der Inbegriff von Luxus ist etwas sehr Wertvolles, das nicht für jeden zu haben ist. Der Deutsche Kaiser im Mittelalter etwa wurde auf seinen Reisen durch das Land an seinen Insignien erkannt. Wären diese Insignien beispielsweise aus Holz gewesen, so hätte sie jeder leicht kopieren können. Sie mussten also aus Materialien bestehen, die schwer zu bekommen sind und diese Materialien mussten zusätzlich so bearbeitet werden, dass nur ganz wenige handwerklich dazu im Stande waren. Es geht also immer um Beschränkung und wenn das nicht gegeben ist, fällt der entscheidende Aspekt für Luxus weg. Es gibt keinen Luxus für die Massen. Das ist ein Widerspruch in sich und funktioniert so nicht.
Zeichnet sich da also ein Wandel der Dinge ab, die für uns Luxus sind?
Im deutschsprachigen Raum ist Luxus privater geworden, unsichtbarer. In Deutschland schmückt man sich öffentlich nicht mehr damit reich zu sein und somit findet das vielfach im Stilleren statt. Insider sehen, dass ein Stoff, eine Verarbeitung oder die Ausstattung besonders wertvoll ist. Man erkennt sich also weiterhin untereinander, aber häufig ist es von außen nicht mehr so leicht wahrzunehmen. Protzige Luxusobjekte scheinen generell an Bedeutung zu verlieren.
Sind etwa exklusive Erlebnisse dann der neue, besser funktionierende Luxus?
Nehmen wir einmal eine Lodge in Kenia, die an einer besonders geschützten Wasserstelle liegt, wo bestimmte Tierherden für eine Woche einmal im Jahr vorbeiziehen, dann bietet diese Woche eine ganz besondere Exklusivität. Das ist entscheidend. Denn man kann heute bereits fast alles kopieren oder gar fälschen. Uhren, Design, Autos… Aber dieses Erlebnis, eine Woche in Afrika, einmal im Jahr, das kann niemand fälschen und diese Einzigartigkeit, zu der nur eine sehr kleine Gruppe überhaupt je Zugang hat, das macht Luxus ja letztendlich aus – und heute mehr denn je.
Was sind heute für Sie dann die unersetzbaren Insignien des Königs?
Das kann eine einsame Insel sein, die kein Mensch betreten darf, oder ein Club, in dem einem nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen der Zugang gewährt wird. Sobald wir etwas unbedingt möchten, dass nur schwer zugänglich oder nur in einer kleinen Stückzahl vorhanden ist, wird es zu Luxus. So kann unberührte Natur zum Luxus werden. Also etwa ein Gebiet im Regenwald zu besuchen, wo noch nie zuvor ein Mensch war. Solche Dinge nehmen einen Stellenwert ein, den wir bislang kaum darin gesehen haben, aber der mehr und mehr unserem Gefühl von Luxus entspricht.