Mobilitäts-App von Mercedes und BMW „Eine S-Klasse und ein 7er BMW dürften im Carsharing-Geschäft eher unrentabel sein“

Die ganze Freenow-Palette an Fortbewegungsmitteln, um von A nach B zu kommen: Seit November 2022 ist mit dem Verkehrsverbund Rhein-Ruhr der erste ÖPNV-Verbund auf der App vertreten. Quelle: Presse

Freenow heißt die App, die von Mercedes' und BMWs Träumen als Mobilitätsdienstleister geblieben ist. Im Interview erklärt Firmenchef Thomas Zimmermann, wie der ÖPNV bei seinen Kunden ankommt und warum er gegen Uber stichelt.

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Freenow wurde 2009 in Hamburg unter dem Namen „one touch Taxi“ gegründet, kurz darauf erfolgte die Umbenennung in „Mytaxi“: Anfangs digitalisierte die Anwendung bloß die Taxibestellung. 2014 übernahm Mercedes die Mehrheit an Mytaxi; 2019 verschmolzen Mercedes und BMW ihre Mobilitätsdienstleistungen in einem Gemeinschaftsunternehmen namens Freenow. Heute kann man über die App neben Taxifahrten auch Elektroroller, Elektrofahrräder sowie Chauffeur-Dienste buchen. Freenow beschäftigt rund 1000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und operiert in zehn Ländern. In Hamburg und Barcelona unterhält die Firma je einen Tech Hub. Seit April 2022 ist Thomas Zimmermann (39) der Freenow-CEO.

Wirtschaftswoche: Herr Zimmermann, Sie haben mit der „Rheinbahn“ und dem Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) vor vier Monaten erstmals den ÖPNV auf Ihrer Plattform integriert. Wie läuft das Experiment bislang?
Thomas Zimmermann: Es ist noch relativ früh für ein Fazit. Mit diesem Testpiloten wollen wir erstmals zeigen, wie gut wir als Mobilitätsplattform die komplette Bandbreite urbaner Verkehrsmittel abbilden können. Darüber hinaus ging es uns auch um die Frage, wie die technische Integration funktioniert. Wir machen das zusammen mit Tranzer, einem niederländischen Dienstleister für Programmierschnittstellen, spezialisiert auf Mobilitätsapps. Die ÖPNV-Unternehmen verfügen nämlich oftmals nicht über allzu große Tech-Abteilungen. Also: Die technische Integration klappt gut.

Zur Person

„Der Großteil unserer Märkte ist profitabel.” Quelle: Presse

Wie viele VRR-Tickets haben Sie über Freenow bisher verkauft?
Absolute Zahlen kann ich noch nicht nennen. Aber klar ist: Die Leute, die ihre VRR-Monatskarte haben, sind nicht unsere Hauptzielgruppe. Sondern eher diejenigen, die den ÖPNV eher noch sehr sporadisch nutzen, oder Touristen und Geschäftsreisende, die Einzelfahrt- oder Tagestickets kaufen. Und da sehen wir, dass es gut angenommen wird. Im Vergleich zu den ersten beiden Monaten sehen wir aktuell ein Wachstum von knapp 90 Prozent bei den verkauften Tickets. Zwei Drittel aller verkauften Tickets entfallen dabei auf Neukäufer. Dies verdeutlicht, wie wir auch neue Kundengruppen für den ÖPNV erschließen können. Wobei wir anfangs lernen mussten: Es ist vielen Leuten nicht klar, dass man über eine überregionale App wie Freenow auch ÖPNV-Tickets buchen kann. Das sogenannte Ride-Hailing via App, also das digitale Buchen von Taxi- und Mietwagenfahrten, ist mittlerweile gelerntes Verhalten – aber der Kauf einer Straßenbahn-Fahrkarte über dieselbe App noch nicht. Wir sehen hier aber auf jeden Fall eine wachsende Adaptionskurve.

Wann folgen die nächsten Verkehrsverbunde?
Wir möchten natürlich weitere deutsche und europäische Verbunde auf unserer Plattform haben, aber das liegt nicht allein in unserer Hand. Die Verkehrsverbunde haben auch ihre Eigeninteressen. Größere Städte haben inzwischen eigene Verkehrs-Apps, die sie pushen wollen. Wir argumentieren in den Verhandlungen, dass wir die Mobilitätswende nur gemeinsam schaffen, und ganz sicher nicht mit staatlich geschützten Monopolstellungen. Und daneben gibt es noch besagte technische Integration, deren Umsetzung sich zum Teil stark von Stadt zu Stadt unterscheidet. Also: Wir sind mit mehreren ÖPNV-Verbunden in Gesprächen und sind optimistisch, dass wir zeitnah weitere Integrationen vermelden können.

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von Christian Schlesiger

Sie sind in zehn Märkten aktiv. Wie sieht es diesbezüglich außerhalb Deutschlands aus?
Es gibt leichte Unterschiede. In England und zum Teil auch in Italien setzt sich mehr und mehr das Bezahlen mit dem Handy durch. In London verdrängt es etwa langsam die bekannte Oyster-Karte. Also: Beim Ein- und Aussteigen der Tube hält man das Handy vor den Kartenleser und via Apple-Pay oder Google-Pay wird der Betrag abgebucht. Die technischen Details unterscheiden sich also zu jenen in Deutschland. Aber bezogen auf die Prozesse: Es sticht in den europäischen Märkten, in denen wir aktiv sind, kein Land besonders hervor, wo die Integration des ÖPNV super einfach ist. Sonst wären wir dort gestartet mit unserem ÖPNV-Test.

In Deutschland soll es bald aber sehr viel einfacher werden: mit dem berühmten 49-Euro-Ticket. Wird man das Ticket über Freenow kaufen können?
Das hoffe ich! Wir arbeiten daran, es anbieten zu dürfen. Der Grund für das 49-Euro-Ticket ist ja, das Verkehrsnutzungsverhalten der Leute positiv zu verändern. Das gelingt am besten, wenn man es auf möglichst vielen Kanälen zur Verfügung stellt.

Mit wem verhandeln Sie hierzu?
Natürlich nicht mit allen deutschen ÖPNV-Verbünden, es reicht ja, wenn einer es uns technisch ermöglicht, denn das Ticket gilt ja deutschlandweit. Wir sprechen aber auch mit der Deutschen Bahn. Die sind ja das einzige Unternehmen in Deutschland, das das Ticket außerhalb der ÖPNV-Verbunde auch noch verkaufen darf.

Wird man eines Tages auch ICE-Tickets bei Freenow kaufen können?
Wir konzentrieren uns ganz klar auf die urbane Mobilität und nicht auf den Fernverkehr. Ähnlich wäre es bei Tickets für Fernverkehrsbusse, die wir ebenfalls nicht anbieten. Zudem ist die Bahn bei ICE-Tickets auch eher restriktiv. Wir haben jüngst mit unserer Mobility Benefits Card ein Produkt an den Start gebracht, mit dem es auch jenseits von unserer App möglich ist, sämtliche Mobilitätsangebote über Freenow zu buchen, auch ICE-Tickets.

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Freenow vermittelt Taxifahrten, E-Scooter, Elektroräder, Carsharing-Fahrzeuge sowie Mietwagen mit lizenzierten Fahrern, das sogenannte Ride-Hailing. Wie viel steuert jedes Segment zum Gesamtumsatz bei, was ist das wichtigste Segment?
Unser Rückgrat ist definitiv das Taxi- und Ride-Hailing-Geschäft. Damit ist das Unternehmen vor 14 Jahren gestartet, und das macht zwischen 70 und 80 Prozent unseres Umsatzes aus. Das Geschäft ist im vergangenen Jahr um rund 50 Prozent gewachsen. Gleichzeitig ist der neue Mobilitätsbereich, zum Beispiel in Deutschland, um mehr als das Dreifache gewachsen. Die Verteilung kommt dabei stark auf die Stadt und die Saison an. Bei schlechtem Wetter werden Taxi und Carsharing stärker nachgefragt. Bei gutem Wetter sind es Elektro-Scooter und Elektro-Räder.

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