Nach Unfall von Bill McDermott Bei SAP sind die Deutschen auf dem Vormarsch

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Fehlgriffe bei Top-Managern

Solche Signale haben die rund 18 000 Mitarbeiter in Deutschland in jüngerer Zeit aber nicht mehr vernommen, im Gegenteil. Geht es um die große Linie, hält Plattner sich seit Monaten zurück – und mit ihm SAP-Chef McDermott. Nicht er, der inzwischen mit dunkler Brille wieder öffentlich auftritt, sondern sein Finanzchef Mucic skizzierte unlängst die Strategie und den Umbau des Konzerns zu einem Cloud-Anbieter, der Software künftig nicht mehr verkaufen, sondern übers Internet vermieten will.

Selbst zu ganz grundsätzlichen Dingen äußern sich inzwischen andere. So warnte vor Kurzem nicht McDermott, sondern sein Produktchef Leukert vor den weitreichenden Folgen der Digitalisierung für die gesamte deutsche Wirtschaft und machte sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen stark: „Wenn wir an dieser Stelle nichts tun, droht die Gesellschaft auseinanderzubrechen.“

Für SAP sind solche politischen Stellungnahmen ein Novum, allenfalls Co-Gründer Plattner ließ sich manchmal dazu hinreißen, etwa, als er öffentlich gegen eine Wiederauflage der Vermögensteuer grantelte.

Finanzchef Luka Mucic

Begünstigt wird das Wiedererstarken der Deutschen-Fraktion im SAP-Topmanagement nicht nur durch das temporäre Machtvakuum, das durch die bedingte Einsatzbereitschaft McDermotts entstand. Inzwischen ist auch eine neue Generation deutscher Manager herangewachsen, die sich in puncto Selbstbewusstsein von US-Gegenspielern nicht die Schau stehlen lässt.

Dazu hat auch Co-Gründer und Aufsichtsratschef Plattner sein Teil beigetragen. Denn bei der Internationalisierung des SAP-Topmanagements in den vergangenen Jahren hatte er eine unglückliche Hand. Dass McDermott sich schwer verletzte, mag man noch als Pech verbuchen. Ansonsten aber gab es eine Reihe von Fehlgriffen. 2001 etwa holte Plattner im Zuge der Übernahme von dessen Firma durch SAP den ehrgeizigen Israeli Shai Agassi und beförderte den begnadeten Selbstdarsteller 2002 in den SAP-Vorstand. Doch als Agassi nicht so schnell wie erhofft SAP-Chef wurde, verließ er 2007 überraschend das Unternehmen.

Plattner fehlt der Sparringspartner

Ebenfalls als Plattners gescheiterter Kronprinz gilt Lars Dalgaard, der Exchef des US-Cloud-Anbieters SuccessFactors, den SAP Ende 2011 für 3,4 Milliarden Dollar schluckte. Plattner hielt große Stücke auf den Dänen und holte ihn im Frühjahr 2012 in den SAP-Vorstand. Doch schon im Mai 2013 ging Dalgaard, angeblich aus persönlichen Gründen. In Wahrheit hatte er es sich mit seiner vorpreschenden Art wohl auch bei Plattner schnell verscherzt, hieß es seinerzeit.

Was sich hinter deutschen Firmennamen verbirgt
Rimowa Quelle: dpa
Tui Quelle: dpa
Innogy (Energiekonzern, Essen)Innogy ist ein Produkt der Aufspaltung von RWE. Das Unternehmen umfasst das Ökostromgeschäft, die Stromnetze und den Vertrieb des Energieriesen. Die neue Ökostrom-Tochter Innogy soll knapp 40.000 der 60.000 Beschäftigten aufnehmen. Ende des Jahres sollen zehn Prozent der neuen Gesellschaft im Zuge einer Kapitalerhöhung an die Börse gebracht werden. Der Name kombiniert die Begriffe „Innovation“, „Energy“ und „Technology“ und wird bereits seit längerem im RWE-Konzern verwendet. 2002 übernahm der Energieversorger das britische Unternehmen Innogy, das daraufhin in RWE npower umbenannt wurde. Bereits im Mai hat die WirtschaftsWoche exklusiv berichtet, dass die Ökostromtochter Innogy heißen soll – jetzt hat RWE diese Information bestätigt.Bild: Innogy Quelle: Screenshot
RWE Quelle: dpa
Haribo (Süßigkeitenhersteller, Bonn) Quelle: dpa
e.onEin Kunstname, der an E wie Energie und „on“ wie einschalten erinnern soll. Den beiden Vorgängerunternehmen, aus denen Eon entstand, merkte man ihre Vergangenheit als preußische Staats-Holdings noch an: VEBA, die „Vereinigte Elektrizitäts- und Bergwerks AG“ und VIAG, die „Vereinigte Industrieunternehmungen AG“. Quelle: dpa
UniperDer Eon-Konzern spaltet sich auf. Die neue Gesellschaft, in der die Kraftwerksaktivitäten gebündelt werden, wird „Uniper“ heißen. Den neuen Namen soll ein Mitarbeiter vorgeschlagen haben. „Uniper“ ist die Kurzform von „Unique Performance“, das zu deutsch „Einzigartige Leistungsfähigkeit“ bedeutet. Quelle: dpa

Acht Monate später verließ der Amerikaner Bob Calderoni, der mit dem US-Onlinemarktplatzspezialisten Ariba im Frühjahr 2012 zu SAP gekommen war, als weltweiter Cloud-Chef den Walldorfer Konzern. Und auch dessen Nachfolger, der Amerikaner Shawn Price, konnte sich nur ein paar Monate bei SAP halten. 2014 heuerte er beim SAP-Erzrivalen Oracle an.

Plattners schwerster Verlust in jüngster Vergangenheit ist jedoch der Inder Vishal Sikka, den er im April 2007 als Agassi-Nachfolger zum SAP-Cheftechnologen machte. Beim Glas Wein hatte Plattner mit Sikka 2006 am SAP-Standort im kalifornischen Palo Alto über die neuen Datenbanktechnologien der Zukunft sinniert. Daraus war schließlich die Hochleistungsdatenbank Hana entstanden, aktuell eines der wichtigsten Produkte im ganzen Konzern. Doch als Sikka vor zwei Jahren Ambitionen auf den Co-Chefsessel neben McDermott anmeldete, sagte sein Förderer Plattner Nein. Sikka verließ SAP im Frühjahr 2014 und ist heute Chef des indischen IT-Dienstleisters Infosys.

SAP-Mitarbeitern fällt auf, dass sich ihr Übervater Plattner seit einiger Zeit sehr zurückhält. Keine neuen technologischen Visionen, keine Kampfansagen an Rivalen, kein junger dynamischer US-Manager, der sich als Sparringspartner und Ziehsohn des 72-Jährigen abzeichnet, stattdessen zwei Deutsche, denen plötzlich der große Auftritt gehört. Der einzige Amerikaner, der SAP-intern noch für höchste Weihen gehandelt wird, ist Vertriebschef Enslin, 52, der seit Mai 2014 dem Vorstand angehört.

Der amtierende SAP-Chef gibt sich nach außen kämpferisch nachdenklich. Der Mittfünfziger will nach seiner ersten Autobiografie („Winners Dream“) ein weiteres Buch über sich selbst verfassen, diesmal über den Verlust seines linken Auges und darüber, wie er damit fertig zu werden versucht.

„Der Unfall hat mir eine neue Perspektive vermittelt – ich bin gelassener geworden“, sagte er in Davos und fügte hinzu: „Ich bin ein Kämpfer, ich stehe immer wieder auf.“ Fragt sich nur, ob in Walldorf oder an anderer Wirkungsstätte.

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