Michael Otto "Mitarbeiter dürfen sich nicht selbst ausbeuten"

Wie können Unternehmen den digitalen Wandel gestalten? Michael Otto spricht darüber, wie der Versand-Gigant fit für die Zukunft werden soll - und was das Duzen des Vorstands damit zu tun hat.

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Versandhandel Otto Group setzte bereits ab 1995 aufs Internet. Quelle: Dominik Butzmann für WirtschaftsWoche

WirtschaftsWoche: Herr Otto, angeblich hat Deutschland die erste Halbzeit der Digitalisierung bereits verloren. Schaffen wir in der zweiten Halbzeit noch ein Unentschieden?
Michael Otto: Dafür müssen große Anstrengungen unternommen werden, angefangen bei der digitalen Infrastruktur. Es muss massiv in den Breitbandausbau investiert werden. Und wir müssen Start-ups besser fördern – von der Ermutigung, sich selbstständig zu machen, über Finanzierungsfragen bis hin zum Abbau der Bürokratie. Als mein Sohn sich zum ersten Mal selbstständig gemacht hat, musste er ein Dreivierteljahr auf einen Gewerbeschein warten. Die ganze Gesellschaft muss sehr viel mehr tun, um die Gründungskultur zu stärken.

Sie stecken über Ihre Fonds E.ventures und Project-A viel Kapital in Start-ups. Könnten Sie Ihr Geld nicht sinnvoller anlegen?
Unser Investment in über 100 Beteiligungen in fünf Ländern ist gut angelegtes Geld. Wir bekommen dadurch viele Einblicke in neue Geschäftsmodelle und lernen tüchtige junge Unternehmer kennen, mit denen wir mitunter auch operativ kooperieren. So ist das Engagement mehr als ein Finanzinvestment.

Wenn Start-ups an Konzernstrukturen andocken, verlieren sie oft Schnelligkeit und Flexibilität. Wie wollen Sie das verhindern?
Sie müssen den Firmen unbedingt viel Freiraum lassen. So wie bei unserem konzerninternen Start-up Collins und dessen Modemarktplatz About You. Die Start-ups nutzen einerseits die Möglichkeiten des Konzerns, beispielsweise in der Logistik und im Einkauf. Andererseits liefern sie uns viel Input zu neuen Technologien, die Unternehmen unserer Gruppe übernehmen können. Nicht zu vergessen: Die Zusammenarbeit ist für uns auch sehr wichtig, um unsere digitale Unternehmenskultur voranzubringen.

Zur Person

Und dazu gehört es auch, dass seit einigen Wochen jeder den Chef duzen darf?
Wir haben keinen Duz-Zwang, das ist ein Angebot des Vorstands. Das Duzen ist ein wichtiges Symbol für das, worum es bei unserem Kulturwandel 4.0 geht – flache Hierarchien, hohe Transparenz und eine agilere Organisationsstruktur. Deshalb bauen wir auch die Bürolandschaften um, damit sie zu den modernen, offenen Strukturen passen. Wir wollen vom Ich zum Wir.

Das behaupten inzwischen viele Unternehmen, wie wollen Sie das erreichen?
Indem wir die Führungskräfte zum Umdenken bringen. Sie dürfen nicht mehr nur Anweisungen geben und kontrollieren. Sie müssen Ziele vorgeben, aber die Mitarbeiter so eigenständig wie möglich die Schritte dahin entwickeln lassen. Dabei müssen wir viel mehr Fehler zulassen, aus denen wir lernen und die wir dann natürlich schnell korrigieren. Dazu gehört auch, Macht und Kontrolle abzugeben.

Führungskräfte sollen freiwillig auf Macht verzichten – kann das klappen?
Selbstverständlich. Bei der hohen Geschwindigkeit des digitalen Wandels können die Chefs nicht mehr alles besser wissen.

Und das sehen alle ein?
Wir veranstalten viele Workshops und bilden zu Schwerpunktthemen Teams aus allen Konzernbereichen und Hierarchiestufen. Dort merken wir: Die obere Führungsspitze ist bereit für den Wandel, auch die Mitarbeiter an der Basis wollen mehr Freiheit und Verantwortung. Nun müssen wir das Mittelmanagement mitnehmen. Einige sind mit Begeisterung dabei, bei anderen dauert es länger. Aber natürlich ist so ein Kulturwandel ein Prozess, der viele Jahre dauert. Dazu gehört es auch, über Arbeitszeiten zu sprechen.

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