Nach dem Rauswurf Warum die „New York Times“-Kolumne nicht nur Julian Reichelt schädigt

Der Chefredakteur der Boulevardzeitung „Bild“ Julian Reichelt wird mit sofortiger Wirkung von seinen Aufgaben entbunden. Quelle: imago images

Im Frühjahr hielt sich „Bild“-Chef Julian Reichelt knapp im Amt, jetzt ist er weg. Doch der Rauswurf an der Spitze des Boulevardblattes beschädigt auch den mächtigsten Mann bei Axel Springer.

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Plötzlich ging es ganz schnell – erst machten Montag Meldungen die Runde, der Zeitungsverleger Dirk Ippen habe Berichte seines eigenen Investigativ-Teams über Julian Reichelt, den Chefredakteur der „Bild“-Zeitung, gestoppt. Dazu hatte die „New York Times“ in einem langen Kolumnentext Hintergründiges über die Führungskultur unter Reichelt und vor allem seine Beziehungen zu Mitarbeiterinnen geschrieben. Am Abend dann verschickte Axel Springer eine Mitteilung, nach der Julian Reichelt als Chef der „Bild“-Zeitung Geschichte ist

Offizielle Begründung: Dem Unternehmen seien als „Folge von Presserecherchen“ – mutmaßlich sowohl des Ippen-Teams wie auch der „New York Times“ – „neue Anhaltspunkte für aktuelles Fehlverhalten von Julian Reichelt zur Kenntnis gelangt“. Der Vorstand habe erfahren, dass Julian Reichelt auch aktuell noch Privates und Berufliches „nicht klar trennt und dem Vorstand darüber die Unwahrheit gesagt“ habe. Konsequenz: Springer lässt Reichelt fallen und ersetzt ihn durch den Chefredakteur der „Welt am Sonntag“, Johannes Boie.

Zwiespältiger Eindruck

Das Thema Reichelt wird mit seinen Wendungen mit ziemlicher Sicherheit noch eine ganze Weile für Stoff auf Medien- und Kommentarseiten sorgen. Dabei ist er nicht der einzige Springer-Manager, der in der „New York Times“ wenig schmeichelhaft Erwähnung findet. Auch Vorstandschef Mathias Döpfner kommt ausführlich in der Kolumne vor. Und der Eindruck, den er dort auf den Leser hinterlässt, ist im besten Fall ein zwiespältiger.

Zum einen bleibt von Döpfner in Erinnerung, dass unter seiner Ägide Springer-Partys offenbar besonders interessante Veranstaltungen waren. 2018 etwa, schreibt die „NYT“, hätten bei einer Disco-Party gleich zehn DJs aufgelegt, während die legendäre Band Village People gemeinsam mit Vorstandsmitgliedern aufgetreten seien. Über dem Partyvolk, so die „Times“, hätten sich 512 Discokugeln gedreht. Bei anderer Gelegenheit habe Döpfners Tanzstil bei Mitarbeitern des von Springer übernommenen Online-Portals „Politico“ einigen Eindruck hinterlassen.

Der „NYT“-Kolumnist vergisst auch nicht jenes Döpfner-Zitat zu erwähnen, in dem sich der Springer-Chef als „Mischung aus Ästhet und Teppichverkäufer“ beschrieb. Und auch Döpfners Sammlung weiblicher Akte wird keinesfalls unterschlagen.

„Gegen neuen autoritären DDR-Staat“

Doch es geht zum anderen nicht allein um die Freizeitgestaltung im Hause Springer. Döpfner bekommt auch als Manager Seitenhiebe ab. So habe er im Frühjahr auch deshalb seine Hand über Reichelt gehalten, weil dieser, wie Döpfner selber schrieb, einer der wenigen Journalisten der Republik sei, der im Zusammenhang mit den geltenden Corona-Maßnahmen „mutig gegen den neuen autoritären DDR-Staat“ rebelliere. Eine interessante Sichtweise.

Doch es geht auch um Döpfners Wirken als Dealmaker. So habe der Springer-Chef im Frühjahr und Sommer nicht nur mit dem schließlich für eine Milliarde Euro übernommenen Portal „Politico“ verhandelt. Sondern zeitgleich auch mit dessen Konkurrenzangebot „Axios“. „Axios“ war 2016 von früheren „Politico“-Mitarbeitern gegründet worden. Laut „Times“ habe Döpfner in den Verhandlungen ein doppeltes Spiel gespielt, indem er „Axios“-Chef Jim VandeHei mit der Aussicht habe ködern wollen, nach dem Doppelkauf Chef des vereinten Portals zu werden.



„Politico“ gegenüber, so die „Times“, habe Döpfner den Plan erst dann enthüllen wollen, wenn der Deal in trockenen Tüchern gewesen wäre. VandeHei habe davon im Juli dem eigenen Board berichtet. Döpfners Vorgehen, habe der zudem erzählt, sei ihm „sneaky“ vorgekommen, und er habe sich daher von dem Geschäft verabschiedet. Döpfner widerspricht der Darstellung gegenüber der „Times“, es habe „keine Lügen und keine Täuschungen“ gegeben.

Konkurrenz zur „Times“

Das Bild, das beim unbefangenen US-Leser vom Springer-Chef dennoch zurückbleiben dürfte, ist danach um einige Nuancen reicher – und die Frage bleibt offen, welche Interessen hier im Spiel sind. Springer tritt in den USA immer stärker und auch ganz offiziell als Konkurrent der „New York Times“ auf. Bereits 2015 bahnte sich das an, als Springer „Business Insider“ für knapp 440 Millionen Dollar übernahm.

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In New York sitzt auch KKR, jener Partner, den Döpfner 2019 an Bord und mit dem zusammen er Springer von der Börse holte. Mit Julian Reichelt ist nun ein Mann von der „Bild“-Spitze entsorgt, der – unabhängig von seinem Verhalten als Vorgesetzter, der seine Macht offenbar schamlos missbrauchte – als Journalist und Krawallbürste auch aus Sicht eines um Ruhe bemühten Investors wenig erfreulich gewesen sein dürfte. Der neue „Bild“-Chef Johannes Boie scheint schon eher nach dem Geschmack des Investors zu sein. Döpfner lobt ihn ausgiebig. Ob damit allerdings intern wieder Ruhe einkehrt bei Springer und seinen Anteilseignern, das bleibt bis zum Beweis des Gegenteils in Frage gestellt.

Mehr zum Thema: Der Chefredakteur der Boulevardzeitung „Bild“ Julian Reichelt wird mit sofortiger Wirkung von seinen Aufgaben entbunden. Das gab das Unternehmen Axel Springer nun bekannt und nannte auch die Gründe.

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