Mögliche Staatshilfe Die Bahn braucht Geld

Aktuell liege die Auslastung im Fernverkehr „bei unter zehn Prozent“, heißt es aus Bahnkreisen. Quelle: imago images

Seit Wochen hält die Deutsche Bahn ihre Fahrpläne aufrecht, die sich wirtschaftlich nicht rechnen. Dafür will sie den Bund offenbar um milliardenschwere Unterstützung bitten. Für die Bahn ist das eine heikle Mission.

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Das Leiden der Deutschen Bahn lässt sich seit Wochen tagtäglich beobachten: Wer mit dem ICE unterwegs ist, hat teils ganze Wagen für sich allein. Die Zahl der Fahrgäste im Personenverkehr ist wegen der Coronakrise massiv eingebrochen. Die Auslastung im Fernverkehr liege „bei unter zehn Prozent“, heißt es aus Bahnkreisen. Zuletzt konnte man die Zahl der Fahrgäste an vier Händen teilweise abzählen, berichten Reisende. Normalerweise passen in einen ICE locker 800 Passagiere und mehr.

Aufgrund des Nachfrageeinbruchs könnte die Bahn gezwungen sein, den Bund um finanzielle Unterstützung zu bitten. Das erfuhr die WirtschaftsWoche aus Unternehmenskreisen. Staatliche Hilfe soll spätestens Mitte Mai auf die Agenda der nächsten Aufsichtsratssitzung kommen, heißt es aus dem Umfeld des Kontrollgremiums. Bislang seien den Aufsichtsräten nur Passagierzahlen für den Monat März bekannt. Man werde auf Basis der April-Zahlen diskutieren müssen, ob und inwieweit der Staat der Bahn unter die Arme greifen müssen.

Wie groß die Einbrüche sind, lässt sich anhand der Geschäftszahlen aus dem Jahr 2019 ablesen. Die Bahn hat im Fernverkehr fast fünf Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet, pro Monat sind das im Schnitt mehr als 400 Millionen Euro. Sollten in den vergangenen Wochen etwa nur zehn Prozent der Fahrgäste an Bord gewesen sein, dürfte allein dadurch in den Monaten März und April geschätzt eine Dreiviertelmilliarde Euro Umsatz weggefallen sein. Außerdem ist kaum zu erwarten, dass die Pendlerströme in den kommenden Monaten zurückkommen werden – zumindest nicht auf dem Vorcorona-Niveau.

Auch bei der Güterbahn hat die Krise voll zugeschlagen. Im März ist der Gütertransport auf der Schiene um 25 Prozent eingebrochen. Für April erwartet Cargo-Chefin Sigrid Nikutta noch mehr Umsatzverlust. Zwar liefen die Chinazüge vergleichsweise gut, aber die können den Einnahmeverlust, der durch die Probleme der wichtigsten Kunden aus der Stahl- und Autoindustrie entstanden ist, nicht kompensieren. Spartenchefin Nikutta begrüßte daher die Forderungen mehrerer Eisenbahnverbände nach einem „Stabilisierungsfonds, der Mindereinnahmen kompensiert, wenn Züge etwa unterausgelastet den Warentransport in Coronazeiten aufrechterhalten, aber auch steuerliche Entlastungen“. Corona dürfe keine Güterbahn aus dem Markt drängen.

Der Finanzbedarf ist immens. Laut dem Nachrichtenmagazin „Spiegel“ belaufe er sich auf bis zu zehn Milliarden Euro. Angeblich habe Bahnchef Richard Lutz bereits bei Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) vorgefühlt, dass eine Finanzspritze des Bundes nötig werde.

Tatsächlich läuft der Konzern damit aber auch auf ein Dilemma hinzu. Schon in normalen Zeiten ist nicht klar, ob sich die Deutsche Bahn eher als Grundversorger für die Mobilität in Deutschland sieht – und auch unrentable Strecken bedienen muss. Oder ob sie sich dem Ziel der Gewinnmaximierung verschreibt – und damit weniger ausgelastete Strecken streichen müsste.

Die Politik hat der Bahn mehr Daseinsvorsorge ins Stammbuch geschrieben – mit der Bitte, möglichst viel Gewinn auszuweisen. Das ist ein nicht vereinbarer Zielkonflikt. Und er wird jetzt umso deutlicher. Während die Lufthansa ihre Verbindungen um mehr als 90 Prozent runtergefahren hat, fährt die Deutsche Bahn mit verkürzten Zügen und kaum wahrnehmbaren Verbindungsstopps einfach weiter.

Hinzu kommt: An Staatsgeld für die Staatsbahn hat man sich in Deutschland inzwischen gewöhnt. Seit Jahren schüttet der Bund die Bahn mit Milliarden zu. Im Rahmen des Klimapakets der Bundesregierung beschenkte der Bund die Bahn zuletzt 2019 etwa mit rund elf Milliarden mehr Eigenkapital – verteilt über elf Jahre. Außerdem senkte die Regierung die Mehrwertsteuer auf Fernverkehrstickets. Irgendwann lässt sich kaum noch argumentieren, warum die Bahn erneut zig Milliarden nötig hat, wo sie doch erst 2019 üppig beschenkt wurde.

Die Bahn will eine Diskussion um Staatshilfen unbedingt vermeiden. Eine Anfrage der WirtschaftsWoche beantwortet der Konzern mit einem Zweizeiler: „Seit Beginn der Coronakrise stehen wir im engen Austausch mit unserem Eigentümer“, heißt es. „Nachdem die April-Zahlen vorliegen, werden wir unseren Aufsichtsrat in einer turnusmäßigen Sitzung am 15. Mai ausführlich über die wirtschaftliche Lage der DB informieren.“

Klar ist, dass sämtliche Ziele in diesem Jahr Makulatur sind. Das gilt nicht nur für die Umsatz- und Gewinnziele, sondern auch für die Verschuldung. Eigentlich hatte die Politik die Deutsche Bahn dazu verpflichtet, eine Schuldengrenze von 20 Milliarden Euro einzuhalten. Die Verschuldung liegt allerdings heute schon bei fast 25 Milliarden Euro. Selbst wenn man Veränderungen bei den Bilanzierungsregeln mit einbezieht, wäre die Grenze spätestens in diesen Tagen gerissen.

Bund und Bahn könnten daher gezwungen sein, eine Mischform der Finanzhilfen zu wählen. Der erhöhte Finanzbedarf von mehreren Milliarden Euro könnten sich beide Seiten teilen. Nach wie vor genießt die Bahn als Schuldner einen guten Ruf auf den Finanzmärkten – auch, weil der Staat in Krisen unterstützend eingreifen kann. Das hat er bereits mehrfach getan. Gut möglich, dass die staatliche Hilfe auch über Zuschüsse an die Netzsparte läuft, die dann allen Bahnen zugutekäme.

An einem Ziel will die Deutsche Bahn bislang nicht rütteln: Der Ausbau der Fernverkehrsflotte solle weiter verfolgt werden, heißt es aus Bahnkreisen. Die Bahn will expandieren und ihre Rolle als Rückgrat im innerdeutschen Fernverkehr weiter ausbauen. Ob als Teil der Daseinsvorsorge oder mit dem Ziel der Gewinnmaximierung bleibt in Zeiten wie diesen unklarer denn je.

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